Was andere Landkreise längst getan haben, ist für den Kreis Göppingen Neuland. Erstmals werden Flüchtlinge in einer Halle einquartiert. Am Dienstag sind die ersten in der Geislinger Wölkhalle angekommen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Geislingen - An der provisorischen Wand, einem mit Stoff behangenen Bauzaun, stehen zwei Koffer, eine Sporttasche und eine Normatüte. Der sechsjährige Macit ist schon mal auf das obere Doppelstockfeldbett gehüpft. Sein dreijähriger Bruder Yousef sitzt an dem kleinen Tisch und sortiert die Figuren eines Würfelspiels. Irgendjemand hat es gespendet. Mit Mama und Papa sind die beiden Buben am Dienstagmorgen in der Geislinger Wölkhalle eingetroffen. Sonst spielen hier die Schüler des Berufschulzentrums Basketball oder machen Zirkeltraining. In den kommenden Wochen sollen an gleicher Stelle rund 130 Flüchtlinge wohnen. Es ist die erste und – so hofft die Kreisbehörde – auch für längere Zeit einzige Turnhalle im Kreis, in der Asylbewerber untergebracht werden.

 

Flucht über die Balkanroute

Gegen 11 Uhr hat ein Reisebus aus der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen vor der Halle Station gemacht. Drei Familien stiegen aus, die anderen Insassen fuhren weiter in andere Landkreise bis hinunter nach Konstanz. Kadoura Rania und ihr Mann Mosoud Khaled zögern noch mit dem Auspacken. Natürlich hatten sie gehofft, ein eigenes Zimmer zugeteilt zu bekommen. In der hoffnungslos überbelegten Erstaufnahmestelle hatten sie dieses Glück noch gehabt. „Für Erwachsene ist das hier kein Problem, aber für die Kinder ist das nicht gut“, sagt die 30-jährige Syrerin und deutet auf ihren kleinen Yousef. „Mein Baby ist schwer krank“, sagt sie und macht mit dem Daumen eine Spritzbewegung vor dem Mund. Der Dreijährige leidet an Asthma – und an den Strapazen der vergangenen Wochen. Aus der syrischen Bürgerkriegsstadt Aleppo hat sich die kleine Familie über die Balkanroute nach Deutschland durchgeschlagen. „Wir sind sehr müde.“

Noch zwei weitere Familien hat der neue Heimleiter Werner Rizman an diesem Morgen willkommen geheißen. „Die einen sind Albaner, die anderen kommen aus Syrien und sind staatenlos, vermutlich Palästinenser“, sagt der Sozialdezernent des Landkreises, Hans-Peter Gramlich nach einem Blick in die Akten. Mit einem bunten Nationalitätengemisch wird es Rizman in den nächsten Wochen zu tun bekommen. Schon am Nachmittag begrüßt er weitere 19 Personen. 32 Parzellen mit je vier Betten hat er zu belegen. Überall gibt es vier Spinde, vier Stühle, Tisch und Kühlschrank. An jeder Parzelle hängt ein Vorhängeschloss. Geduscht wird in den Umkleiden, gekocht in einem Zelt vor dem Haupteingang. „Die Menschen sollen eine Struktur in ihrem Leben haben“, sagt Gramlich. Deshalb habe man die Idee einer Gemeinschaftsverpflegung verworfen. Acht Koch- und Spülkombination stehen aufgereiht im Zelt. Irgendjemand hat auf jeden Spülstein akkurat Geschirrspülmittel, Lappen und Schwamm drapiert. Willkommen in Deutschland.

Vom Jobcenter zum Heimleiter

Da muss auch Rizman schmunzeln. Bisher arbeitete der 56-Jährige beim Jobcenter. Als Ermittler war er auf der Suche nach schwarzen Schafen, die zu Unrecht Hartz IV bezogen. Doch durch die niedrigen Arbeitslosenzahlen gab es da nicht mehr so viel zu tun. Jetzt freut er sich auf den Umgang mit Menschen aus aller Herren Länder. Verständigen wird er sich auf Englisch und mit Händen und Füßen.

Ende Oktober soll die Halle wieder geräumt werden und für den Schulsport zur Verfügung stehen. Bis dahin entsteht auf dem Sportplatz des Berufschulzentrums ein Containerdorf mit 211 Plätzen. Auf den örtlichen Arbeitskreis Asyl kommt viel Arbeit zu. Der Oberbürgermeister Frank Dehmer ist dennoch optimistisch, dass es in Geislingen „nicht zu Zuständen wie in manch anderer Stadt“ kommt. „Da muss man sich ja schämen“, sagt er. Allerdings verlässt sich die Kreisbehörde nicht nur darauf. Nachts wird ein Sicherheitsdienst vor der Halle patrouillieren.