Der Landtag glaubt den Sicherheitsbehörden nicht mehr alles und sieht ihnen auch nicht mehr alles nach. Das ist der erste Erfolg des NSU-Untersuchungsausschusses. Eine Analyse von Reiner Ruf.

Stuttgart - Ein großes Raunen hebt an, jetzt, da die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zum Feuertod des Florian H. wieder aufgenommen hat – jenes jungen Mannes, der im September 2013 am Cannstatter Wasen in seinem Peugeot verbrannte. Polizei und Staatsanwalt gingen damals schnell von einem Suizid aus, obwohl sie von der Vorgeschichte wussten: dass der Ex-Neonazi Florian H. am selben Tag erneut von Beamten des Landeskriminalamts vernommen werde sollte, weil er sich im Heilbronner Neonazi-Milieu herumgetrieben hatte – und nach Zeugenaussagen damit angab, er kenne die Mörder der Polizistin Michèle Kiesewetter. Von der Polizei zur Rede gestellt, bestritt er Letzteres. Statt dessen berichtete er von einer rechtsterroristischen Gruppe namens „Neoschutzstaffel (NSS)“, die mit den Mördern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gemeinsame Sache mache. Starb Florian H., weil Rechtsextremisten Verrat fürchteten?

 

Klappe zu, Fall erledigt

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags hat die Suizid-Theorie eher erhärtet denn erschüttert. Dass die Staatsanwaltschaft den Fall dennoch wieder aufrollt, ist weniger neuen Hinweisen auf einen Mord geschuldet als dem Eingeständnis, dass schlampig gearbeitet wird, wo eine Machete und eine Pistole im Wagen übersehen werden. Und dass der Horizont eng ist, wenn die Frage ausgeblendet bleibt, ob Florian H. von seinen alten Kameraden aus der rechtsextremen Szene in den Freitod getrieben wurde. Denn in diesem Fall sollte man doch wissen wollen, was das für Leute sind, die solches treiben, und was sie zu verbergen haben. Diesem Aufklärungsinteresse, das hat der Untersuchungsausschuss ans Licht gebracht, standen entgegen: der Wille zur zügigen Erledigung des Verfahrens und der Unwille, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, auch wenn die Suizid-Theorie plausibel erschien. Klappe zu, Fall erledigt, der Nächste bitte!

Die CDU kündigte am Dienstag an, die beiden zuständigen Minister Reinhold (Gall) und Rainer Stickelberger (SPD) vor den Untersuchungsausschuss zu zitieren. Da kann man nur sagen: Guten Morgen, liebe Leute. Mit Ausnahme der Grünen hatte lange Zeit niemand im Landesparlament einen Untersuchungsausschuss für nötig befunden. Auf die eigenen Sicherheitsbehörden lassen die Abgeordneten traditionell nichts kommen: Baden-Württemberg ist spitze. Elite, wohin das Auge auch schweift. Vor allem aber sind Beamte Wähler, denen die Landespolitik ihre Fürsorge angedeihen lässt. Mit dem Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld, den Innenminister Gall Anfang 2014 vorlegte, gaben sich die Abgeordneten zufrieden. Offenkundig zu früh.

Nettes Zubrott in Libyen

Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dieses Land ein waches Parlament verdient, das im Umgang mit dem Sicherheitsapparat Kante zeigt. Schon bei Bekanntwerden der Wattestäbchenaffäre musste befremden, mit welcher Nonchalance das Landeskriminalamt verkündete, nun habe man erfolgreich die Phantomfrau identifiziert, in der man lange Zeit die Heilbronner Polizistenmörderin vermutet hatte. Dabei handelte es sich um eine peinliche Fehlspur. Im Jahr 2008 blieb der damalige Innenminister Heribert Recht (CDU) mitsamt seiner Polizeiführung monatelang untätig, obwohl sie bereits wussten, dass Spezialkräfte der Polizei auf eigene Faust in Libyen gewesen waren, um dort gegen ein nettes Zubrot Sicherheitsleute des damaligen Staatschef Gaddafi zu schulen. Tätig wurde das Ministerium erst, als die Medien darüber berichteten.

Die in der Außenwirkung desaströse Mitgliedschaft zweier Polizisten beim Ku-Klux-Klan fand eine unverständlich milde Ahndung; auch dies erst nach jahrelanger disziplinarrechtlicher Untätigkeit. Im vergangenen Jahr ließ sich ein Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Technik ein Laptop aus dem Privatwagen stehlen, auf dem tausende von sicherheitsrelevanten Daten aus weiten Teilen des Landes gespeichert waren. Auch von diesem Fall erfuhren die Abgeordneten erst aus der Zeitung. Vor dem zuständigen Parlamentsausschuss erklärte das Innenministerium die Panne zum Dienstgeheimnis. Der einzig erkennbare Zweck der Einstufung als Verschlusssache: Vertuschung eigener Fehler.

Es ist absehbar, dass die Behörden auch im Untersuchungsausschuss kritische Themen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhandeln wollen. Doch angesichts des Misstrauens, das den Behörden inzwischen in allen Fragen des NSU-Komplexes entgegenbracht wird, sollte der Ausschuss solchen Ansinnen entgegentreten.