Wie macht man im 21. Jahrhundert in der Wissenschaft Karriere? Die Nobelpreisträger geben bei ihrer Tagung in Lindau auch dazu Antworten. Die jungen Forscher sind durchaus verunsichert, denn auf ihnen lastet ein hoher Druck. Aber Spaß macht ihnen die Arbeit trotzdem.

Lindau - Können Nobelpreisträger dem wissenschaftlichen Nachwuchs auch ganz praktische Tipps zur Karriere geben? Das versuchen sie jedenfalls auf ihrer Tagung in Lindau. Am Frühstückstisch ist sind sich die jungen Forscher nicht einig: Die Nobelpreisträger haben einen guten Überblick und viel Erfahrung, aber einige von ihnen sind vielleicht schon zu weit weg, um die Nöte eines Doktoranden oder Post-docs zu verstehen. („Post-docs“ nennt man Forscher in der Phase zwischen Promotion und der ersten Stelle; es ist oft eine Zeit der Wanderschaft. Ich habe vor einiger Zeit drei Post-docs porträtiert.) Die 66-jährige Medizin-Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn von der Universität von Kalifornien in San Francisco steht den jungen Forschern jedenfalls gleich in zwei Veranstaltungen Rede und Antwort. Sie strahlt dabei Optimismus aus – aber es bleibt offen, wie ernst sie die Probleme nimmt.

 

Da fragt ein Forscher aus China, ob man in der Wissenschaft aggressiv sein müsse, um sich durchzusetzen. Blackburn antwortet, dass sie auch von jungen Mitarbeitern Widerspruch erwarte. Es gehöre zur Wissenschaft, sich mit Einwänden auseinanderzusetzen. Sie jedenfalls respektiere ihre Kollegen, auch wenn sie anderer Meinung sei. „Aber mich zurückhalten?“, fragt sie und lacht kurz auf. „No way.“ Kurz darauf fragt ein Forscher aus Südafrika, wie man das mit der Work-Life-Balance hinbekomme. „Wenn ich ausgeglichen leben würde, würde mich das wahrscheinlich langweilen“, entfährt es Blackburn. Dann sammelt sie sich und erläutert, wie sie es gehandhabt hat. Sie bevorzugt Termine beim Lunch, um abends mit der Familie essen zu können (sie hat einen Sohn, der inzwischen 28 Jahre alt ist). Und sie hat in Kalifornien die Universität gewechselt, „um weniger Zeit mit dem Pendeln zu verschwenden“. Aber Restaurants und Kinos habe sie lange nicht besucht. Irgendwo muss man Zeit sparen.

Bei einem so internationalen Treffen wie dem in Lindau kann es nicht um die Besonderheiten einzelner Länder gehen. Aber die lange Zeit der Unsicherheit, bis es ein junger Forscher eventuell auf eine unbefristete Stelle schafft, scheint es in vielen Staaten zu geben. In Baden-Württemberg setzt sich die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer dafür ein, mehr Stellen so zu vergeben, dass sie nach einigen Jahren der Probe und nach einer Evaluation entfristet werden können. („Tenure track“ wird das Verfahren genannt; „tenure“ ist die englische Bezeichnung für eine Professur auf Lebenszeit.) Die Ministerin besucht derzeit alle neun Universitäten des Landes, um mit Nachwuchsforschern über ihre Probleme zu sprechen.

Der Nobelpreisträger rät, offen zu sein für Überraschungen

Als der Physik-Nobelpreisträger Brian Schmidt in einer Veranstaltung in Lindau fragt, wer vorhabe, die Wissenschaft zu verlassen, meldet sich fast die Hälfte der jungen Forscher. Warum?, will Schmidt wissen. Weil die Unsicherheit zu groß ist, bekommt er zu hören. Weil die Familie nicht umziehen will, weil man als Arzt besser Aussichten auf eine Stelle hat, weil man kein Interesse an der Lehre hat. Schmidt erzählt, dass auch er nicht unbedingt an eine Karriere in der Astronomie gedacht habe. Seine Stelle als Forscher sei am 31. Dezember 1997 ausgelaufen, aber am 8. Januar 1998 habe er mit seinen Kollegen berechnet, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Für diese Entdeckung ist er schließlich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. „Du weißt nie, wie sich die Dinge entwickeln werden“, sagt er. Dann fragt er, ob jemand Angst habe vor der Arbeitswelt außerhalb der Wissenschaft. Einige Hände gehen hoch. In der Wissenschaft sei klar, was einen erwarte, begründet eine Forscherin ihr Unbehagen. In der Wirtschaft müsse man begründen, dass man für die Stelle infrage komme.

Aber Wissenschaftler haben mehr auf dem Kasten als Fachwissen, versichern die Nobelpreisträger immer wieder. Und auch die Beratungsfirma McKinsey stimmt ein: Ein erfolgreiches Forscherteam zu leiten zeige zum Beispiel Führungsqualitäten. Und Führungsqualitäten sind für die Berater vor allem: Mitarbeiter unterstützen, abweichende Meinungen suchen, Probleme effizient lösen und alles darauf ausrichten, dass das Ergebnis stimmt. Das Toppersonal in Unternehmen sei überall ziemlich gut ausgebildet, sagt Frank Mattern. Er hat selbst einmal als junger Forscher die Lindauer Tagung besucht und ist heute für das Recruiting bei McKinsey verantwortlich. Den Unterschied in der Leistung eines Unternehmens macht seiner Ansicht nach die Fähigkeit des Führungspersonals, den Ton so zu setzen, dass jeder Mitarbeiter sein bestes gibt.

Was kann ich denn gut? Diese Frage solle man sich stellen, empfehlen McKinsey, die Nobelpreisträger und auch einige junge Forscher. Eine Pflanzenforscherin aus Saudi Arabien berichtet, sie arbeite in einem interdisziplinären Team und fühle sich in keinem der Fächer wirklich zu Hause. Sie frage sich manchmal, was sie eigentlich richtig gut könne. Elizabeth Blackburn gibt sich damit nicht zufrieden und hakt nach. Schließlich sagt die junge Forscherin, ohne sie würden die Kollegen aus den unterschiedlichen Disziplinen gar nicht miteinander reden. „Da haben Sie es doch!“, ruft Blackburn. Sich in andere Fächer eindenken und daraus Profit ziehen zu können, sei eine wichtige Fähigkeit.

Dem stimmt auch Daniel Häufle von der Universität Stuttgart zu, der in Lindau über die Chancen und Risiken der interdisziplinären Arbeit referiert (siehe nächste Seite).

Eine Karriere außerhalb der Disziplinen?

Wie macht man in der Wissenschaft Karriere, wenn man nicht klar einem Fach zuzuordnen ist? Das fragt Daniel Häufle in einem Vortrag auf der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau. Er nimmt sich selbst als Beispiel: Er hat zwar einen Doktorgrad in Physik, aber er arbeitet an der Universität Stuttgart am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft. Dort entwickelt er Computermodelle sich bewegender Menschen. Das Skelett, die Muskeln und Sehnen – all das wird in mathematische Gleichungen gepackt, die vorhersagen sollen, wie bestimmte Bewegungen zustande kommen. Mit einem solchen Modell könnte man Prothesen anpassen, Arbeitsplätze ergonomisch gestalten, sogar Crashtests simulieren. In dem Projekt kommen aber sehr unterschiedliche Fächer zusammen: etwa die Informatik und die Physiologie.

Das führt mitunter zu Missverständnissen, weil sich der Fachjargon unterscheidet. „Selbst ein Begriff wie Feedback oder Modell kann in verschiedenen Fächern unterschiedliche Assoziationen auslösen“, sagt Häufle. Für ihn ist ein Modell ein Satz mathematischer Gleichungen. In anderen Fächern werden aber auch abstrakte Zusammenhänge als Modell bezeichnet. Aber wenn man einmal zusammenkommt, eröffnen sich neue Perspektiven. Ein Physiologe beschreibe die Abläufe in Muskeln zum Beispiel oft in einer Art, die sich nicht direkt in mathematische Gleichungen umformen lasse, sagt Häufle. Aber das sei doch gerade eine schöne Herausforderung. „Wir bringen neue Fragen in die Physiologie und dadurch kann ein Mehrwert entstehen.“ Außerdem müsse man sich in Lindau nur umschauen: Viele Nobelpreisträger arbeiten an den Schnittstellen zwischen den Disziplinen – dort entstehen spannende Projekte.

Auch die Wissenschaft denkt zuweilen in Schubladen

Auf die Modellierung des Bewegungsapparats ist Häufle schon in seinem Studium gestoßen – eher durch Zufall bei einem Seminar während eines Auslandsaufenthalts in Kanada. Wie alle, die sich in Lindau zu Wort melden, liebt er sein Projekt. „Ich mache meine Arbeit gerne und würde sie gerne weitermachen“, sagt er. Aber auf diesem Weg wird er einige Hürden überwinden müssen.

Da gibt es die kleineren Schwierigkeiten, die Häufle zu der Kategorie „damit hat jeder zu tun“ zählt: Man muss zum Beispiel Förderanträge schreiben. Häufle berichtet von einer Absage, in der neben anderen Einwänden auch stand, dass man sich frage, ob Forscher aus der Sport- und Bewegungswissenschaft auch partielle Differentialgleichungen lösen könnten. In Lindau lacht das Publikum darüber, denn Häufle hat schließlich Physik studiert und für Physiker sind Differentialgleichungen leicht verdaulich. Mit dem Beispiel will Häufle zeigen, dass man oft schon nach seiner Institutsanschrift eingeordnet wird. Auch die Wissenschaft kennt Schubladen. Allerdings sei das nicht überall so: Häufle berichtet, dass es die Deutsche Physikalische Gesellschaft zum Beispiel begrüße, wenn er auf ihren Tagungen Veranstaltungen zur Biophysik anbiete.

Das Hauptproblem ist für Daniel Häufle die Aussicht auf eine Professur. Nach seinem Eindruck schreiben Fakultäten Professuren typischerweise für ihre Kernthemen aus, und sie erwarten von den Bewerbern einschlägige Erfahrungen in der Lehre. Als Mitarbeiter der Fakultät für Sozial- und Geisteswissenschaften der Universität Stuttgart könne er aber nicht ohne Weiteres Seminare in Physik anbieten, sagt Häufle. Und umgekehrt fehle ihm ein Sportstudium, um beispielsweise Sportdidaktik unterrichten zu können. Ob ein spannendes Forschungsprojekt genügt, um künftige Berufungskommissionen zu überzeugen? Daniel Häufle wird es versuchen. Aber er sagt: „Es ist nicht absehbar, dass ich in den nächsten Jahren eine Professur finde, auf die ich mich klar bewerben kann.“