Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die NPD nicht zu verbieten, leitet die Rechtsextremismus-Expertin Ellen Esen eine Verpflichtung ab: Die Kräfte der Zivilgesellschaft müssen gestärkt werden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil gegen ein Verbot der rechtsextremen NPD ausgesprochen. Auch aus Sicht von Ellen Esen hätte ein Verbot wenig Sinn gemacht. Dennoch warnt die Rechtsextremismus-Expertin vor der Partei.

 
Frau Esen, welches Signal geht von der Karlsruher Entscheidung an die rechte Szene aus?
Bei der NPD knallen jetzt die Sektkorken. Bei dem in Baden-Württemberg starken Kreisverband Rhein-Neckar wird „NPD-Perlwein stilvoll aus der Dose“ getrunken. Man gibt sich sehr euphorisch, was den Neuaufbau und die Gewinnung von Mitgliedern angeht. Ich halte das aber für sehr vollmundig, denn wie es ja im Urteil zum Ausdruck gekommen ist, befindet sich die NPD in einem desolaten Zustand.
Laut Urteil ist die NPD verfassungsfeindlich, aber sie ist nicht in der Lage, die Demokratie zu stürzen. Sind die Kräfte der Zivilgesellschaft so mächtig?
Ich hoffe darauf. Aber dazu braucht es dringend die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Die Ortschaft Jamel in Mecklenburg-Vorpommern wurde im Urteil als Ausnahmefall genannt, wo es eine „nationalbefreite Zone“ gibt. Für Anklam wurde betont, es gebe auch Kräfte, die sich gegen die rechte Szene engagieren. Wenn ihre Existenz einer der Gründe gegen ein Verbot ist, dann brauchen wir diese Kräfte überall und müssen sie stärken. Sie dürfen gesellschaftlich nicht marginalisiert oder als linksextrem dargestellt werden. Das ist der Auftrag, der aus dem Urteil hervorgeht. Das muss gefördert werden.
Aber nicht nur die NPD bedroht die demokratischen Werte.
Nein, nicht nur die. Der harte Kern der extremen Rechten besteht in Baden-Württemberg aus mindestens drei Gruppierungen. Das ist die Partei Die Rechte, die zurzeit laut Verfassungsschutzbericht 80 Mitglieder hat. Die Partei Der Dritte Weg hat 30 Mitglieder, die NPD 410. Dazu kommt noch die identitäre Bewegung, deren Mitgliederzahl sich nicht genau beziffern lässt. Aber das rechte Spektrum ist breit, dazu muss man auch rechtspopulistische und völkische Positionen rechnen. Es geht um Haltungen und Einstellungen. Studien bestätigen uns, dass über Jahre hinweg rechtsextremistische Einstellungen in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Da gilt es anzusetzen. Die Parteien sind das Fettauge, das auf diesen Einstellungen schwimmt und von den Einstellungen getragen wird. Ideologiefragmente sind längst in den sogenannten Mainstream eingesickert.