Wer im Norden Norwegens eine Skitour macht, kann von vielen Bergen aus seine Schwünge Richtung Meer hinunterziehen - ein einzigartiges Erlebnis.

Tromsö - Um Viertel nach elf ruft Jimmy Halvardsson: „Die Sonne! Am Gipfel!“ Der an sich geduldige Bergführer wird unruhig, sein Schritt schneller und er zieht bergauf davon. Es ist Mitte Januar. Die Bewohner von Tromsø haben die Sonne seit Wochen nicht gesehen. Ende November hob sie sich das letzte Mal über die Berge Nordnorwegens, und erst Ende Januar scheint sie wieder in die Straßen der Stadt. Auf den Skittentind aber, den Berg auf der Nachbarinsel Kvalöya, schaffen es die ersten Sonnenstrahlen auch jetzt - reinstes Alpenglühen nicht weit vom Polarkreis. Für den 38-jährigen Jimmy ist die Sonne das Wichtigste. Wer aber aus Mitteleuropa kommt und nicht ganz so entwöhnt ist, den haut hier oben anderes aus den Socken. Auf dem Skittentind, dem gut 1000 Meter hohen „Schmutzigen Gipfel“, sieht man als Skitourengeher nicht nur eine alpin anmutende Kette von verschneiten Berggipfeln, sondern auch das offene Meer. Es liegt als schwarze, dumpfe Ebene da. Endlos weit. „Da kommt lange nichts mehr, dann Grönland“, sagt Jimmy, ein Schwede, der der Berge wegen nach Nordnorwegen auswanderte.

 

Tromsø liegt auf einer Insel, Straßenzüge mit Holz-Villen ziehen sich die Hügel hinauf. Auch wenn die Sonne nicht scheint, herrscht keine dauerhafte Dunkelheit. Von etwa halb elf an schüttet der Himmel Rosa über die Stadt. Durch die Fußgängerzone schlendern Touristen aus aller Welt, nachts fahren sie mit Bussen zu unbeleuchteten Landstraßen, um die Polarlichter zu fotografieren. Vor allem japanische Touristen strömen aus diesem Grund im Winter nach Tromsø - die meisten sind Paare mit Kinderwunsch.

Auf etwa 400 Meter Höhe hört der Wald auf

Denn sie schreiben dem Polarlicht mythische Kräfte zu und glauben fest, dass es gut ist für die Fruchtbarkeit. Die Skitour auf den Skittentind (1042 m) gehört zu den beliebten Skitouren in der Umgebung Tromsøs. Man startet gegen halb neun in der Stadt, fährt raus über eine der vielen Brücken, vorbei an der berühmten Eismeerkathedrale, die an das Nordlicht erinnern soll. Auf einem Parkplatz am Straßenrand geht es in arktischer Kälte rein in die Skischuhe und dann schon bald steil aufwärts durch lichten Espenwald. Schon auf etwa 400 Meter Höhe hört der Wald auf - je nördlicher, desto niedriger verläuft die Baumgrenze. Keine Menschenseele ist zu sehen. Die Provinz Troms ist dünn besiedelt, hier leben sechs Einwohner auf einem Quadratkilometer. Dagegen sind sogar die Alpen zehnmal so dicht bewohnt, 57 Tiroler leben auf einem Quadratkilometer. Nur einmal im Jahr - Mitte Mai - ist hier richtig was los. Dann organisiert Jimmy zusammen mit anderen den Skittentind Rando, ein Skitouren-Rennen.

Drei Gipfel in drei Stunden. Skifahren Mitte Mai? In Nordnorwegen ist das nicht ungewöhnlich. „Letzten Winter bin ich am 12. Juni noch mit Ski losgezogen“, sagt Jimmy. Noch ein Blick Richtung Grönland, ein paar Schluck Tee und zwei Bissen „Kvikklunsj“, ein norwegischer Keks, dann pfeift der arktische Wind doch sehr um die Nase. Also die Felle runter und ab geht es, runter Richtung Meer! Tromsø liegt auf 69 Grad und ist damit die nördlichste Stadt der Welt. Selbst Inuvik, die nördlichste Stadt Kanadas, liegt weiter im Süden. Zur Zeit der Polar- Expeditionen war Tromsø das Tor zur Arktis. Es zog Abenteurer an, die die Kälte liebten und den Ruhm suchten. Von hier starteten Roald Amundsen und Fridtjof Nansen zu ihren Fahrten in den hohen Norden. Nun ziehe die Stadt Bergfreaks an, sagt Leif Egil Holbaek-Hanssen (37). Er kam vor zehn Jahren aus Südnorwegen nach Tromsø, „zum Skifahren und zum Klettern“. Er hat einen guten Job gefunden, als Geologe sucht er Öl.

Als Bergretter ist er auch unterwegs, vor ein paar Tagen mussten sie einen Touristen retten. „Der wollte am Esfjord auf einen Berg. Es war eisig, er steckte fest, konnte nicht mehr vor und nicht mehr zurück.“ Auch Magnus Kjeldsberg (34) aus Trondheim hatte sich Tromsø wegen der Natur als Studienort ausgesucht. Oft ziehen sie zu dritt in die Berge; Hanssen, Kjeldsberg und der Schwede Jimmy Halvardsson. Vor zehn Jahren sei es total einsam in den Bergen gewesen, sagt Hanssen. „Jetzt sind im Winter draußen viel mehr Leute unterwegs, man hat gar nicht mehr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein“, findet er. Grundsätzlich fände er es aber gut, dass die Menschen die Natur entdecken. „Wenn du einsam sein möchtest, gibt es genügend Ecken, wo niemand ist.“ Manchmal fahren sie die Küste hinunter, Richtung Süden; zu Bergen ohne Namen. „Wenn du da hochgehst, gibt es dir so ein Entdeckergefühl - auch wenn du natürlich nicht der erste Mensch auf dem Gipfel bist.“

Das einzige Skigebiet besitzt einen Schlepplift

Eine weitere stadtnahe Tour führt auf den Lille Blamannen, den Kleinen Blaumann. Hanssen erzählt, dass er diesen Berg von seinem Wohnzimmerfenster aus sehen könne. Und da die Einheimischen gerne nach der Arbeit noch eine Skitour machen, mit Stirnlampen, weil es dann längst dunkel ist, sieht er „in klaren Nächten lauter Lichtpunkte, die den Berg hinunterfahren“. Beim Aufstieg sind aber wieder keine anderen Skifahrer zu sehen. Das könnte sich jedoch ändern. Hier soll ein Skigebiet entstehen. „Schon seit 30 Jahren ist davon die Rede. Ich glaube es erst, wenn mein Hintern in einem Liftsessel steckt“, sagt Hanssen augenzwinkernd. Tromsøs einziges Skigebiet, das Kroken Alpinseter, besteht aus einem einzigen Schlepplift. Dieser läuft nur nachmittags und deshalb an vielen Tagen im Jahr mit Flutlicht. Und es fühlt sich ein bisschen an wie Skifahren in Mittelgebirgen im Deutschland der 70er Jahre. Außer dem Schlepplift gibt es - nichts. Keine Bar, kein Restaurant, man kann nicht einmal einen Kaffee trinken.

Die Abfahrt vom Kleinen Blaumann ist sehr beliebt. Man stiebt hinunter in Richtung Meer, dahinter ragen die Lyngsalpen in den rosafarbenen Himmel, und unten in Tromsø schalten sie schon wieder die Straßenlampen ein. Das letzte Stück führt über einen zugefrorenen See. Drei Vögel kreisen, keine Bergdohlen. „Junge Seeadler“, sagt Jimmy. Die Skitour endet in einem Café am Esfjord, symmetrisch ragen links und rechts die Bergflanken aus dem schwarzen Meer, und Jimmy ruft mit Blick auf den Fjord aus: „Wir haben schon so schön lange Tage jetzt! Es ist 2 Uhr und noch nicht dunkel!“

Infos zu Nordnorwegen

Anreise
Scandinavian Airlines fliegt täglich über Kopenhagen und Oslo nach Tromsø, ab 460 Euro, www.flysas.com/de/de

Übernachten
Rica Grand Hotel Tromsø, Storgata 44, Zentral gelegenes Hotel, Ü/F ab 180 Euro, www.rica-hotels.com/hotels/tromso/rica-grand-hotel-tromso/?lcn=en

Skitouren
Buchbar bei Jimmy Halvardsson, www.ascentdescent.com, Wanny Woldstadvei 138, 
9013 Tromsø, Tel. 00 47 / 94 85 88 32. Eine Tagestour kostet umgerechnet ca. 155 Euro.

Ausrüstung
Die komplette Skitourenausrüstung samt Lawinen-Suchgerät kann ausgeliehen werden bei Tromsø Outdoor, www.tromsooutdoor.no

Allgemeine Auskünfte
Weitere Informationen gibt es beim norwegischen Fremdenverkehrsamt, Caffamacherreihe 5, 20355 Hamburg, Telefon: 040 / 2 29 41 50, www.visitnorway.com.