Im Untersuchungsausschuss sagen erstmals zwei ehemalige NSA-Mitarbeiter als Zeugen aus. Dabei wird das Ausmaß der Ausspähung offenbar – die nach den Terroranschlägen in den USA massiv erweitert wurde.

Berlin - Nach dem 11. September gab es so etwas wie Privatsphäre nicht mehr.“ William Binney wählt klare Worte im NSA-Untersuchungsauschuss in Berlin. So klare Worte, dass selbst der Ausschuss-Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU) seine Verwunderung über das Ausmaß der Ausspähpraktiken der amerikanischen National Security Agency (NSA) nicht zurückhalten kann. Binney muss jedoch kein Blatt vor den Mund nehmen: 31 Jahre arbeitete er für den Geheimdienst, zuletzt als technischer Direktor. Im Oktober 2001 kündigte er. „Ich wollte mit diesen Verbrechen nichts zu tun haben“, sagt er mit Bezug auf die massenhafte Sammlung und Speicherung von Daten durch den Geheimdienst.

 

Wie Edward Snowden auch ist William Binney ein Whistleblower: Er gibt Geheimnisse seines ehemaligen Arbeitgebers preis, weil er davon überzeugt ist, dass die Öffentlichkeit von diesen „fundamental verfassungswidrigen“ Praktiken der NSA erfahren soll. Im Gegensatz zu Snowden jedoch kann Binney persönlich als Zeuge im deutschen NSA-Untersuchungsausschuss aussagen. Dort erzählt er, wie der Geheimdienst von der gezielten Überwachung bestimmter Gruppen zur umfassenden Überwachung aller Individuen überging. Jetzt sei die Philosophie der NSA, „alles umzusetzen, was technisch möglich ist“. Die Befragung zog sich bis in den Abend hinein. Als zweiter Zeuge sagte Thomas Drake aus. Auch er hatte als ehemaliger NSA-Mitarbeiter Interna an die Öffentlichkeit gegeben.

Alle Daten werden so lange wie möglich aufbewahrt

Der 11. September 2001, als islamistische Terroristen in New York und Washington zuschlugen, sei „der Hebel“ gewesen, so Binney, um die bereits technisch mögliche Totalüberwachung auch politisch durchzusetzen. „Das war auch von ganz oben so gewünscht“, sagt er. In diesem Zeitraum habe auch die Zusammenarbeit mit privaten Firmen und der Zugriff auf deren Daten gegen Bezahlung begonnen. Auch das sei ein Unterschied zur Prä-9/11-Ära gewesen. „Wir haben gesammelte Daten nach der Auswertung noch weggeworfen, heute gilt das Prinzip: Bewahre alle Daten so lange wie möglich auf.“ Die auf sein Bestreben hin eingebauten Sicherungen der Datensammelprogramme gegen ausufernde Überwachung seien schnell entfernt worden, sagt Binney. „Wir haben uns wirklich auf die dunkle Seite begeben“, kommentierte der Ex-NSA-Mitarbeiter.

Das sei so einfach gewesen, weil es technisch problemlos war. Um die Metadaten aller Bewohner der Erde zu speichern, bräuchte man einen Raum, der gerade halb so groß wie der Ausschusssaal wäre. Aber: „Das Sammeln von zu vielen Daten macht die Überwachung disfunktional.“ So viel könne niemand auswerten.

Streit über die Internet-Übertragung der Sitzung

Thomas Drake, der zweite Zeuge, gehe durch seine Aussage hier ein großes Risiko ein, sagte Jesselyn Radack. Ihm drohe in den USA Anklage wegen Verbrechen gegen das Spionagegesetz, erklärte die Anwältin, die auch Edward Snowden vertritt. Drake konnte die Beobachtungen Binneys noch verschärfen. Er war von 2001 bis 2006 Mitarbeiter der NSA. „Die Souveränität unserer Bürger steht auf dem Spiel. Ich weiß es, weil ich Augenzeuge war. Zur Zusammenarbeit der NSA mit dem BND sagte Drake: „Das Schweigen des BND ist schrecklich.“ Die Bürger hätten ein Recht darauf zu erfahren, wie der „Wurmfortsatz der NSA“ mit dieser kooperiere.

Im Vorfeld der Sitzung hatte es eine Debatte darüber gegeben, ob die Aussage der Zeugen per Internet übertragen werden solle. Die CDU setzte sich in einer Ausschuss-Abstimmung mit einem Nein unter Berufung auf die Strafprozessordnung durch. Eine öffentliche Übertragung würde die Aussagen der Zeugen beeinflussen. Die SPD enthielt sich. Kritik kam dabei von der Opposition.