Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) lenkt im Streit um ein angemessenes Gedenken ein: Nun wird ein Platz für eine Gedenktafel am früheren Kinderkrankenhaus in der Türlenstraße 22 gesucht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Mit weitgehender Sicherheit sind während der NS-Zeit auch im Stuttgarter Kinderkrankenhaus an der Türlenstraße 22 behinderte Kinder ermordet worden. Seit Jahren gibt es eine Auseinandersetzung um ein angemessenes Gedenken daran. Nun hat Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne), der bisher eine Tafel an der heutigen Klinik für Spezielle Psychiatrie des Bürgerhospitals abgelehnt hatte, eingelenkt. „Zeitnah“, sagte er, werde es mit allen Beteiligten einen Termin in der Türlenstraße geben, um sich „einen ersten Eindruck über die räumlichen und gestalterischen Möglichkeiten einer Gedenktafel oder Vergleichbares zu verschaffen.“

 

In dieser Sache hat es am Montag ein klärendes Gespräch zwischen Wölfle, dem Leiter des Stadtarchivs, Roland Müller, und dem besten Kenner der Materie, Karl-Horst Marquart, gegeben. Marquart hat erst vor wenigen Wochen sein Wissen in dem Buch „Behandlung empfohlen! NS-Medizinverbrechen an Kindern und Jugendlichen in Stuttgart“ veröffentlicht. Bei rund 50 Kindern und Jugendlichen in Stuttgart hat Marquart nach der Durchsicht aller Krankenakten den Verdacht, dass sie keines natürlichen Todes starben. Nach dem Gespräch, so Wölfle, habe für ihn endgültig festgestanden, dass es historisch und emotional richtig sei, eine Gedenktafel in der Türlenstraße anzubringen.

Die Kinder wurden mit einer Überdosis Luminal getötet

Das Zögern des Bürgermeisters hing damit zusammen, dass es zwei Aufsätze des Historiker Rolf Königstein gibt, der die Tötung von Kindern in Stuttgart als nicht bewiesen ansieht. Wissenschaftlich korrekt hat Roland Müller auch diese Position in seinem Gutachten für die Stadtverwaltung angeführt. „Ich kann und möchte als Historiker nichts verschweigen“, so Müller. Er habe aber immer betont, dass es „starke Indizien“ dafür gibt, dass in Stuttgart wie in rund 30 anderen Städten auch Kinder bewusst aus den Familien abgeholt und im Krankenhaus mit einer Überdosis Luminal getötet wurden. Er habe deshalb die Gedenktafel von Beginn an befürwortet. Durch eine unglückliche Formulierung im Anschreiben des Gutachtens sei dies aber nicht ganz deutlich geworden, räumt er heute ein. Karl-Horst Marquart hält die Morde sogar für belegt.

Im Gespräch mit den Beteiligten wird allerdings deutlich, dass auch atmosphärische Störungen zu dem langen Konflikt beigetragen haben. Manche Bürger im Arbeitskreis „Euthanasie“ und in den Stolperstein-Initiativen sind verärgert, dass Werner Wölfle in den vergangenen drei Jahren alle ihre Bemühungen um ein Gedenken ignoriert und einmal sogar anderthalb Jahre gebraucht hat, um einen Brief zu beantworten. Umgekehrt halten Wölfle und Müller gewisse Vorwürfe, die ihnen in den vergangenen Wochen gemacht worden seien, für inakzeptabel; manche hätten sie sogar der Leugnung der Nazimorde bezichtigt, so Werner Wölfle.

Doch nun scheint der Konflikt gelöst zu sein. Alle Beteiligten werden eine Einladung zu dem Vor-Ort-Termin am Bürgerhospital erhalten. Die Tafel soll an einem Platz aufgestellt oder aufgehängt werden, wo sie nicht übersehen wird, wo sie aber auch nicht gleich alle Patienten erschreckt. Schließlich sind die meisten Patienten in der Klinik psychisch angeschlagen.