Die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten steigt stetig an. Der Umfang des Pflegepersonals stagniert jedoch – auch in Baden-Württemberg. Patientenschützer und Arbeitnehmervertreter ermahnen die künftige Bundesregierung zum Handeln.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die letzte Phase des Bundestagswahlkampfs hatte ein Thema wieder ins Scheinwerferlicht gerückt, das bald zu den drängendsten Problemen der Republik gehören könnte: den Pflegenotstand. Die Politik hat die Folgen des demografischen Wandels demzufolge bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Neue Zahlen machen den Handlungsbedarf verstärkt deutlich. Demnach muss sich das Pflegepersonal in den Krankenhäusern um immer mehr Patienten kümmern.

 

Nach einer Erhebung der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist die Zahl der Krankenhausärzte in den vergangenen 25 Jahren um 66 Prozent auf rund 158 100 gestiegen. Bei den Pflegekräften allerdings wurde für diesen Zeitraum bis 2016 eine leichte Abnahme auf rund 325 100 festgestellt – das waren rund 1000 weniger als 1991. Grundlage dieser Erkenntnisse sind Daten des Statistischen Bundesamtes.

Forderung nach einer Personaluntergrenze

Auch in Baden-Württemberg offenbart sich ein Missverhältnis: Demnach ist im Zeitraum von 1991 bis 2016 die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten um 27 Prozent auf 2,17 Millionen Fälle gestiegen. Die Zahl der Ärzte ist in Relation dazu sogar noch stärker gewachsen – um 72 Prozent auf heute 19 400. Die Zahl der Pflegekräfte hingegen ging in dieser Zeit um ein Prozent auf 37 800 zurück.

Die Stiftung Patientenschutz fordert eine Personaluntergrenze für Pflegekräfte in Krankenhäusern, weil die Entwicklung zu Lasten der Patienten gehe, die in immer größerer Zahl alt, chronisch krank und pflegebedürftig seien. Jeder sechste Patient sei mit über 80 Jahren hochbetagt – bereits die Hälfte der Patienten sei über 60 Jahre alt. „Die Schere zwischen Ärzten und Pflegekräften muss kleiner werden“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Agentur dpa. Rechnerisch sei die Arbeitsbelastung pro Pfleger binnen 25 Jahren um ein Drittel gestiegen. „Die Pflege fährt auf der letzten Rille.“

Mehr Patienten – halbierte Verweildauer

Bundesweit ist die Zahl der Klinikpatienten seit 1991 von jährlich 14,6 Millionen auf 19,5 Millionen im vergangenen Jahr gewachsen – ein Plus von 34 Prozent. Die Zahl der Ärzte erhöhte sich von rund 95 200 auf 158 100. Während das ärztliche Personal 1991 noch einen Anteil an 10,9 Prozent an allen sogenannten Vollkräften hatte, waren es 2016 bereits 18 Prozent. Der Umfang des Pflegepersonals stagnierte dagegen – er war zwischenzeitlich gestiegen, fiel dann aber wieder ab. Ein Krankenhausaufenthalt dauert mittlerweile durchschnittlich 7,3 Tage – seit 1991 hat sich die Verweildauer fast halbiert. Bundesweit standen 2016 in 1951 Krankenhäusern etwa 498 700 Betten bereit.

Die nächste Bundesregierung muss handeln

Nach Berechnungen des Deutschen Pflegerats fehlen in den Kliniken etwa 100 000 Pflegekräfte. Der Gewerkschaft Verdi zufolge müsste es für eine sichere Versorgung 162 000 zusätzliche Stellen geben, davon 70 000 Pflegefachkräfte. Im Südwesten müsste es 20 000 mehr Stellen geben – davon 9000 in der Pflege. Internen Befragungen zufolge müssten 64 Prozent der Pflegekräfte nachts allein durchschnittlich 26 Patienten versorgen.

Einem Gutachten zufolge haben 53 Prozent der Kliniken Probleme, Stellen im Intensivbereich zu besetzen. Auch Verdi fordert von der nächsten Bundesregierung eine verbindliche Personaluntergrenze auf allen Stationen. Die Gewerkschaft hat daher in diesem Jahr eine große Kampagne zur Stärkung der Belegschaften mit vielen Protestaktionen angeschoben. Zahlreiche Klinikarbeitgeber wurden zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Die jüngsten Aktionen gab es im Südwesten Mitte September.

Regierung setzt Selbstverwaltung unter Druck

Die Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Krankenkassen muss bis 30. Juni nächsten Jahres Untergrenzen für Pflegepersonal in patientensensiblen Klinikbereichen (Intensivstationen oder Nachtdienste) festlegen. Wenn ihr dies nicht gelingt, werde die Bundesregierung bis Ende 2018 die Mindeststandards festlegen, hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kurz vor der Wahl angekündigt. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte für den Fall seiner Wahl einen „Neustart in der Pflege“ versprochen.

Die Bundesregierung habe zwar Personaluntergrenzen für sogenannte pflegesensitive Bereiche auf den Weg gebracht, stellt Verdi fest. Aus Sicht der Gewerkschaft sei Pflege jedoch immer sensitiv, weshalb die noch zu erarbeitenden Vorschriften alle Pflegebereiche abdecken müssten. Die Personalausstattung müsse sich am konkreten Pflegebedarf der Patienten orientieren. Zugleich ermahnt Verdi die Klinikbetreiber, Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu übernehmen und das Personal zu entlasten.