Dem NSU-Ausschuss läuft die Zeit davon. Deshalb empfehlen die Abgeordneten, nach der Landtagswahl weiterzumachen. Inzwischen haben sich neue Tatzeugen zum Heilbronner Polizistenmord bei dem Gremium gemeldet.

Stuttgart - Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags hat die Hoffnung aufgegeben, noch vor der Parlamentswahl seine Arbeit abschließen zu können. Deshalb empfiehlt das Gremium, nach der Wahl im kommenden März einen neuen Ausschuss einzusetzen. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, sagte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD). Vor die Alternative gestellt, das Restprogramm im Schweinsgalopp absolvieren zu müssen oder weiter gewissenhaft vorzugehen, entschied sich der Ausschuss für die letztere Variante. Nun wollen die Abgeordneten noch den Mordanschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewetter bis Dezember gründlich aufarbeiten. Einem künftigen Ausschuss soll es dann vorbehalten bleiben, den Komplex „Rechtsterrorismus in Baden-Württemberg und Nationalsozialistischer Untergrund“ zu behandeln.

 

Es sei eben „höllisch knapp von Anfang an gewesen“, sagte der FDP-Obmann Ulrich Goll – und erinnerte damit an die qualvolle Vorgeschichte des Untersuchungsausschusses, den mit Ausnahme der Grünen keine Fraktion haben wollte. Das empfindet der SPD-Obmann Nikolaos Sakellariou inzwischen als misslich. „In der Rückschau war es ein Fehler“, sagte er. Die SPD-Fraktion hatte den Untersuchungsausschuss mit Rücksicht auf Innenminister Reinhold Gall (SPD) abgelehnt. Gall wiederum hatte mit seiner groß angelegten Polizeireform zu tun und wollte den Polizeiapparat gegen Kritik an fehlerhaften Ermittlungen abschirmen. CDU und FDP zeigten sich generell desinteressiert.

Neue Zeugen melden sich beim Ausschuss

Das hat sich nunmehr geändert, die Empfehlung für einen zweiten Ausschuss erging einstimmig. Der laufende Untersuchungsausschuss war Anfang November 2014 eingesetzt worden, Laut Drexler vernahm der Ausschuss seit Januar 120 Zeugen, 13 Sachverständige und bearbeitete 126 Beweisanträge. Wegen der nahenden Landtagswahl sei eine weitere Beweisaufnahme nur bis maximal Mitte Dezember möglich. Das ist nach Ansicht der Abgeordneten zu wenig Zeit, um noch die rechtsextremistischen Strukturen im Südwesten aufzuklären. Nach den Vorerhebungen des Ausschusses zu rechtsextremen Netzwerken mit NSU-Bezügen im Land geht es bei diesem Themenkomplex um etwa 100 Personen, 25 Bands, um 20 Organisationen, sechs Firmen, sieben Szenetreffs, neun rechte Veranstaltungen und mehrere Rockergruppierungen, die für die Aufklärungsarbeit von Bedeutung sein könnten.

Nach Angaben Drexlers folgten mehrere mögliche Zeugen des Heilbronner Polizistenanschlags dem Appell des Untersuchungsausschusses, sich zu melden. Wie seriös diese Angaben achteinhalb Jahre nach der öffentlich stark beachteten Tat sind, konnte oder wollte Drexler nicht sagen. Ein Zeuge, der angeblich über mit einem Handy aufgenommene Bilder verfügt, wurde vom Ausschuss zur weiteren Bearbeitung an den Generalbundesanwalt weitergereicht. „Da geht es um Handyaufnahmen möglicherweise während der Tat“, berichtete Drexler. Ein anderer Zeuge, der vor den Ausschuss geladen werden soll, offeriert offenkundig Beobachtungen, die auf die mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hindeuten.

Der Onkel bringt Abgeordnete auch nicht weiter

Die Zeugenbefragungen in der nichtöffentlichen Sitzung erbrachten am Freitag keinen Wissensfortschritt. Dies galt auch für die Befragung von Mike W., des Onkels von Michèle Kiesewetter. Er ist Polizist in Thüringen, ihm gilt das besondere Interesse der Abgeordneten, hatte er doch nach der Tat einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Michèle Kiesewetter und deren Kollegen Martin Arnold mit den so genannten Türkenmorden hergestellt. Diese Einschätzung beruhte, wie sich später herausstellte, auf zum Teil falschen Informationen, zum Beispiel hinsichtlich der Tatwaffen. In einer Vernehmung hatte Kiesewetters Onkel gesagt: „Meiner Meinung nach besteht (...) ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türkenmorden. So viel ich weiß, soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türkenmorden eine Rolle spielen.“ Ein spezielles Hintergrundwissen des Zeugen vermochten die Abgeordneten jedoch nicht zu Tage zu fördern, es blieb letztlich dunkel, wie er zu der Aussage kam. Mike W. verwies auf ein Gespräch mit einem Kollegen. Das hat es wohl auch gegeben, aber zu einem späteren Zeitpunkt. Kurzum: Es passt nichts so recht zusammen.

Auch die Befragung eines Profilers des Landeskriminalamts brachte nichts Neues. Fehler vermochte der Beamte nicht zu erkennen, auch wenn der rechtsextremistische Hintergrund des Polizistenmords in der Fallanalyse nicht erkannt wurde. „Das wurde verworfen, weil es unter den damaligen Umständen nicht wahrscheinlich war“, sagte er.