Nils Schmid, der Landesvorsitzende der SPD, spricht im Interview mit der StZ über das Dauerärgernis Bahnhof und das Verhältnis zu den Grünen.

Stuttgart - Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wertet Nils Schmid als persönlichen Erfolg. Wenn das Dauerärgernis Bahnhof abgeräumt ist, wird erst richtig regiert, sagt der Superminister.

 

Herr Schmid, wer wird der grüne Gast beim SPD-Parteitag in Offenburg?

Es ist Edith Sitzmann, die Fraktionsvorsitzende der Grünen.

Wird sie ähnlich Furore machen wie der SPD-Minister Rainer Stickelberger bei den Grünen?

Wir sind auf jegliche Knallfrösche eingestellt. Es war aber sicher nicht hilfreich, dass nach dem Grünen-Parteitag der Eindruck entstanden ist, dass man sich am Koalitionspartner abarbeiten muss. Wir werden beim Parteitag deutlich machen, dass die SPD Regierungspartei ist, die Themen aufgreift, die im Land anstehen.

Der Konflikt um Stuttgart 21 lodert unverändert. Die Grünen haben Sie regelrecht gemaßregelt, was die Positionierung vor der Volksabstimmung angeht.

Wir haben von Anfang an gesagt, dass es gesellschaftliche Bündnisse geben wird und keine Parteienbündnisse. Daran halten wir uns. Die SPD braucht niemanden, der ihr das sagt. Jetzt werden diese gesellschaftlichen Bündnisse in die Kampagne ziehen. Dann wird man sehen, wer die besseren Argumente hat. Ich glaube, es ist besser, nicht auszusteigen, weil man sonst viele Hundert Millionen für einen Ausstieg bezahlt und nichts bekommt. Außerdem bin ich stolz darauf, dass es die SPD war, die die Volksabstimmung als Lösung für diesen Konflikt gefunden hat.

Kehrt nach der Abstimmung wirklich Frieden ein? Was, wenn die Mehrheit die Kündigung will, aber am Quorum scheitert?

Ich bin zuversichtlich, dass es ein klares Votum für den Weiterbau geben wird. Wenn das Quorum verfehlt wird, gilt die Verfassung. Das hat die Regierung mehrfach vereinbart. Ich gehe davon aus, dass sich die Grünen daran halten werden.

So wie das die gesamte SPD tun wird, die ja bei S 21 zerstritten ist ?

Natürlich. Wir wollten das Quorum absenken. Das hat die CDU uns verwehrt. Jetzt gilt das Quorum in der Verfassung.

Wie ist das Klima in der Koalition?

Angesichts der Größe des Konfliktthemas S 21 ist die SPD mit den Grünen sehr gut unterwegs. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ist es ein starkes Signal, dass die SPD und die Grünen hier gut regieren.

Was haben Sie schon in die Wege geleitet?

Wir haben es geschafft, den Konflikt um S 21 zu bereinigen. Wir haben die ersten Weichen gestellt für mehr Chancengleichheit in der Bildung, für mehr soziale Gerechtigkeit, für nachhaltige Industriepolitik. Die Abschaffung der Studiengebühren ist unterwegs. Wir werden die Grunderwerbsteuer erhöhen, um die Kinderbetreuung zu verstärken und ein Tariftreuegesetz auf den Weg bringen. Die Regierung steht voll unter Dampf und wenn S 21 nicht mehr die Bühne beherrscht, wird man diese Ergebnisse deutlicher sehen. Wenn wir ehrlich sind, beginnt das Regieren erst richtig nach der Volksabstimmung.

Die Stimmung in der Partei

Sind Sie zu sehr damit beschäftigt, die Augenhöhe mit den Grünen zu wahren? Treten dahinter die Inhalte zurück?

Nein, Augenhöhe ist eine Frage der Inhalte. Es muss nach außen getragen werden, dass dies eine Regierung ist, die sich die soziale und ökologische Modernisierung auf die Fahnen geschrieben hat. Das muss ein Gemeinschaftswerk sein. Bei wichtigen Themen, die beide Regierungsparteien gemeinsam voranbringen wollen, ist es sinnvoll, dass die Spitze der Regierung sie gemeinsam vertritt. Bei anderen Themen gibt es eine Ressortverantwortung. Es muss das Erfolgsrezept jeder Koalition gelten: Man muss auch gönnen können. Das ist natürlich in einer Koalition auf Augenhöhe etwas anderes als zu Zeiten, in denen die CDU mit einem kleinen Koalitionspartner FDP regiert hat.

Wie schätzen Sie die Stimmung in Ihrer Partei ein? Hat sich die Basis in der Opposition wohler gefühlt als in der Regierung?

Die SPD-Mitglieder freuen sich unverändert darüber, dass es gemeinsam mit den Grünen gelungen ist, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Dass wir die Gesellschaft modernisieren können, ist für die SPD-Mitglieder ein großartiges Gefühl. Dass wir zu S 21 in Einzelfällen hitzige Debatten führen, gehört sich nun mal für eine große Volkspartei.

Rechnen Sie beim Parteitag mit Kritik?

Es wird kritische Töne geben, aber ich erwarte, dass der Parteitag auch die Aufbauarbeit anerkennt, die wir als Führungsteam geleistet haben. Nach der Bundestagswahl 2009 waren wir tief im Loch, ohne jegliche Regierungsperspektive. 2010, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um S 21, schien die Lage auch aussichtslos. Mit dem Vorschlag zur Volksabstimmung, aber auch indem wir Kurs gehalten haben, haben wir es geschafft, gemeinsam mit den Grünen die CDU vom Sockel zu stoßen. Das lässt mich zuversichtlich in diesen Parteitag gehen.

Im Land könnten sich die Grünen bei der nächsten Wahl leicht der CDU zuwenden. Welche Perspektive hat die SPD?

Die Perspektive für 2016 ist, dass SPD und Grüne weiter gemeinsam regieren. Das muss das Ziel der Regierungsarbeit sein. Nach aller Erfahrung ist die erste Legislaturperiode zum Säen, in der nächsten können die ersten Früchte geerntet werden. Deshalb haben SPD und Grüne ein elementares Interesse daran, gut zu regieren und den Menschen zu demonstrieren, dass man sich auf diese Regierung verlassen kann.

Haben Sie sich übernommen mit zwei Ministerien und dem Landesvorsitz?

Nein, das ergänzt sich wunderbar. Finanzen und Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist auch gut, wenn der Landesvorsitzende Regierungsverantwortung hat.

Lautet die Regel, je größer das Ministerium, desto größer das Gewicht?

Nein. Mir war wichtig, dass ich neben dem Etat auch als Person für den Erhalt von Arbeitsplätzen eintreten kann. Es ist die zentrale politische Kompetenz der SPD, wirtschaftliche Stärke und sozialen Ausgleich zu verbinden. Das muss in der Regierung ganz oben deutlich werden.

Die SPD hat das schlechteste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte erzielt. Angesichts dessen empfinden Kritiker das Auftreten der SPD als sehr selbstbewusst.

Natürlich haben wir aus einem schlechten Wahlergebnis das Optimum für die SPD herausgeholt. Das ist aber auch die Aufgabe eines Landesvorsitzenden. Ich rate der SPD ausdrücklich zu fundiertem Selbstbewusstsein. Das Wahlergebnis gibt zwar keinen Anlass dazu; die Art und Weise wie wir die Regierung gebildet haben, wie wir uns auf den Koalitionsvertrag verständigt haben und wie wir gemeinsam regieren, dagegen schon. Mein Wunsch ist, dass die SPD selbstbewusst als Regierungspartei auftritt und nicht ihr Licht unter den Scheffel stellt. Es mag immer noch Restbestände von Oppositionsseligkeit in der Partei geben, aber wir sind angetreten, um in Wirtschaft und Gesellschaft Fortschritte zu erzielen. Das geht nicht, indem man im stillen Kämmerlein Papiere schreibt. Das geht nur durch handfestes Arbeiten an der Regierung. Da muss man manchmal unangenehme Kompromisse schließen, aber etwas Besseres, als mit den Grünen zu regieren, hätte uns gar nicht passieren können. Ich will gar nicht wissen, wie wir uns fühlen würden, wenn wir in der Opposition oder gar in einer Großen Koalition mit der CDU stecken würden.