Mit zwei Mahnmalen will die Stadt Geislingen an den Nazi-Terror erinnern. Sowohl der WMF-Zwangsarbeiterinnen wie auch der mutigen Frauen von Altenstadt, die eine Panzersperre beseitigt haben, soll damit gedacht werden.

Region: Corinna Meinke (com)

Geislingen - Sie haben die Panzersperre bei der Adlerbrauerei zur Abwehr der vordringenden amerikanischen Truppen mit unerschrockenem Mut unter Einsatz ihres Lebens eigenhändig abgebaut und damit die sinnlos gewordene Verteidigung der Stadt, die Zerstörung der dortigen Wohnhäuser und unnötiges Blutvergießen verhindert – diese Worte sollen auf einer Gedenktafel stehen, die im nächsten Frühjahr am Rathaus in Altenstadt angebracht wird. Die 78 Frauen aus Altenstadt, die im April 1945, „die Stadt mit Entschlossenheit und Tatkraft vor großen Opfern und Schaden bewahrt haben“, erfahren damit eine späte Ehrung. Zudem soll eine Stolperschwelle in der Eberhardstraße gegenüber der WMF an die rund 800 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen erinnern, die von der WMF in der Rüstungsproduktion verheizt worden waren.

 

Der Geislinger Gemeinderat hat nun beide Projekte einstimmig beschlossen. Die Ehrung für die mutigen Altenstädterinnen geschieht sozusagen im zweiten Anlauf. Bereits im April 1947 hat die Stadt Ehrenurkunden für die 78 Frauen drucken lassen, deren Namen man inzwischen herausgefunden hatte. Diese Urkunden sind allerdings nie überreicht worden, und es kam auch nie zu der angekündigten Verleihungsfeier durch die Kommune. Dies sei aus fadenscheinigen und unverständlichen Gründen auf die lange Bank geschoben worden, sagt der Stadtarchivar Hartmut Gruber, der die Urkunden wieder entdeckt hat.

Ehrenurkunden wurden nie unterschrieben

Bekannt sei nur, dass auf den Urkunden die Unterschrift des damaligen Oberbürgermeisters Friedrich Karl von Siebold fehlte. Gruber bedauert, dass es aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar ist, wie es dazu gekommen ist. „Es ist rätselhaft, dass sich diese Urkunden bis heute im Archiv befinden“, sagt er. Inzwischen hat die Stadt den Nachkommen der mutigen Frauen Faksimiledrucke angeboten.

Im Geislinger Stadtbild erinnert nur wenig an den Nazi-Terror. Es gibt bisher keine Stolpersteine, also Gedenksteine mit den Namen deportierter jüdischer Bürger. An die WMF-Zwangsarbeiterinnen erinnert lediglich ein Mahnmal auf dem Friedhof. Ferner ist eine Kurzdokumentation wissenschaftlicher Arbeiten über die NS-Zeit in Geislingen auf 15 dürren Seiten mit der städtischen Homepage verlinkt.

Erste Pläne für Mahnmal gescheitert

Den Anstoß für die Aufarbeitung der lange Zeit verdrängten Geislinger NS-Vergangenheit hat die SPD-Gemeinderatsfraktion mit ihren Anträgen für die beiden genannten Projekte gegeben. Ihr Sprecher Hansjürgen Gölz sagt, dass die Zeit reif sei für eine Aufarbeitung. Vor 30 Jahren sei daran noch nicht einmal zu denken gewesen.

In den 80er Jahren waren Gölz und einige Mitstreiter mit dem Plan gescheitert, im Stadtpark ein Mahnmal für die Geislinger Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Das wäre aus damaliger Sicht, gegenüber dem WMF-Gelände, der richtige Platz gewesen, meint der langjährige Stadtrat. „Die Ungarinnen waren ja lauter junge Mädchen und Frauen im Alter von 18 bis 20 Jahren. Die Erinnerung an sie hätte nicht auf den Friedhof gehört, sondern mitten in die Stadt.“

Als Nestbeschmutzer seien sie damals beschimpft worden, erinnert er sich. Ihm sei auf dem Höhepunkt der Kontroverse in anonymen Briefen nahegelegt worden, „nach drüben zu gehen“. Auch die WMF habe sich damals gegen das Ansinnen gewehrt.So wurde lediglich auf dem Friedhof Heiligenäcker das Mahnmal „Der geschundene Kopf“ errichtet. Damit sei er inzwischen auch einverstanden, erklärt HansjürgenGölz, der froh ist, dass dies heute anders ist. Offenbar sei das politische Bewusstsein gewachsen.

Gölz: Weitere Forschungsansätze vorhanden

Der SPD-Stadtrat wünscht sich aber noch mehr Aufarbeitung. Für wichtig hält der Sozialdemokrat die Erforschung der Person des René Romanns, des Kommandanten des Echterdinger Konzentrationslagers, der später in Geislingen Lagerführer wurde. Auch die Rolle der WMF während der Nazizeit böte noch viele Forschungsansätze, vermutet er.

Fast 70 Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner können sich heute nur noch wenige Geislinger an das Geschehen aus eigenem Erleben erinnern. Die Geschichte der Frauen von Altenstadt hat sich aber offensichtlich im Bewusstsein vieler Menschen festgesetzt. So erinnert sich Roland Funk, der seit 20 Jahren für die Freien Wähler im Gemeinderat sitzt, an manches Gespräch unter Ratskollegen bei Nachsitzungen, in dem bedauert wurde, dass man dieses herausragende Beispiel von Zivilcourage nie in einem offiziellen Rahmen gewürdigt hatte.

Im April 1945 waren bei der Adlerbrauerei Panzersperren aus Balken errichtet worden. Aus Sorge, die näher rückenden Amerikaner könnten deshalb ihre Häuser mit Granaten beschießen, bauten die Altenstädterinnen die Sperre ein Stück weit ab. Zwar ließ der Reichsstatthalter Murr die Barriere wieder errichten, was die Frauen trotz der ihnen angedrohten standrechtlichen Erschießungen aber nicht davon, diese erneut abzubauen. Als die Amerikaner am 21. April an der Siechenbrücke auftauchten, war die Panzersperre schon zur Hälfte wieder entfernt.

Kommentar von Corinna Meinke

70 Jahre sind vergangen, seitdem die mutigen Frauen von Altenstadt Zivilcourage bewiesen haben. Erst jetzt sind die Archivalien wieder aufgetaucht, die das belegen. Es ist wahrlich müßig, zu kritisieren, dass die Geislinger kurz nach dem Krieg nicht den Mut fanden, die Leistung der Frauen zu honorieren. Aber die Frage muss erlaubt sein, warum die Aufarbeitung so viele Jahrzehnte verschlafen wurde. Handelt es sich hier doch um ein äußerst positives Erinnern – an wahre Heldentaten.

Wie viel schwerer fällt im Vergleich dazu das Erinnern an die NS-Gräueltaten, die den WMF-Zwangsarbeiterinnen widerfahren sind: Wurden diese Frauen zu krank zum Arbeiten, transportierten die Nazis sie nach Auschwitz, wo sie in den Gaskammern umkamen.

Die Erinnerung an den Naziterror fällt in Geislingen heute noch mager aus. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse fristen in Archiven ein Schattendasein, und erst, wenn die Stolperschwelle für die 800 ungarischen Zwangsarbeiterinnen verlegt sind, blitzt auf einigen Zentimetern im Asphalt Geschichte auf. Noch wichtiger ist aber, was in den Köpfen und Herzen aufblitzt. Es ist höchste Zeit für eine ausführliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Daran muss in Geislingen gearbeitet werden.