Kurt Becks Vertrauter, der ehemalige Finanzminister Ingolf Deubel, steht wegen Untreue vor Gericht. Sein Auftritt lässt viele staunen.

Koblenz - Vor Gericht sind alle gleich. Vor dem Landgericht Koblenz freilich sind ehemalige Landesminister ein bisschen gleicher. Dort wird in dem Strafprozess um die gescheiterte Nürburgring-Finanzierung die Aussage eines anderen Angeklagten zur Sache jäh unterbrochen, damit der ebenfalls angeklagte Herr Minister wie gewünscht um 15 Uhr seinen Auftritt haben kann, früh genug für die Abendnachrichten und spät genug, um die ihn belastende Aussage des Konkurrenten auf der Anklagebank in den Orkus schicken zu können. Rheinisches Landrecht eben.

 

Anderthalb Tage lang hat sich Ingolf Deubel, bis 2009 Staatsminister für Finanzen in Rheinland-Pfalz, weggeduckt, den kleinen grauen Mann gegeben. Jetzt richtet er sich auf, die Gesichtszüge fahren wieder ein, die Körpersprache kehrt zurück, die Augen blitzen. Deubel ist eloquent, charmant, er kann lächeln, den Sarkasmus sorgfältig dosieren, sich empören. Deubel liefert nicht die Aussage eines Angeklagten, er zelebriert eine Präsentation, nein, keine Powerpoint: die Rede des Honorarprofessors wird im Wortlaut an die Wand des Gerichtssaals projiziert. Und alle schauen gebannt. Rund 220 Seiten wird er so vorlesen, das Inhaltsverzeichnis und die Fußnoten nicht. Die stehen nur an der Wand. Drei Tage, so schätzt er, wird er dafür benötigen.

Der erste Tag dient dem Großen und Ganzen, Deubel hält sich nicht mit einzelnen Anklagepunkten auf. Er schildert die Pläne, der Rennstrecke in der Eifel einen Freizeitpark für 330 Millionen Euro anzugliedern, zur Hälfte privat finanziert. Er sei damals vom Schweizer Finanzmakler Urs Barandun „mit großer krimineller Energie“ betrogen worden. Die Staatsanwaltschaft habe nicht gegen den Betrüger, sondern gegen ihn, das Opfer, ermittelt. Die Vorwürfe der Ankläger gegen ihn seien „falsch und teilweise verleumderisch“ und „infam“.

Die Staatsanwälte, so Deubel, stützten ihre Anklage auf die Aussagen ihres „Kronzeugen“ Michael Nuss, der ein Lügner sei. Nuss, Controller bei der Nürburgring GmbH und Mitangeklagter von Deubel, hat den Ex-Minister an diesem Vormittag schwer belastet. Er war freilich auch der Mann, der von der GmbH ausgesucht worden war, weit jenseits seines ursprünglichen Aufgabenfeldes die Verhandlungen mit dem mutmaßlichen Geldvermittlern, angeblichen Investoren und Banken zu führen.

Er nutzt den Schnitzer seines Kontrahenten

Nuss hat Deubel eine Vorlage geliefert. Er hat relativ spät während der Ermittlungen eine angeblich von ihm bereits 2009 gefertigte Aktennotiz aus dem Hut gezaubert, die erhalten zu haben die angeblichen Empfänger bestreiten. Die Aktennotiz kann so nicht richtig sein, denn sie enthält jeweils samt Datum pikante Details zu angeblichen Gelagen, auch Hurendiensten, die erst Tage nach dem angeblichen Erstellungsdatum der Notiz stattgefunden haben sollen. Der Autor hätte also seherische Fähigkeiten haben müssen, so Deubel. Vor allem die Huren tauchten bald in etlichen Zeitungen auf. Es liegt der Schluss sehr nahe, dass sich hier ein Angeklagter als Saubermann und die anderen als Schweinchen darstellen wollte. Dies sagt manches über Nuss, aber noch nichts darüber aus, ob es die Wurst, die für 100 Euro ins Schweizer Luxushotel gebracht worden sein soll, tatsächlich gegeben hat oder sie erfunden ist.

Vieles, was Nuss sagt, ist durch E-Mails belegt: dass Deubel von ihm laufend informiert war, dass der Minister trotz aller Rückschläge, trotz aller Absurditäten die Verhandlungen mit den vermeintlichen Geldvermittlern bis zum bitteren Ende immer weiter vorangetrieben hat. Nicht belegt ist, jedenfalls nach den Aussagen der anderen Angeklagten, dass Nuss damals gewarnt haben will. Deubel sagt, dass Nuss bis zu dem Tag, da der ungedeckte 67-Millionen-US-Dollar-Scheck eines Investors platzte, enthusiastisch mit dabei war.

Der schmale, hochgewachsene Nuss mit seinem Raspelhaar und der Denkerbrille gehört zu den Menschen, die im ersten Augenblick beeindrucken, auch präzise argumentieren können, aber unter Belastung, beispielsweise der einer Beschuldigtenaussage, rasch an ihre Grenzen stoßen, Konzentrationsstörungen haben, kaum noch reden können. Und nicht sehr geschickt lügen. Rätselhaft ist, weshalb ein solcher Mensch, der damals nach eigenen Angaben aus seiner „Welt der Zahlen“ in die raue Wirklichkeit der Wirtschaftens gestoßen worden ist, ausgerechnet zum Verhandeln mit ausgebufften Profis ausgewählt wurde.

Deubel verteidigt noch einmal die alten Pläne

Deubel verteidigt noch einmal die hochfliegenden Pläne mit dem Nürburgring. Es habe keine Alternative gegeben. Alle Gutachten hätten die „ambitionierten“ Vorhaben gestützt. Das ist die Stelle, wo der von der Macht der vielen Worte schon leicht trunkene Zuhörer hochschreckt und sich fragt, wie es denn, wenn es stets neben der so günstigen, leider aber misslungenen Fremdfinanzierung noch die Möglichkeit einer „konventionellen“ Eigenfinanzierung gegeben haben soll, überhaupt zu dem jüngsten Bankrott der Nürburgring GmbH kommen konnte. Deubel räumt ein, als dass er aus heutiger Sicht einige „suboptimale“ Entscheidungen getroffen habe.

Aber die Staatsanwaltschaft wirft ihm ja auch nicht das ganze, für das Land angeblich so günstige Projekt vor, das über „Senior Life Settlement“-Geschäfte in der Größenordnung von 1,2 Milliarden Dollar abgewickelt werden sollte. „Senior Life Settlement“ ist die Umschreibung für Finanzwetten, die sich lohnen, wenn US-Pensionäre mit ihren Lebensversicherungen früh sterben. In der Verhandlung bezeichnet Deubel diese Form der Finanzierung als sehr solide. Da platzt dem pfälzisch-behäbigen Vorsitzenden Richter Winfried Hetger der Kragen: Das seien doch Geschäfte gewesen, bei denen mit Aidskranken viel Geld verdient worden sei. Der Sozialdemokrat Deubel sieht das anders: Die Leute hätten ihre Kinder „enterbt“ und die nicht mehr benötigten Lebensversicherungen verkauft.

Sarkasmus ist nicht strafbar. Strafrechtlich irrelevant ist auch, dass sich die Nürburgring GmbH und ihr Aufsichtsratsvorsitzender Deubel damals mit Geldvermittlern eingelassen haben, die – wie Deubel jetzt andeutet, aber damals nicht gewusst haben will – vorbestraft waren und außer einem schillernden Vorleben nichts vorzuweisen hatten. Angeklagt sind nur die Handlungen, die gegen einen Aufsichtsratsbeschluss oder gegen die Verträge verstoßen haben oder ohne Rechtsgrundlage getätigt worden sein sollen. Angesichts der 486 Millionen Euro, die nach EU-Schätzungen an staatlichen Beihilfen in den Nürburgring geflossen sind, handelt es sich um „Peanuts“: Der reale Schaden der Untreuetaten, die Deubel und anderen vorgeworfen werden, wird auf rund 750 000 Euro geschätzt, die „Vermögensgefährdung“ auf knapp 12 Millionen.

Ein „Firmenmantel“ von der Drogenmafia

Später erklärt der Ex-Minister, es habe allein im Interesse des Landes und der Nürburgring GmbH gelegen, dass die schillernden Geschäftspartner damals ihre alte Firma liquidiert und ein neues „jungfräuliches“ Unternehmen gegründet hätten. Das war, nachdem Gerüchte aufgetaucht waren, das alte Firmenimperium habe Kontakte zur Drogenmafia. Das sei zwar nicht so gewesen, sagt Deubel, lediglich der „Firmenmantel“ sei aus dem Dunstkreis von Drogenhändlern gekauft worden, die Geschäftspartner seien sauber gewesen. Aber der Ruf des Landes sei in Gefahr gewesen. Deshalb habe die landeseigene Nürburgring GmbH ihren Geschäftspartnern, die selbst kein Geld hatten, die 45 000 Euro an Gründungskapital für die neue Firma bezahlt.

Überzeugender sind Deubels Darstellungen zu den 80 und dann noch einmal 95 Millionen Euro „Vorzeigegeld“, die aus dem rheinland-pfälzischen „Liquiditätspool“ für einige Monate in die Schweiz ausgelagert worden waren. Es sei nicht absehbar gewesen, dass dabei ein Schaden von 218 000 Euro entstehen würde, der angesichts der Summen sich ohnehin im Promillebereich bewege. Diese beiden Anklagepunkte wackeln. Nicht strafbar ist dabei, dass allein für das Parken der 80 Millionen für zweieinhalb Monate in der Schweiz 39 000 Euro an Bankspesen fällig wurden.

Deubel wird noch viel dozieren. Würde es nicht einerseits um große Politik, andererseits um die Ehre, vor allem aber um die Risiken eines zivilrechtlichen Schadenersatzes gehen, die Sache hätte auch rasch mit Strafbefehlen erledigt werden können. So aber haben die Anwälte bereits angekündigt, dass der Prozess gut 100 Verhandlungstage, überschlägig also zwei Jahre dauern könne. Auch dann wird in der schönen Eifel wohl noch viel Benzin sinnlos verbrannt werden. Weil es so schön röhrt.