Von „sterbenden Zeugen“ im Ländle war die Rede. Doch ihr Tod ist nun geklärt. Die Karlsruher Staatsanwaltschaft, unter deren Verantwortung die Kriminalpolizei die Fälle Melisa M. und Sascha W. untersuchte, hat mittlerweile beide Ermittlungsverfahren eingestellt.

Stuttgart - Es ist genau 21.16 Uhr, als Sascha W. zum letzten Mal eine Nachricht in sein Handy tippt. Er legt das Gerät aus der Hand und verlässt das Schlafzimmer seiner Kraichtaler Wohnung. Wenige Minuten später ist der 31-Jährige tot. Was wie der Beginn eines Thrillers klingt, ist in Wahrheit das stille Ende eines Falles, der auf bizarre Weise zum Politikum wurde. Denn der im Februar verstorbene Sascha W. war der ehemalige Verlobte von Melisa M., einer Zeugin des NSU-Untersuchungsausschusses im Stuttgarter Landtag. Bei ihrer Aussage im März des vergangenen Jahres hatte W. sie begleitet. Weil M. von Ängsten sprach, reisten die beiden damals im Dienstwagen des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) an. Dann starb die Altenpflegeschülerin überraschend. Nur wenige Wochen nachdem die Parlamentarier sie zu ihrem Verhältnis zum NSU-Zeugen Florian H. befragt hatten, der bereits im September 2013 in seinem Auto verbrannt war.

 

Seitdem hat das Flüstern über die „sterbenden Zeugen im Ländle“ nicht mehr aufgehört. Im Internet, aber auch unter Beobachtern des NSU-Prozesses in München und der Untersuchungsausschüsse.

Der Zeuge Sascha W. hat sich erhängt

Die Karlsruher Staatsanwaltschaft, unter deren Verantwortung die Kriminalpolizei die Fälle Melisa M. und Sascha W. untersuchte, hat mittlerweile beide Ermittlungsverfahren eingestellt. W., da sind sich die Beamten sicher, hat seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Nach Informationen unserer Zeitung hat sich der Mann mit einem Spanngurt erhängt. Kriminaltechniker des Karlsruher Polizeipräsidiums erkannten keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden. Auch in zwei Handys des Verstorbenen und bei der Sichtung seines Facebook-Kontos fanden die Ermittler nichts Verdächtiges. Im Gegenteil: Mit einer WhatsApp-Nachricht und per Facebook soll sich Sascha W. von ihm nahestehenden Personen verabschiedet haben – nur 13 Minuten, bevor sein lebloser Körper gefunden wurde. Aufgrund der Aussagen von Freunden und Bekannten zeichneten die Polizisten das Bild eines jungen Mannes, der mehr als einen Schicksalsschlag zu meistern hatte und daran letztlich scheiterte. Gegenüber einem Neurologen soll W. von Suizidabsichten gesprochen haben.

Auch den Tod von Melisa M. haben Kriminalbeamte akribisch aufgearbeitet. Auf dem Gelände eines Motocross-Vereins stürzte sie demnach mit dem Motorrad und verletzte sich am linken Knie. Hinweise auf eine technische Manipulation der 250 Kubikzentimeter-Maschine ergaben sich laut eines technischen Gutachtens nicht. Obwohl sich M. in der Ambulanz einer Bruchsaler Klinik und bei ihrem Hausarzt versorgen ließ, verschlechterte sich vier Tage nach dem Unfall der Zustand der 20-Jährigen. Beim Einatmen und Husten habe Melisa M. die Lunge weh getan, hatte Sascha W. zu Protokoll gegeben. Eine Apothekerin erinnerte sich an den Mann, der nach ihrer Beratung mit Tabletten und Salbe den Laden verließ. Am frühen Abend fand Sascha W. seine Verlobte krampfend im Badezimmer der gemeinsamen Wohnung. Trotz zweistündiger Herzdruckmassage kam jede Rettung zu spät.

Am Montag tagt der Ausschuss erstmals öffentlich

„Blutgerinnsel im Bereich der Lungenschlagadern“ hätten zu einem Herzversagen geführt, heißt es im Obduktionsbericht der Heidelberger Rechtsmedizin. Als Entstehungsort vermuteten die Ärzte „tiefe Venen“ im linken Unterschenkel. Auch dort fanden sie Gerinnsel. Ein chemisch-toxikologisches Gutachten und eine feingewebliche Untersuchung bestätigten das Ergebnis: „Eine direkte Manipulation von außen, die die Entstehung eines Blutgerinnsels in den Lungenschlagadern bewirkt, ist medizinisch nicht möglich.“

Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler hat angekündigt, dass sich der zweite NSU-Ausschuss, der am kommenden Montag zum ersten Mal öffentlich tagt, nicht mit den Todesfällen beschäftigen werde. Anders sehen könnte das die AfD. Deren Abgeordnete Christina Baum äußerte im Juli im baden-württembergischen Landtag, für sie seien die Fälle Florian H., Melisa M. und Sascha W. „noch nicht erledigt.“ Es bleibt abzuwarten, ob Baum daran auch nach Durchsicht der Akten festhält.