Die Veranstaltungsreihe „Endlich Inhalt“ lädt jüngere Leute zu einer Reise in die Architekturgeschichte ein.

Lokales: Sybille Neth (sne)

S-Nord - Die Kochenhofsiedlung ist das architektonische Gegenmodell zum Wohnexperiment Weißenhofsiedlung. Während dort ausländische Planer dem neuen Wohnen in den 1920er Jahren Gestalt gaben, entwarfen Paul Bonatz und Paul Schmitthenner ein Jahrzehnt später ihre konservativen Wohnhäuser mit Satteldach und viel Holz für die Kochenhofsiedlung. An ihr waren ausschließlich deutsche Architekten beteiligt und Bonatz und Schmitthenner prägten die so genannte Stuttgarter Schule, die den Historismus der Kaiserzeit durch Schlichtheit überwand. Später wurde diese architektonische Handschrift von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke pervertiert und gilt als Vorbild für die Naziarchitektur.

 

Jan Lubitz hat am Samstagabend 15 Interessierte auf eine kleine Reise durch die Baustile auf dem Killesberg mitgenommen und dabei besondere Aufmerksamkeit auf die Frage gelegt, wie sich das Verständnis der eigenen Nationalität in der Architektur widerspiegelt. Lubitz ist Architekturhistoriker und Mitglied im Team, das die Veranstaltungsreihe „Endlich Inhalt“ an der Erlöserkirche organisiert. Das Angebot richtet sich speziell an jene Altersgruppe der 20 bis Mitte 30jährigen, die sonst aus allen Rastern herausfällt, erklärt Rolf Ahlrichs das Konzept.

Seit 2009 gibt es die Veranstaltungsreihe

Ahlrichs arbeitet in der kirchlichen Jugendarbeit und ist der Motor der Veranstaltungsreihe, die es seit 2009 gibt. „Gerade im Nordbahnhofgebiet leben viele junge Gemeindemitglieder und die sind mit den üblichen Angeboten nicht zu erreichen“, wie er immer wieder festgestellt hat.

Die Architekturführung durch die Villengebiete auf dem Killesberg haben den Auftakt zur neuen Runde gebildet, die bis zum Frühsommer kommenden Jahres andauert. Auf dem Programm stehen unter anderem ein Besuch an der Filmakademie Ludwigsburg, beim VfB und gemeinsames Klettern. Am 8. Dezember trifft sich der lose Kreis, um Christkind für bedürftige Familien zu spielen. „Wir haben einige Wunschzettel von Leuten bekommen, die sich keine Geschenke leisten können“, erzählt Ahlrichs. Deshalb werden die Freunde von „Endlich Inhalt“ am Samstag vor dem zweiten Advent gemeinsam zum Einkaufen ausschwärmen und danach bei einer warmen Suppe Päckchen packen.

Hier können Freundschaften entstehen

Ein Essen gibt es bei allen Veranstaltungen von „Endlich Inhalt“. Auch am Samstagabend ist der zweistündige Spaziergang beim Italiener ausgeklungen. „So haben sich auch schon einige Freundschaften gebildet“, weiß Ahlrichs. Teilnehmer Alf Maier konnte dieses Mal nicht dabei sein beim Pasta-Essen, wohl aber bei einem heißen Drink am Bismarcksturm, der letzten Station. Vor einem Jahr ist Maier nach Stuttgart gezogen und wohnt in Kaltental, schätzt aber die Veranstaltungen der Nordgemeinde. „Ich bin schon gläubig, aber ich bin nicht in der Kirche engagiert“, sagt er. Die meisten Teilnehmer könnten dies ebenfalls von sich sagen und Ahlrichs betont darüber hinaus, dass auch das Team eher informellen Charakter hat. „Man muss nicht immer kommen.“

Weil zu einer ähnlichen Führung durch die Weißenhofsiedlung der Andrang besonders groß war, hatten die „Endlich Inhalt“-Macher diesen zweiten Architekturabend angesetzt. Dieses Mal war der Kreis der Interessenten zwar kleiner, aber wer dabei war, erfuhr viele interessante Details. Zum Beispiel über das extravagante Haus an der Ecke Parlerstraße/Hermann-KurzStraße, das komplett aus der Reihe fällt und nach dem Vorbild des 1959 verstorbenen amerikanischen Stararchitekten Frank Lloyd Wright entstanden ist. Oder über den Baugrund, auf dem heute am Tatzelwurm eine große Wohnanlage steht. Das frühere Parkgrundstück mit einer riesigen Villa im Art Deko-Stil gehörte dem Textilfabrikanten Walter Wolf. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er von den Nazis zwangsenteignet, die Villa wurde zur Flakleitstelle und gegen Ende des Krieges gesprengt.