Das vermeintliche Terrortrio NSU hat seine Mordserie wohl nicht alleine verübt. Genetische Fingerabdrücke verweisen auf einen ominösen vierten Mann. Clemens Binninger, der den Untersuchungsausschuss des Bundestags leitet, dringt auf weitere Ermittlungen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Dreihundertsieben Prozesstermine und zwölf Untersuchungsausschüsse diverser Parlamente haben nicht ausgereicht, ein Rätsel zu lösen: Wie verästelt war der „Nationalsozialistische Untergrund“? Verbirgt sich hinter dem Kürzel NSU tatsächlich ein „Terror-Trio“, wie es immer heißt? Ausgerechnet Clemens Binninger, Christdemokrat aus Sindelfingen, hegt daran Zweifel. Kaum einer kennt sich in der monströsen Mordgeschichte des NSU besser aus als er. Der Abgeordnete Binninger leitet den Zweiten NSU-Ausschuss des Deutschen Bundestags und hatte auch wesentlich zu dem 1357 Seiten umfassenden Abschlussbericht des Vorläufergremiums beigetragen.

 

Der CDU-Mann ist überzeugt davon, dass die braunen Terroristen bei ihren Verbrechen nicht nur zu dritt waren. Neben Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden des Trios, stehen in München vier Unterstützer vor Gericht. Das Netzwerk der Helfershelfer soll um die 100 Neonazi umfassen. Binninger glaubt jedoch, dass es bei den zehn Morden, 15 Banküberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen, die dem NSU angelastet werden, auch Mittäter gab. Er setzt damit ein dickes Fragezeichen hinter die Annahme des Generalbundesanwalts, der nur von drei Tätern ausgeht. Binninger stützt seine Zweifel auf eine Liste von Indizien, die wir hier aufschlüsseln. Wie kriminell sind die Helfershelfer? An keinem einzigen der 27 Tatorte hat die Polizei DNA-Spuren von Uwe Mundlos oder seinem Komplizen Uwe Böhnhardt gefunden. Das stimmt Binninger, der früher selbst Polizist war, skeptisch. Die Täter hatten zum Teil unmittelbar Kontakt mit ihren Opfern. Bei dem Polizistenmord in Heilbronn wurden die beiden niedergeschossenen Beamten von ihren Mördern angefasst, man hat an ihnen herum gezerrt, ihnen die Waffen entwendet. Bei einem der Banküberfälle gab es eine Rangelei mit einem Schalterangestellten. In solchen Situationen schützen auch Handschuhe nicht davor, DNA-Material am Tatort zu hinterlassen: Speichel oder Schweißtropfen. Es genügt, wenn die Täter ins Schwitzen geraten oder husten müssen – kleinste Spuren bleiben haften. Nicht jedoch von Mundlos und Böhnhardt. Gleichzeitig fand sich jedoch anonymes Genmaterial an Asservaten aus deren Wohnmobil. Mehr als 40 dieser Spuren lassen sich nicht zuordnen. Durch aufwendige Untersuchungen wurde ausgeschlossen, dass diese von Ermittlungsbeamten stammen. So hat die Polizei allein in Baden-Württemberg 50 Speichelproben von Fahndern und Kriminaltechnikern erhoben, um sie mit den DNA-Spuren abzugleichen. Ohne Ergebnis. Auf dem Uniformhemd des in Heilbronn angeschossenen Polizisten fand sich DNA-Material eines Mannes und einer Frau, die bisher nicht identifiziert sind. Es stammt nicht von dem Trio. Aber vielleicht von einem unbekannten Mittäter? Gegen 100 NSU-Helfershelfer wurde ermittelt. Aber die Polizei hat nur von 19 DNA-Proben. Die übrigen können nicht zu einem Test gezwungen werden. Binninger hielte es aber für sinnvoll, so viele wie möglich auf freiwilliger Basis zu testen, um so den Kreis der potenziellen Mittäter einzuengen. Was verbirgt sich hinter Spur P46? Unter diesem Kürzel sind zwei anonyme DNA-Spuren in den Ermittlungsakten verbucht. Sie fanden sich an einer Socke, die in dem ausgebrannten Wohnmobil lag, in dem sich am 4. November 2011 auch die Leichen von Mundlos und Böhnhardt fanden. Die beiden Spuren passen nicht zu den genetischen Fingerabdrücken der zwei Haupttäter. Ein Abgleich mit der DNA-Datenbank des Bundeskriminalamtes ergab, dass identische Spuren an drei verschiedenen Tatorten registriert worden waren. In einem Berliner Fall ging es um einen Fahrzeugdiebstahl, der sich im Juni 2002 ereignete. In Nordrhein-Westfalen hatte man 2005 eine Blutspur sichern können, die mit P46 identisch war und die dem mutmaßlichen Mitglied einer Einbrecherbande zugeordnet wurde. In Hessen fand die Polizei im gleichen Jahr eine Wollmütze mit identischen Spuren an einem Tatort, der zu einer Serie von Wohnungseinbrüchen, Diebstahl mit Waffen und Bandendiebstahl gehörte. Unklar ist bisher, ob es auch bei diesen Verbrechen Bezüge zum rechtsextremistischen Milieu gab. Wer hat die Pistole geladen? Genetische Fingerabdrücke eines Unbekannten fanden sich auch auf 15 Patronen einer der Pistolen, die das NSU-Trio bei seiner Mordserie benutzt hat. Sie stammen wiederum nicht von einem Mitglied des Trios. Die Person, die sie dort hinterlassen hat, muss die Waffe geladen haben und käme somit als Mittäter in Frage. Wer hat in Heilbronn geschossen? Anonyme DNA-Spuren hafteten auch einer Waffe an, die bei dem Polizistenmord in Heilbronn benutzt wurde. An keiner der Pistolen, mit denen dort geschossen wurden, fanden sich Spuren des NSU-Trios. Die Waffen der beiden Opfer waren hingegen übersät von genetischen Fingerabdrücken, die Mundlos und Böhnhardt zugeordnet werden konnten.