Es ist ein Nebenkriegsschauplatz, der die Aufklärung der Verbrechen überlagert und im NSU-Prozess für einen schweren Konflikt sorgt: Haben Anwälte auf unlautere Weise Terroropfer als Mandanten für die Nebenklage angeworben?

München - Im NSU-Prozess ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob einige Nebenkläger rechtmäßig als Prozessbeteiligte zugelassen wurden. Die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und des wegen Unterstützung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ angeklagten Ralf Wohlleben kündigten für kommende Woche Erklärungen dazu an. Sie hegen den Verdacht, dass einige Nebenkläger zu Unrecht zum Verfahren zugelassen wurden.

 

Es geht dabei um Geschädigte des Kölner Nagelbombenanschlags im Juni 2004. Dabei waren 22 Menschen verletzt worden, einige von ihnen schwer. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe wegen der Tat versuchten Mord vor. Sie muss sich außerdem wegen der überwiegend rassistisch motivierten Serie von zehn Morden verantworten.

Der Streit um die Zulässigkeit von Nebenklagen entzündete sich am Donnerstag an der Aussage eines Psychologen, der eine türkisch-stämmige Anwohnerin der Keupstraße behandelt. Die Frau hatte selbst ausgesagt, sie leide an schweren Panikattacken und Depressionen. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der die Frau vertritt, wies darauf hin, seine Mandantin sei als Nebenklägerin zugelassen worden, weil die Anklage dem NSU versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung vorwerfe. Die Verteidigung unterstelle nun, „sie hätte gelogen“. Das wiederum wiesen die Verteidiger zurück.

Der Streit hatte sich schon vorher angebahnt, als zwei Zeugen aussagten, die den Anschlag aus nächster Nähe erlebt hatten. Einer von ihnen berichtete, der Frankfurter Rechtsanwalt Ferhan Tikbas sei „an uns herangetreten und wollte uns überzeugen, dass wir als Nebenkläger auftreten“. Das habe er mehrmals abgelehnt, sagte der Zeuge. Er habe sich darum gewundert, dass er wenige Wochen später dennoch Post vom Gericht bekam, das seinen vermeintlichen Antrag angenommen hatte.

Anwalt Tikbas hatte dem Gericht in einem Schriftsatz vom 10. Mai 2013 „unter anwaltlicher Versicherung“ die Namen dreier Parteien mitgeteilt, die er „als Verletztenbeistand“ vertrete. Einer von ihnen ist der Zeuge, der auf Nachfrage des Richters sagte er, es sei ihm „ein Rätsel“, warum der Anwalt „die Unterlagen eingereicht hat“. Eine Vollmacht habe er nie unterschrieben. Ähnlich äußerte sich die Schwiegermutter des Zeugen, die ebenfalls am Donnerstag aussagte und deren Vertretung Anwalt Tikbas ebenfalls angezeigt hatte. Sie sei sich sicher, nie mit dem Anwalt gesprochen zu haben. Tikbas war schon am Vortag in den Fokus gerückt, weil ein weiterer Anwohner der Keupstraße aussagte, er sei zum Zeitpunkt der Explosion gar nicht am Tatort gewesen. Der Richter hatte aus dem Anwalts-Schriftsatz aber eine Passage zitiert, laut der er sich „im Bereich“ des Tatorts aufgehalten habe.

Tikbas erschien am Donnerstag nicht zur Verhandlung in München. Dem Portal „Zeit online“ sagte er, die Geschädigten hätten sich aus eigener Initiative bei ihm gemeldet. Für Nachfragen war er nicht erreichbar. Eine Sprecherin des Gerichts wollte keine Stellungnahme zu dem Vorfall abgeben. Das Gericht müsse ihn zunächst prüfen.

Die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen, darunter die Bundesrechtsanwaltordnung und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, setzen der Werbung von Anwälten enge Grenzen. Das gilt besonders für Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall. Im Vorfeld des Prozesses war bereits die Frage aufgeworfen worden, ob einige Anwälte diese Vorschrift missachtet haben könnten. Beim NSU-Prozess sind 92 Nebenkläger zugelassen, die von 63 Anwälten vertreten werden.