Abgeordnete beklagen, dass das Innenressort bei der Herausgabe von Akten zu restriktiv verfahre. Viele Passagen seien geschwärzt. Das erschwere die Aufklärungsarbeit. Und schon naht die Landtagswahl.

Stuttgart - Es bleibt nicht mehr viel Zeit für den NSU-Untersuchungsausschuss. Bis Weihnachten soll die Beweisaufnahme abgeschlossen sein, dann muss der Abschlussbericht geschrieben werden, ehe die Landespolitik vollends in der Wahlschlacht versinkt – im März 2016 wird ein neuer Landtag gewählt. Den Mitgliedern im Ausschuss zum Rechtsterrorismus ist es deshalb wichtig, die Tausende von Aktenstücken effizient bearbeiten zu können.

 

Doch inzwischen mehren sich die Klagen der Abgeordneten, genau dies sei nicht möglich. Die Dokumente lägen nur in Papierform, nicht elektronisch vor, zahlreiche Textstellen seien geschwärzt, über die Herausgabe einzelner Akten müsse mühevoll gefeilscht werden. Er habe den Eindruck, sagt der CDU-Obmann Matthias Pröfrock, dass „die richtige Balance zwischen Transparenz und Geheimhaltung nicht gewahrt“ werde.

Anders als etwa die NSU-Ausschüsse in Nordrhein-Westfalen und Thüringen stehen den Abgeordneten in Stuttgart die Akten nicht benutzerfreundlich in Bits und Bytes zur Verfügung. In Erfurt hingegen, so berichtet die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD), „haben wir alle 7000 Aktenstücke in elektronischer Form bekommen“. Es sei möglich, mit Suchbegriffen zu arbeiten, das Ausschusssekretariat erstelle Inhaltsverzeichnisse. Ein großer Aufwand, zweifellos. „Aber man muss wissen, was einem die Aufklärung wert ist.“ In Nordrhein-Westfalen erhält der NSU-Ausschuss das Material sogar in doppelter Ausführung, in Papier- wie auch in elektronischer Form.

Mit Papier und Bleistift nicht zu bewältigen

Jürgen Filius, der Grünen-Obmann im Stuttgarter Untersuchungsausschuss, hält ein solches Verfahren für angezeigt: „Wenn wir in dieser Legislatur fertig werden möchten, müssen wir die verbleibende Zeit effizient nutzen“, sagt er. „Die Aktenberge werden wir nicht mit Papier und Bleistift bewältigen.“ An diesem Montag will der Ausschuss darüber befinden, ob er beim Innenministerium die Akten in elektronischer Form anfordert. Das Ressort von Minister Reinhold Gall (SPD) verweist indes auf den Aufwand, den das Einscannen der Unterlagen erfordere. Und man befürchtet, dass die Akten „Füße bekämen“, wenn sie mit einem Mausklick weitergeleitet werden könnten. Eine Sorge, der sich auch der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) nicht verschließt.

Dessen Thüringer Kollegin Dorothea Marx hält dagegen: Auch elektronische Akten ließen sich so markieren, dass bei einer Weitergabe ersichtlich sei, wer der Missetäter sei. Die Abgeordneten unter den „Generalverdacht“ der Durchstecherei zu stellen, hält sie für „eine Ungeheuerlichkeit“. In Nordrhein-Westfalen gibt es für Dokumente, die als geheim eingestuft sind, einen Leseraum mit Computern. In Thüringen unterliegen ohnehin nur wenige Akten einer strengen Geheimhaltung. „Was nützen uns geheime Dokumente, die wir geheim beraten und dann in einen Abschlussbericht schreiben, der ebenfalls geheim ist“, sagt Dorothea Marx.

Viele Namen sind geschwärzt

In Stuttgart klassifizierte das Innenministerium, so der Vorhalt der Kritiker, die Akten flächendeckend als Verschlusssache, als vertraulich oder gar als geheim – sogar Protokolle des Bundestags-Untersuchungsausschusses, die öffentlich ohne Weiteres zugänglich sind. Die Sachwalter des Innenressorts im Ausschuss erklären sich demnach zwar bereit, im Einzelfall Aktenstücke herabzustufen, um die in ihnen thematisierten Sachverhalte etwa bei Zeugenvernehmungen abfragen zu können.

Doch dies, sagen die Kritiker, sei stets mit Diskussionen verbunden – und die Zeit verstreiche. „Bis das im Einzelfall geklärt ist, gehen wieder drei Wochen ins Land, stöhnt der CDU-Abgeordnete Pröfrock. Der Mailverkehr der Behörden werde regelmäßig als Verschlusssache eingestuft, so dass die Abgeordneten damit nicht öffentlich arbeiten könnten, moniert er. „Das hat Methode.“ Auch würden Namen von Personen geschwärzt, die in der Öffentlichkeit schon längst bekannt oder gar, wie der frühere Ku-Klux-Klan-Anführer Achim Schmid, in Interviews Stellung bezogen hätten. Übel stößt im Ausschuss auch auf, dass das Innenressort Aktenanforderungen abwehre, indem es behaupte, die zugrunde liegenden Beweisbeschlüsse des Ausschusses seien nicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt.

Abgeordnete verweisen darauf, dass Behörden nicht die Entscheidung überlassen werden kann, welche Akten die Abgeordneten bekommen, wenn der Ausschuss die Arbeit just dieser Behörden überprüfe. Der Ausschussvorsitzende Drexler sagt, einen „großen Konfliktfall habe es noch nicht gegeben. Jürgen Filius aber meint: „Die Abgeordneten sind keine Bittsteller, der Legislative gebührt der Vorrang.“