Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss erkundet Bedingungen für eine rechtsextremistische Radikalisierung – und kommt zu erschreckend aktuellen Ergebnissen.

Stuttgart - Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, so drängen sich doch Parallelen auf zwischen dem Anfang der 1990-er Jahre und heute: Zu jener Zeit begann sich das NSU-Trio zu radikalisieren. Für zehn Morde sind Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nach Überzeugung des Generalbundesanwalts verantwortlich, dazu kommen Bombenattentate und Banküberfälle. Die Mordserie riss nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn abrupt ab. Der Weg in den Terror aber begann nach der deutschen Einheit und einem starken, erst durch die Einschränkung des Asylrechts gestoppten Anstiegs der Flüchtlingszahlen – in einem gesellschaftlichen Klima, in dem Rassismus, die Ablehnung und Abwertung von Fremden begünstigt wurde bis hin zur Akzeptanz von Gewalt gegen Ausländern.

 

Der Göttinger Politikwissenschaftler Samuel Salzborn verwies am Montag in der ersten öffentlichen Sitzung des neu konstituierten NSU-Untersuchungsausschusses auf pogromartige Ausschreitungen, Demonstrationen und Anschläge in jener Zeit. Der Rechtsextremismus korreliere mit der Grundstimmung in der Gesellschaft. Den ausländerfeindlichen Grundton hätten die Rechtsextremisten in den 90-er Jahren mit einer Überfremdungskampagne verstärkt.

Taten folgen Worten

Die Anklänge an die aktuelle Situation drängen sich auf. Der Rechtsextremismusforscher Thomas Grumke sagte vor den Abgeordneten: „Wenn etwas Zukunft hat, ist das eine Politik des Ressentiments.“ Dabei bezog er sich beispielhaft auf den AfD-Politiker Alexander Gauland und dessen Bemerkung über den Fußballer Jerome Boateng. Als Kicker fänden die Leute den Nationalspieler gut, hatte der stellvertretende AfD-Bundeschef verlauten lassen, doch als Nachbarn wollten sie Boateng nicht.

Welche Einstellung aber bringt das Ressentiment laut Grumke zum Ausdruck? Er beschreibt es so: „Da bekommen Fremde etwas, das eigentlich mir zusteht.“ Etwa 15 bis 20 Prozent der Gesellschaft sei für ein solches Denken empfänglich . Leider bleibe es nicht immer bei der Theorie. „Wir haben immer wieder Täterprofile, die die Rhetorik des Ressentiments aufnehmen“, sagte Grumke. Wenn die Gesellschaft positiv auf das Ressentiment reagiere, fühlten sich radikalisierte Rassisten zum Handeln legitimiert: „Man muss doch was tun, die nehmen uns alles weg.“

Der Sachverständige Grumke war als Spezialist für den Ku-Klux-Klan (KKK) in den Untersuchungsausschuss eingeladen worden. Zwei Polizisten hatten Anfang der 2000-er Jahre bei einem KKK-Ableger in Schwäbisch Hall mitgemacht, einer der beiden fungierte später als Dienstgruppenführer der in Heilbronn ermordeten Michèle Kieswetter. Auch der V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“ wirkte beim KKK mit. Er hatte Uwe Mundlos während der Bundeswehrzeit kennengelernt.

Wichtiger Kristallisationspunkt der rechten Szene

Zu konkreten Verbindungen zwischen KKK und NSU konnte Grumke nicht viel sagen. Als Gesamtphänomen räumt er dem KKK indes wenig Bedeutung für die deutsche Rechtsextremismus-Szene ein. Deren Zukunft werde eher von Erscheinungen wie den Identitären bestimmt, einer aus Frankreich nach Deutschland schwappenden Bewegung eines Ethnonationalismus des gehobeneren Tons. Die Identitären strebten nicht nur eine deutsche Kulturgemeinschaft an, sondern auch eine deutsche Abstammungsgemeinschaft – was immer darunter zu verstehen ist.

Der Göttinger Professor Samuel Salzborn sagte, Baden-Württemberg sei zu Zeiten des NSU ein „wichtiger Kristallisationspunkt der rechten Szene“ gewesen. Er zeigte sich irritiert über die Bewertung des baden-württembergischen Innenministeriums, der NSU habe im Südwesten keine netzwerkartige Helferstruktur vorgefunden. Überhaupt hält es Salzborn für problematisch, von einem NSU-“Trio“ zu reden. „Der NSU war nicht isoliert, er hatte 100 bis 200 Helfer.“ Auch in Baden-Württemberg. Dem Ausschuss empfahl Salzborn, dem Verbleib der Mitglieder der 1995 verbotenen rechtsextremen FAP nachzuspüren.

Im Fall des Heilbronner Polizistenanschlags geht der Untersuchungsausschuss noch der Frage nach, ob ausländische, konkret: amerikanische Geheimdienste am Tatort waren. Die nichtöffentliche Befragung eines BND-Mitarbeiters brachte aber keinen Erkenntnisgewinn. Ein früherer Mitarbeiter der US-Dienste erschien nicht.