Der Gemeinderat hebt seinen alten Beschluss zum Abriss des Gebäudes aus. Am Schlossberg sollen drei Gebäude zu einem Bildungszentrum mit Volkshochschule, Musikschule und Kulturverwaltung ausgebaut werden.

Nürtingen - Ohne Gegenstimmen hat der Nürtinger Gemeinderat seinen Beschluss zum Abriss des Hölderlinhauses wieder aufgehoben. Damit geht eine Denkpause zu Ende, die der Oberbürgermeister Otmar Heirich im Frühjahr 2009 nach heftigen Protesten in der Bevölkerung gegen die Abrisspläne ausgerufen hatte.

 

Die Stadt will nun zwar weiterhin an dem Projekt Bildungszentrum Schlossberg festhalten. Im Unterschied zu früher bleibt nach dem jetzt gefassten Grundsatzbeschluss das Hölderlinhaus aber stehen. Nach seiner Sanierung soll es gemeinsam mit der Schlossbergschule und der Musikschule, die sich ebenfalls in städtischem Besitz befinden, der Kulturverwaltung, der Volkshochschule und der Musikschule als Domizil dienen. Zudem ist eine Gedenkstätte für den Dichter Friedrich Hölderlin geplant, der in seiner Kindheit und Teilen seiner Jugend im Hölderlinhaus gelebt hat.

Die CDU-Fraktion rannte mit ihrem Antrag nicht nur bei den anderen Fraktionen, sondern auch bei der Stadtverwaltung offene Türen ein. Das Rathaus arbeite mit der Gebäudewirtschaft Nürtingen (GWN), der VHS und der Musikschule schon seit einem Dreivierteljahr intensiv an Raumprogrammen, sagte die Kulturbürgermeisterin Claudia Grau in der Gemeinderatssitzung am Dienstagabend. Sobald die benötigten Flächen der Einrichtungen festgelegt sind, soll ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt werden, der für das stadtbildprägende Gebäudeensemble eine langfristige Perspektive aufzeigen soll. Grau zufolge werde geprüft, ob die Musikschule auch Räume im alten Gesundheitsamt belegen kann.

Das Hölderlinhaus, die Schlossberg- und die Musikschule bilden von der Neckarsteige her das Tor zur Altstadt. Mit der Idee eines Bildungszentrums verbunden ist die Hoffnung einer deutlichen Belebung des Viertels. Die Geschäfte in der Neckarsteige klagen seit vielen Jahren, dass sie von den Hauptkundenströmen in der Innenstadt abgeschnitten seien.

Mit welchen Kosten eine Sanierung und möglicherweise ein An- oder Neubau verbunden sein werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Bei einem Rundgang verschafften sich Stadträte am vergangenen Freitag ein Bild vom Zustand der Gebäude. Eckart Krüger von der GWN erkennt einen dringenden Handlungsbedarf. Die Beraterfirma Imaka hatte vor gut einem Jahr nach einer Strukturuntersuchung das städtische Kulturangebot mit einer Mercedes S-Klasse verglichen. „Der Rundgang hat gezeigt, wie der Mercedes in Wirklichkeit aussieht, nämlich wie ein Trabant“, meinte Peter Rauscher (Nürtinger Liste/Grüne) in der Gemeinderatssitzung .

Im Hölderlinhaus beispielsweise, das die VHS seit vielen Jahren für Kurse nutzt, macht sich das Alter längst bemerkbar. Investitionen in den Brandschutz wären ebenso vonnöten wie Wärmedämmungen zur energetischen Sanierung. Die Barrierefreiheit ist ebenfalls nicht gewährleistet. Auch die Haustechnik ist inzwischen veraltet. Die Heizzentrale beispielsweise vergleicht Eckart Krüger mit einem „Technikmuseum“. In der Musikschule und in der Schlossbergschule, die beide unter Denkmalschutz stehen, sieht es ähnlich aus.

Was eine Gedenkstätte im Hölderlinhaus angeht, ist die Stadt bereits mit Thomas Schmidt im Gespräch, dem Leiter der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Dem FDP-Stadtrat Jürgen Gairing ist es wichtig, dass der Verein Hölderlin-Nürtingen in die Planungen eingebunden wird. Otmar Heirich sieht nun die Chance „ein Konzept zu entwickeln, das die nächsten 60 bis 100 Jahre hält“.

Der Kampf um das Hölderlinhaus

Historisches:
Das Hölderlinhaus in der Neckarsteige diente der Familie Hölderlin von 1774 bis 1798 als Wohnhaus. Friedrich Hölderlin verbrachte dort seine Kindheit und Teile seiner Jugend. „Der Mutter Haus“ war für den Dichter auch später immer wieder ein Ort der Zuflucht.

Abriss:
Im Jahr 2007 stellte das Rathaus seine Pläne für ein neues Verwaltungs- und Kulturzentrum in der Neckarsteige vor. Um einem Neubau Platz zu machen, sollte das Hölderlinhaus abgerissen werden.

Widerstand:
Viele Bürger wollten sich mit dem Abriss nicht abfinden. Allen voran die frühere Lehrerin Barbara Leib-Weiner machte auf den historischen Wert des Gebäudes aufmerksam, den das Technische Rathaus aber bestritt.

Gutachten:
Schließlich wurde Johannes Gromer mit der Untersuchung der Bausubstanz beauftragt. Der Bauhistoriker stellte unter anderem fest, dass das Haus noch etwa 75 Prozent baugeschichtlich relevante Fassadenflächen aufweist. Auf das Gutachten hin sprachen sich die Fraktionen im Gemeinderat für die Erhaltung des Hölderlinhauses aus, und die Verwaltung legte ihre Pläne auf Eis.