Im NSU-Ausschuss des Landtags wachsen die Zweifel, ob es die gefährliche Neoschutzstaffel tatsächlich gibt, über die sich Florian H. in Prahlereien erging. Es wäre nicht das einzige Märchen.

Stuttgart - Das also soll „Matze“ sein? Ein leises Raunen geht durch die Zuschauerreihen im NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags. Jener Matthias K., der angeblich Teil einer gefährlichen neonazistischen Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) war? Am Zeugentisch sitzt ein junges Kerlchen, das nach landläufigen Maßstäben bestenfalls als halbe Portion durchgehen kann. 21 Jahre zählt „Matze“ inzwischen. Beruflich, so sagt er, sei er in der Lagerlogistik tätig, und der rechtsextremen Szene habe er abgeschworen.

 

„Matze“ wurde in den vergangenen Wochen als Kronzeuge für die Existenz der NSS gehandelt, einer Schattenorganisation, die dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) an Gefährlichkeit nicht nachstehe. So hatte das jedenfalls Florian H. geschildert, einer von „Matzes“ früheren Kameraden. Florian H. verbrannte im September 2013 in seinem Auto am Cannstatter Wasen, nur wenige Stunden vor seiner Vernehmung durch Beamte des Landeskriminalamts. Florian hatte zuvor schon der Polizei von „Matze“ erzählt, und dass er durch ihn Mitglied bei der NSS geworden sei. Die Zeugin „Bandini“, eine Freundin von Florian H., schildert „Matze“ in einem von dem früheren V-Mann Alexander Gronbach veröffentlichen Gesprächsprotokoll als relativ ruhigen, aber echten Neonazi.

Leichtsinn, Dummheit, Gedächtnisschwund

Allerdings vermochte die Polizei „Matze“ zunächst nicht zu identifizieren. Das ist nun dank des Anstoßes durch den Untersuchungsausschuss gelungen. Indes geben die Einlassungen des jungen Mannes für den Nachweis einer „Neoschutzstaffel“ nichts her. „Matze“ will auf einer Demonstration in Dresden von einem Unbekannten angesprochen worden sein. Wenn er etwas für Deutschland tun wolle, dann solle er sich der NSS anschließen, habe dieser gesagt. Wolfgang Drexler, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, fragt, was „Matze“ denn über die NSS sagen könne. Antwort: „Sie ist rechts, deutschlandweit, mehr weiß ich auch nicht.“ Drexler hakt nach: Warum er denn Mitglied bei der NSS geworden sei? „Aus jugendlichem Leichtsinn“, versetzt „Matze“ – und fügt hinzu: „Aus Dummheit.“ Eine halbe Stunde will er in Dresden mit dem Unbekannten geredet haben, aber an Details kann er sich – wie so häufig und wie alle Zeugen aus der rechtsextremen Szene – leider nicht erinnern. Die Ereignisse liegen ja auch vier Jahre zurück. Einmal verliert Drexler die Contenance. Er fährt „Matze“ an: „Leiden Sie an Gedächtnisschwund?“

Zurück aus Dresden gewann „Matze“ umgehend Florian H. als NSS-Mitglied. Dabei blieb es dann aber auch. Florian H. kannte er von der Rechtsextremisten-Szene beim Heilbronner Konferenzzentrum „Harmonie“. Eine Szene, deren Qualität im Untersuchungsausschuss bereits des öfteren Gegenstand von Interpretationsversuchen war. Ein Heilbronner Staatsschützer sprach von einer „Trinkerszene“. Allerdings eine, in der auffällig häufig der Hitlergruß zur Geltung kommt und schwarze Springerstiefel mit weißen Schnürsenkel getragen werden.

Alles nur Mitläufer

Florian H. soll „Matze“ gegenüber geprahlt haben, vier Menschen auf dem Gewissen zu haben. Genaueres habe er gar nicht wissen wollen, behauptet „Matze“; er habe die Story auch nicht geglaubt. Auch habe Florian H. erzählt, die Russenmafia wolle Geld von ihm. Von einem Treffen von NSU und NSS in Öhringen – Florian H. hatte darüber der Polizei berichtet – wisse er hingegen nichts. Und ihm habe Florian H. auch nicht erzählt, er wisse, wer die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen habe. Letzteres allerdings steht ihm Widerspruch zu der Aussage, die „Matze“ jüngst bei der Polizei gemacht hatte. „Ja, hat er“, antwortete er dort auf die Frage, ob Florian angegeben hatte, er kenne die Mörder Kiesewetters.

Die eigentliche Frage ist nun, ob der Untersuchungsausschuss dieses Gespinst aus Wahrheit und Lüge überhaupt noch entwirren kann. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit von Florian H., der behauptet hatte, er kenne die Kiesewetter-Mörder und wisse um eine Rechtsterrorgruppe namens NSS, zugleich aber 2011 schwadronierte, selbst vier Menschen ermordet zu haben? Florians Vater hatte vor dem NSU-Ausschuss erklärt, sein Sohn habe den NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München als reine Farce bezeichnet, solange nicht weitere Personen auf der Anklagebank säßen. Dabei habe Florian auch „Matze“ genannt. Doch Kiesewetter wurde 2007 ermordet. Damals war „Matze“ noch blutjung. Der Ausschussvorsitzende Drexler sagte, möglicherweise handle es sich nur um Hirngespinste.

Auch die anderen Zeugen, darunter der bullige Andre H., können sich an ihre Zeit als Rechtsextreme nur in kurzen Strichen erinnern und garantiert nur so, dass ihnen nichts mehr angehängt werden kann. NSS? Keine Ahnung. So lautet durchgängig die Auskunft. Alle bezeichnen sie sich als Mitläufer. Andre H. hatte Florian H übrigens bei der Polizei wegen Waffenbesitzes angezeigt. Sein Bruder ist bei der Polizei. Andre H. sagt: „Ich habe zu meinem Bruder einen sehr schlechten Kontakt.“ Doch könne er sich an ihn wenden, wenn er im Umgang mit der Polizei Rat benötige.