Das NSU-Trio pflegte regen Kontakt in die Ludwigsburger Gegend. Dennoch mag die Polizei kein Terrornetzwerk erkennen. Die Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger (CDU) und Eva Högl (SPD) sehen das anders.

Stuttgart - Vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zu den Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) haben die beiden Bundestagsabgeordneten Eva Högl (SPD) und Clemens Binninger (CDU) reichlich Aufklärungsbedarf in Baden-Württemberg angemeldet. Die beiden Obleute ihrer Fraktionen im Untersuchungsausschuss des Bundestages zogen insbesondere die These der Bundesanwaltschaft in Zweifel, nach der die in Heilbronn 2007 ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer der NSU-Mörder gewesen sei. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts wurden Kiesewetter sowie deren bei dem Anschlag schwer verletzter Kollege Martin Arnold als Repräsentanten des Staates attackiert.

 

Binninger wie auch Högl mögen daran aber nicht recht glauben. „Mich hat nie überzeugt, dass sie ein Zufallsopfer ist“, sagte Högl. Sie verwies auf Verbindungen der Polizistin in ihre Heimat Thüringen, der auch Uwe Mundlos, Uwe Bähnhardt sowie Beate Zschäpe entstammen. Binninger führte einen Onkel Kiesewetters an, der gesagt hatte, für ihn bestehe „ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türkenmorden. So viel ich weiß, soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türkenmorden eine Rolle spielen“.

Kein Zufallsopfer

Binninger benannte Fehler und Merkwürdigkeiten bei den Heilbronner Ermittlungen: das nicht ausgewertete E-Mail-Konto von Kiesewetter, die drei Zeugen, die blutverschmierte Männer gesehen haben wollen – und anders mehr. Vor allem irritiert Binninger das hohe Entdeckungsrisiko, das die Täter auf der Heilbronner Theresienwiese eingegangen waren. Dies spreche gegen eine zufällige Auswahl der Opfer.

Binninger steckte einige Themenfelder ab, die der näheren Betrachtung im Südwesten bedürften. Dazu gehört nach seiner Einschätzung der vergleichsweise intensive Kontakt, den das Trio mit der rechten Szene im Raum Ludwigsburg pflegte. Dazu finden sich bereits Ausführungen im Bericht der von Innenminister Reinhold Gall (SPD) eingesetzten Ermittlungsgruppe Umfeld. Ein regelrechtes Helfernetzwerk hatten die Ermittler indes nicht ausmachen können. Binninger wie auch dessen Kollegin Högl glauben jedoch nicht so recht an die Alleintätertheorie, nach der das Trio, unterstützt von nur sehr wenigen Gleichgesinnten, die Taten im Alleingang begangen habe. Högl sagte: „Vieles deutet auf ein flächendeckendes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland hin.“

Struktureller Rassismus bei den Behörden?

Binninger, von Beruf Polizist, sagte, das Trio könne die zehn Morde, Banküberfälle und Sprengstoffanschläge – in ganz Deutschland und ohne Spuren zu hinterlassen – schwerlich ohne Netzwerk begangen haben. Er regte an, der Frage nachzugehen, woher das NSU-Trio all die Waffen hatte – 120 Waffen seien es am Ende gewesen. Immerhin habe Uwe Mundlos in einem Brief auf das reiche Waffenarsenal seiner Ludwigsburger Kumpels hingewiesen. Binninger legte dem Ausschuss außerdem nahe, sich nochmals mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen V-Mann Corelli zu beschäftigen, ebenso mit Achim S., der in Schwäbisch Hall einen Ableger des Ku-Klux-Klan gegründet hatte, dem für einige Zeit zwei Polizisten angehörten.

Zur Rolle der Behörden sagte Binninger: „Man hat den Rechtsextremismus unterschätzt.“ Die Polizei habe sich bei den Morden zu früh auf Organisierte Kriminalität festgelegt. Högl sprach von einem „strukturellen Rassismus“ in den Sicherheitsbehörden. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund der Mordserie, die im Jahr 2000 in Nürnberg begonnen hatte, sei stets ausgeschlossen worden – obwohl doch der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) nach dem Mord an Enver ŞSimsek nachgefragt hatte, ob ein ausländerfeindlicher Hintergrund vorliege. Der Vorwurf des strukturellen Rassismus führte zu zahlreichen Einwänden seitens der Abgeordneten von SPD, CDU und Grünen. Der FDP-Abgeordnete Ulrich Goll fragte: „Sehen Sie die Gefahr, dass dieser Vorwurf selbst ein Vorurteil sein könnte?“ Dagegen zitierte Dorothea Marx (SPD), Mitglied des Erfurter Untersuchungsausschusses, einen Polizisten aus Thüringen: „Wenn ein Betrunkener ein Hakenkreuz an die Wand malt, dann ist das noch kein Rechter.“