Einmal im Jahr treffen sich in Lindau am Bodensee Nobelpreisträger zur Diskussion. In diesem Jahr sollte es um die Energiepolitik gehen. Doch was geschieht? Die Forscher streiten sich darüber, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt.

Lindau - Was finden die Frauen nur an Michael Beard? Er ist dick und unsportlich, obendrein unzuverlässig und untreu. Fünf Ehen sind gescheitert, nicht zuletzt an seinen ungezählten Affären. Und doch findet er im Roman „Solar“ von Ian McEwan immer wieder Frauen, die sich um ihn kümmern.

 

Wissenschaftlich hat Beard indes seine beste Zeit schon lange hinter sich. Die theoretischen Überlegungen, für die er den Physik-Nobelpreis erhielt, liegen schon Jahrzehnte zurück. Doch er will es kurz vor dem Ruhestand noch einmal wissen und treibt einige Millionen Euro auf für ein kleines Kraftwerk, das auf dem Weg der Fotosynthese Energie gewinnt. Künstliche Katalysatoren sollen mit Sonnenlicht Wasser in seine Bestandteile aufspalten, die dann in einer Brennstoffzelle Strom erzeugen. Papa wird die Welt retten, sagt Beards kleine Tochter.

In Lindau lässt sich dieser Tage beobachten, wie weit der fiktive Wissenschaftler Beard von den echten Nobelpreisträgern entfernt ist. Dort steht in der Inselhalle Paul Crutzen gebeugt am Pult. Er ist inzwischen 78 Jahre alt und hat seine goldene Hochzeit feiern können. Nun liest er stockend seinen Vortrag vom Blatt. Es ist eine lange Reihe von Zahlen, die zusammengenommen belegen soll, dass ein neues Zeitalter der Erde angebrochen ist: das Anthropozän, in dem vor allem der Mensch die Natur verändert.

Die Menschheit muss handeln – bloß wie?

Crutzen geht es nicht nur um das Ozonloch, für dessen Erforschung er den Nobelpreis erhalten hat. Er erwähnt auch, dass inzwischen auf jede Familie der Erde eine Kuh kommt – und Rinder stoßen das Klimagas Methan aus. Er beschreibt die Überdüngung der Felder, das schmelzende Eis im Nordpolarmeer und kommt zum Schluss sogar auf Massenvernichtungswaffen zu sprechen. Was wäre also zu tun? Paul Crutzen formuliert so allgemein, wie es vielleicht nur Wissenschaftler können: Das Anthropozän verlange „angemessenes menschliches Verhalten auf allen Ebenen“.

Sein Kollege Mario Molina, neun Jahre jünger und frischer, der sich den Nobelpreis mit Crutzen geteilt hat, wird etwas konkreter, aber nur ein bisschen: Gegen den Klimawandel helfen Windräder und Solarzellen, sagt er, aber auch Atomkraftwerke und Biosprit. Vor allem brauche man ein internationales Abkommen zum Klimaschutz, auch wenn das nicht absehbar sei, weil der US-amerikanische Kongress keines akzeptieren dürfte. Vom praktischen Ehrgeiz eines Michael Beard ist in Lindau nichts zu spüren.

Nicht einmal den Energiemix bespricht Molina im Detail – er hat andere Sorgen. Denn als dritter Redner wartet das Enfant terrible der Runde: der 83-jährige Ivar Giaever, der ebenfalls auf eine goldene Hochzeit zurückblicken kann. 1973 bekam der in Norwegen geborene US-Physiker den Nobelpreis für Entdeckungen zum Tunnelphänomen in Supraleitern. Eigentlich habe er sich nicht um den Klimawandel geschert, erzählt er, doch vor vier Jahren sei er bei einer Diskussion auf der damaligen Tagung in Lindau darauf gestoßen worden.

Ein Enfant terrible unter den Nobelpreisträgern

Nach einem halben Tag mit Google habe er dann festgestellt: er müsse sich dafür schämen, dass der Weltklimarat IPCC mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet worden sei, sagt Giaever. Denn das Gerede über den Klimawandel trage religiöse Züge und habe mit Wissenschaft nichts zu tun. Aus Protest ist er vor einigen Monaten aus der US-amerikanischen Physikervereinigung ausgetreten, weil sie den Klimawandel als „unbestreitbar“ bezeichnet hat. „Vielleicht gelingt es mir, den einen oder anderen von Ihnen ebenfalls zum Austritt zu überreden“, wird er seinem jungen Publikum sagen.

Dem will Molina in seinem Vortrag vorbeugen. Und so erläutert er drei Stufen der Gewissheit in der Klimaforschung. Dass sich Treibhausgase in der Atmosphäre ansammeln, sei kaum noch anzuzweifeln, ebenso der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur. Etwas weniger sicher, aber doch vom Weltklimarat mit mehr als 90 Prozent beziffert, sei der Zusammenhang der beiden Größen: Es werde wärmer, weil der Mensch Treibhausgase emittiere. Als dritte Stufe nennt Molina die Auswirkungen: Stürme, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände. Ob sie zunehmen, sei in der Wissenschaft nicht restlos aufgeklärt, berichtet er, aber es gebe gute Belege dafür. Sein Fazit: der Klimawandel stellt ein „substanzielles Risiko“ dar.

Doch Ivar Giaever hat schon mit der ersten Stufe seine Schwierigkeiten: „Ich glaube nicht, dass es möglich ist, den Klimawandel zu messen“, sagt er. In den unzugänglichen Regionen der Welt gebe es viel zu wenige Wetterstationen. Und überhaupt: seit dem Beginn der Industrialisierung ist es auf der Erde 0,8 Grad wärmer geworden. „Bei einem Menschen wäre eine solche Temperaturerhöhung nicht einmal Fieber“, höhnt er.

Kein Argument ist dem Nobelpreisträger zu platt

In seinem Vortrag ist Giaever kein Argument zu platt. Er berichtet, dass es in Spitzbergen trotz Eisschmelze heute viermal so viele Eisbären gebe wie vor 40 Jahren. Das Überleben der Tiere hänge eben von der Jagd und nicht vom Klima ab. Giaever rechnet sogar vor, dass ein Mensch 800 Gramm Kohlendioxid am Tag ausatmet.

Und er wählt eine andere Metapher für die Atmosphäre als sein Vorredner Molina: Für Molina ist die Luftschicht dünn wie die Schale eines Apfels. „Daher kann der Mensch auch einen so großen Einfluss auf sie haben“, sagt er. Giaever beschreibt die Atmosphäre hingegen als gigantisches Reservoir. Alle Autos der Welt würden den CO2-Gehalt der Atmosphäre in drei Jahren nur um so viel erhöhen, wie es ein einziges Streichholz in der Inselhalle in Lindau täte, die immerhin 1000 Zuhörer fasst. Aber auch Giaever bekommt den höflichen, anhaltenden Applaus – wie alle Nobelpreisträger in Lindau.

Das jährliche Treffen der Nobelpreisträger in Lindau

Tagung:
In Lindau kommen seit 1951 jeden Sommer Nobelpreisträger aus aller Welt zusammen, um eine Woche lang mit Nachwuchsforschern zu diskutieren. Knapp 600 junge Wissenschaftler aus 69 Ländern nehmen dieses Jahr teil. Viele von ihnen haben sich in nationalen Wettbewerben für ein Stipendium qualifiziert. Präsidentin des Tagungskuratoriums ist Bettina Gräfin Bernadotte af Wisborg.

Debatte:
In diesem Jahr dreht sich die Tagung um die Physik. 27 (männliche) Nobelpreisträger sind angereist und stellen ihre Arbeiten zur Erforschung des Universums und der Welt der kleinsten Teilchen sowie ihre Ansichten zur Energiepolitik vor. Sie debattieren kontrovers über die Bedrohung durch den Klimawandel, die Atomkraft und die Möglichkeiten, Energie in großen Mengen zu speichern.

Von der Tagung in Lindau wird in mehreren Sprachen gebloggt.