Die Realisierung der Gedenkstätte in der ehemaligen Gestapozentrale an der Dorotheenstraße hängt an der finanziellen Beteiligung der Stadt Stuttgart. Doch Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) will vorher die Konzeption kennen.

Stuttgart - Eigentlich hatte Stuttgarts OB Fritz Kuhn (Grüne) schon am Mittwoch vergangener Woche seine Haltung zum Hotel Silber darlegen wollen. Bei einem Besuch im Haus der Geschichte, umrahmt von den Widerstandskämpfern im Dritten Reich in der Sonderausstellung „Anständig gehandelt“, wollte er verkünden: Ja, die Stadt Stuttgart beteiligt sich an den Kosten für die Gedenkstätte in der ehemaligen Gestapozentrale an der Dorotheenstraße. Wobei ihm aber der Zusatz wichtig gewesen wäre: im Grundsatz beteiligt sich die Stadt.

 

Dummerweise kam Kuhn das Debakel um den Fernsehturm dazwischen, und er musste den Besuch kurzfristig absagen. An seiner im Prinzip positiven Haltung hat sich aber nichts geändert, wie er gestern gegenüber der StZ bekräftigte. Damit liegt Kuhn im Übrigen auf einer Linie mit einer Mehrheit aus Grünen, SPD und SÖS/Linke im Gemeinderat. Der Weg ist also weitgehend frei, diese größte Gedenkstätte in ganz Baden-Württemberg zu verwirklichen – die Haltung Stuttgarts ist der letzte große Knackpunkt.

Kuhn will andere Konflikte mit dem Land gleich mitverhandeln

Allerdings ist für Fritz Kuhn überhaupt nicht ausgemacht, dass die Stadt tatsächlich die Hälfte der Kosten für Konzeption und Betrieb bezahlt, wie es das Land als Eigentümer der Immobilie gerne hätte. Zuerst müsse die Konzeption feststehen, damit klar sei, von welcher Größe und von welchen Inhalten man rede: „Man verhandelt doch im Autohaus auch nicht über den Preis, wenn man noch gar nicht weiß, welches Auto man kauft“, sagte Fritz Kuhn am Mittwoch. Auch kann die Stadt nicht ganz nachvollziehen, warum sie sich zu 50 Prozent an der Raummiete beteiligen soll, wenn das Gebäude doch dem Land gehört, das gar keine Miete verlangen müsste. Es kann also durchaus noch einige Zeit dauern, bis Kuhn eine Zahl unterschreibt – zumal die Stadt gerade mit dem Land weitere finanzielle Konflikte austrägt, wie beim Staatstheater oder bei der John-Cranko-Schule. Das soll jetzt alles gemeinsam auf den Tisch.

Das Land hat dagegen andere Erwartungen. Finanzminister Nils Schmid (SPD) hat Kuhn jüngst in einem Brief um eine Entscheidung bis zum 7. Mai gebeten: An diesem Tag trifft sich erneut der Runde Tisch aller Beteiligten. Schmid erwartet vom „lieben Fritz“, wie er ihn im Brief anspricht, dass die Stadt die Kosten des laufenden Betriebes in Höhe von einer Million Euro pro Jahr zur Hälfte übernimmt. Die Konzeption und Realisierung der Ausstellung wird mit 3,5 Millionen Euro veranschlagt; auch daran soll Stuttgart die Hälfte tragen. Der Umbau des linken Gebäudeteils mit 1000 Quadratmetern kostet drei bis fünf Millionen Euro. Diesen Betrag will das Land alleine zahlen.

Initiative bekommt ein Büro in der Gedenkstätte

Ein weiterer Konflikt ist dem Vernehmen nach dagegen ausgeräumt. Lange hatte die bürgerschaftliche Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber darauf gedrungen, dass eine Stiftung die Trägerschaft der  Gedenkstätte übernehmen soll. Jetzt scheint es eine einvernehmliche Lösung zwischen der Initiative und dem Haus der Geschichte zu geben. Danach gehört der Erinnerungsort, wie andere Gedenkstätten auch, strukturell künftig zum Haus der Geschichte; aber die Initiative soll im Verwaltungsrat und im Gremium für die Programmplanung mit entscheiden dürfen und auch ein Büro im Hotel Silber erhalten. Bisher hat das Land dem vorliegenden Entwurf aber noch nicht zugestimmt.

Ein anderes Problem aber schwelt weiter. In Baden-Württemberg gibt es rund 70 Gedenkstätten, die an die Gräueltaten der Nazis erinnern. Sehr viele werden allein von ehrenamtlichen Kräften betrieben, nur zwei haben hauptamtliches Personal: In Grafeneck wird an 10 654 behinderte Menschen erinnert, die dort ermordet wurden; im Oberen Kuhberg in Ulm war von 1933 bis 1935 ein zentrales Konzentrationslager für Württemberg untergebracht. Alle 70 Stätten erhalten zusammen vom Land 300 000 Euro pro Jahr an Zuschüssen – das Hotel Silber ist hingegen allein mit 500 000 Euro an Landesmitteln veranschlagt.

Andere Gedenkstätten befürchten finanzielles Ungleichgewicht

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten (LAGG) befürchtet deshalb – trotz der Freude über das Hotel Silber – ein gehöriges Ungleichgewicht in der finanziellen Ausstattung. Thomas Stöckle, der Sprecher der LAGG und Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, sagt: „Wir müssen bei uns aus Personalmangel Besuchergruppen absagen, und Forschung können wir schon lange nicht mehr betreiben. Das passt dann im Verhältnis zum Hotel Silber einfach nicht mehr.“ Harald Stingele, der Sprecher der Stuttgarter Initiative, versteht das: „Alle Gedenkstätten sind extrem unterfinanziert. Aber das kann nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass man im Hotel Silber alles von vorneherein beschneidet.“

Stöckle hofft nun auf eine „Win-win-Situation“: Denn die LAGG hat selbst ein Konzept vorgelegt, nach dem sich die Gedenkstätten zu vier Verbünden zusammenschließen; wenigstens jeder Verbund soll einen hauptamtlichen Mitarbeiter erhalten und so professionellere Strukturen aufbauen können. Auf 750 000 Euro müsste dafür der Landeszuschuss angehoben werden. „Wir wünschen uns, dass das Land dies mitträgt, möglichst schon mit dem Haushalt 2013/14“, sagt Stöckle.

Der Terror in Württemberg ging vom Hotel Silber aus

Hotel Das Gebäude in der Dorotheenstraße 10 war 1873 von Heinrich Silber erworben und zum Luxushotel umgebaut worden – daher der bis heute gültige Name „Hotel Silber“. Das Hotel schloss im Ersten Weltkrieg.

Polizei Ende der 1920er Jahre zog die Stuttgarter Polizei in das Gebäude ein. Zum Apparat gehörte auch die „Politische Polizei“, aus der später die Geheime Staatspolizei (Gestapo) hervorging. Von 1945 bis 1984 wurde das Haus wieder von der Polizei genutzt.

Gestapo Schon kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers verdreifachte sich das Personal der „Politischen Polizei“. Bald war die Gestapo für ganz Württemberg zuständig. 1934 arbeiteten mehr als 200 Menschen für die Behörde. Im Land gab es Außenstellen.

Verfolgung Vom Hotel Silber aus wurden jene Menschen überwacht und verfolgt, die dem Regime nicht passten: politisch Andersdenkende, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, später auch die Zwangsarbeiter. Auch die Deportation der württembergischen Juden wurde von der Dorotheenstraße aus geplant. In den Büros und in den Zellen im Keller kam es bei den Verhören immer wieder zu schwersten Misshandlungen.

Gedenkstätte Das Gebäude sollte im Zuge der Neubebauung des Viertels abgerissen werden. Zahlreiche Bürger protestierten, auch fand man heraus, dass authentische Teile des Gebäudes erhalten sind. So beschloss die rot-grüne Landesregierung 2011, das Haus zu erhalten und in eine Gedenkstätte umzubauen. Diese könnte mit etwa fünf Mitarbeitern zur größten Gedenkstätte im Land werden.