Plötzlich mag die NPD doch Stellung nehmen in Karlsruhe, um letztendlich einem Verbot zu entgehen. Ihr Anwalt Peter Richter überreicht dem Bundesverfassungsgericht zwei prall gefüllte Aktenordner. Seine bisherige Taktik war nicht aufgegangen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Kurz nach der Mittagspause des zweiten Tages im NPD-Verbotsverfahren ist es noch einmal heiter geworden. Man habe die Zeit genutzt und doch zur Sache Stellung genommen, sagte NPD-Anwalt Peter Richter – dann überreichte er dem Bundesverfassungsgericht zwei prall gefüllte Aktenordner. Bis dahin hatte die Partei keine Angaben zur Sache gemacht – angeblich aus Furcht vor Bespitzelung. Die Taktik war nicht aufgegangen.

 

Das Ganze roch von Anfang an nach einem Versuch, das Verfahren mit neuen Anträgen und Stellungnahmen in die Länge ziehen zu wollen. Dem hatte das Gericht den Wind aus den Segeln genommen. Der Zweite Senat sieht keine Verfahrenshindernisse durch eingeschleuste V-Leute wie im Jahr 2003, sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Und er sagt noch etwas: Seit dem Verbotsantrag im Jahr 2013, spätestens jedoch seit dem Eröffnungsbeschluss vom Dezember habe die Pflicht zur Vorbereitung bestanden. Gleichwohl räumt er der Partei eine Frist von sechs Wochen nach Ende der mündlichen Verhandlung ein. So lange habe die NPD Zeit, neue Aspekte einzureichen. Sollten diese den Senat beeindrucken, werde erneut mündlich verhandelt, so Voßkuhle. Nicht nur die knappe Begründung, mit welcher das Gericht die Befangenheitsanträge abgeschmettert hat, spricht dafür, dass dies eine sehr theoretische Option sein wird.

Es geht um Grundsätzliches

Ganz so unvorbereitet wie zur Schau gestellt ist die NPD denn aber schon am Vormittag nicht gewesen, als die Verhandlung zur Sache endlich begann. Wie das Urteil ausgehen wird, steht derzeit in den Sternen. Dass schon die Verhandlung und die darin vorgetragenen Argumente noch Generationen von Jurastudenten beschäftigen werden, ist heute schon klar. Es geht in Karlsruhe um Grundsätzliches. Zunächst einmal nur darum, den an sich einfach klingenden Artikel 21 des Grundgesetzes, der ein Parteiverbot regelt, so zu konkretisieren, dass er in die heutige Zeit passt. Das letzte Verbot und die Begründung dazu sind sechs Jahrzehnte alt – es herrscht Einigkeit, dass an manchen Stellen eine Überarbeitung notwendig ist. Erst in einem zweiten Schritt soll am Donnerstag darüber befunden werden, inwiefern die NPD den aufgestellten Kriterien entspricht.

Praktisch jeder einzelne Begriff der Norm wird seziert, zerlegt, gewendet. Was ist eine Partei? Was versteht man unter freiheitlich-demokratischer Grundordnung? Was bedeutet es, sie zu „beseitigen“ oder zu „beinträchtigen“? Das ist Staatsrecht auf hohem, sehr grundsätzlichem Niveau – mit durchaus amüsanten Momenten. Christoph Möllers, Lehrbeauftragter für Staatsrecht an der Humboldt-Universität in Berlin und in Karlsruhe als Prozessbevollmächtigter für den Bundesrat tätig, musste sich von Verfassungsrichter Peter Müller einen Passus aus seinem eigenen Buch vorhalten lassen. „Parteienverbote helfen der Demokratie nicht“, hatte der Professor, der nun die Argumente für ein NPD-Verbot sammelt, da geschrieben, und dass die Politik nur die Verantwortung an die Juristen weiterschiebe. Möllers berichtete von Gesprächen mit Politikwissenschaftlern in Mecklenburg-Vorpommern, die maßgeblich zu einem Meinungswechsel beigetragen hätten – und umreißt seine Vorstellungen für ein Parteiverbot.

Uneinige Extremismusforscher

Einer der Knackpunkte: Ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen? Nicht unbedingt, meint Möllers, weil es ja gar keine andere Mittel gibt als das Verbot, wenn denn eine Partei die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. NPD-Anwalt Richter sieht das anders, fordert – wie im Versammlungsrecht –, mildere Mittel bereitzustellen, zur Not auch eine Befristung der Verbotsmaßnahme. Das ist wesentlich, denn die NPD hat angekündigt, im Falle eines Verbots vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen – dort ist ein Parteiverbot noch komplizierter als in Karlsruhe, und die Verhältnismäßigkeit spielt auf jeden Fall eine Rolle.

So unterschiedlich die juristischen Definitionen, so unterschiedlich sind auch die Einschätzungen der Extremismusforscher, die das Gericht als Experten hörte. „Die NPD ist ein Zwerg und spielt nicht die geringste Rolle“, versicherte der Chemnitzer Professor Eckhard Jesse. Sein ehemaliger Schüler Steffen Kailitz, der sich in Dresden nun einen eigenen Namen erarbeitet hat, sieht die Partei in der Tradition der NSDAP – und einen „hinreichenden Einfluss“ der NPD auf die Politik. Die Verhandlung wird an diesem Donnerstag fortgesetzt.