Beim Bürgerentscheid verpassen die Gegner zweier Unterkunftsstandorte für Flüchtlinge das Quorum lediglich um zwei Prozent. Sie holen mehr Stimmen als die Befürworter, die das Quorum ebenfalls, aber weit deutlicher verfehlen.

Nürtingen - Der Gemeinderatsbeschluss der Stadt Nürtingen, zwei Unterkünfte zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen am Waldfriedhof nahe dem Braike-Viertel und neben dem Reudener Friedhof zu bauen, ist nicht gekippt worden. Die Gegner des Vorhabens, die Bürgerinitiative Friedhöfe Nürtingen/Reudern (BFN), gewannen bei einem Bürgerentscheid am Sonntag zwar 5657 Stimmen, das sind 18 Prozent aller Wahlberechtigten. Sie scheiterten damit knapp an der 20-Prozent-Hürde, die für das Erreichen eines Quorums übersprungen werden muss. Die Befürworter kamen auf 11,6 Prozent (3628 Stimmen) und blieben damit ebenfalls, aber weit deutlicher, unter dem Quorum. Die Wahlbeteiligung lag bei 30,7 Prozent.

 

Keines der Lager erreicht das Quorum

Zum Vergleich: Bei einem Bürgerentscheid in Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg) hatten im vergangenen Oktober immerhin 63 Prozent für den Bau einer Unterkunft am Korntaler Friedhof gestimmt. Damit lagen die Befürworter des städtischen Vorhabens klar vor den Gegnern, die auf 37 Prozent kamen.

In Nürtingen ist das Quorum von keinem der beiden Lager erreicht worden. Damit geht der ursprüngliche Beschluss, beim Waldfriedhof in der Braike drei Gebäude für 82 anerkannte Asylbewerber und ebenfalls drei Häuser für 48 Flüchtlinge neben dem Reudener Friedhof zu bauen, zur erneuten Diskussion in den Gemeinderat.

Für den Nürtinger Oberbürgermeister Otmar Heirich war das Ergebnis „in etwa so zu erwarten“, erklärte er kurz nach der Bekanntgabe der Abstimmungszahlen. Die Initiatoren des Bürgerentscheids, die die Frage, ob der Gemeinderatsbeschluss vom vergangenen Oktober aufgehoben werden soll, mit Ja beantwortet haben, seien eben sehr motiviert in den Entscheid gegangen.

Viele Bürger der Stadt hätten sich von dem Thema offenbar nicht betroffen gefühlt oder ohnehin nicht mit einem Sieg der Unterkunftsgegner gerechnet, vermutet Heirich beim Blick auf die niedrige Stimmbeteiligung. „Das kann natürlich gefährlich werden“, sagte er angesichts des knappen Ausgangs.

Der Rathauschef ist zufrieden

Letztlich sei er zufrieden, dass der Ratsbeschluss nicht gekippt worden sei. Er persönlich sei bezüglich der Größe der Unterkünfte – neben der befürchteten Störung der Friedhofsruhe ein weiteres Argument der BFN – durchaus kompromissbereit. Er wolle aber diesbezüglich einer Entscheidung des Gemeinderats nicht vorgreifen.

Die BFN ist enttäuscht, wegen der fehlenden zwei Prozent am Quorum gescheitert zu sein. Wolfgang Menrad, einer der Initiatoren des Bürgerentscheids, bedauert, dass so wenige Bürger die Chance zur Abstimmung genutzt hätten. Die BFN akzeptiere das demokratisch zustande gekommene Ergebnis und werte es durchaus „als Erfolg“, so Menrad, der nun Rückenwind für Verhandlungen sieht. Alles andere als ein Kompromiss bei der Unterkunftsgröße wäre für ihn angesichts von 5657 Ja-Stimmen „ein Affront gegen die Bürger“.

Gescheiterte Bürgerentscheide in Flüchtlingsfragen

Landesweit
Bürgerbegehren- oder -entscheide zur Unterbringung von Flüchtlingen gab es bisher nur wenige im Land. In Eisingen (Enzkreis) scheiterte im vergangenen Jahr eine Initiative mit dem Versuch, eine Notunterkunft neben einer Grundschule zu verhindern. In Au im Breisgau gab es, ebenfalls 2016, einen Entscheid, bei dem die Bürger mehrheitlich für den Bau einer Unterkunft votierten. Ein entsprechendes Bürgerbegehren in Kirchheim war vom Gemeinderat als unzulässig erklärt worden, womit ein Entscheid nicht zustande kam. In Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg) gab es im vergangenen Oktober einen Bürgerentscheid gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft am Korntaler Friedhof. Die Gegner unterlagen ebenfalls.

Bundesweit
In den vergangenen gut drei Jahren gab es in Deutschland rund 660 Bürgerbegehren, von denen lediglich etwa 25 mit Flüchtlingsfragen zu tun hatten. Und von diesen war kein einziger erfolgreich gewesen.

Kriterien
Ein Bürgerentscheid ist ein Instrument der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene. In Baden-Württemberg ist bei Entscheiden eine Mehrheit erforderlich. Diese muss mindestens 20 Prozent aller Wahlberechtigten der Kommune darstellen.