Ein junger Mann ist mit einem Baseballschläger lebensgefährlich verletzt worden. Ein anderer Asylbewerber wurde unter Tatverdacht festgenommen. Ehrenamtliche Helfer kritisieren die mit der Betreuung beauftragte Arbeiterwohlfahrt.

Nürtingen - Ein 21 Jahre alter Flüchtling aus Mazedonien ringt im Stuttgarter Katharinenhospital um sein Leben. Der junge Mann ist in der provisorischen Flüchtlingsunterkunft auf dem Parkplatz der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Nürtingen am Dienstag von einem Angreifer mit einem Baseballschläger niedergeprügelt worden. Er liegt nun auf der Intensivstation und ist in ein künstliches Koma versetzt worden.

 

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei Esslingen ermitteln unterdessen gegen den ebenfalls aus Mazedonien stammenden Angreifer wegen des Verdachts des versuchten Totschlags. Der 31 Jahre alte Mann ist nach der Tat geflüchtet, konnte aber schon am Tag darauf von den Fahndern der Kriminalpolizei im nahen Neuhausen dingfest gemacht werden. Er soll auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Haftrichter vorgeführt werden. Der mutmaßliche Angreifer ist laut der Polizei kein Unbekannter. Gegen ihn ist schon mehrfach wegen Körperverletzung ermittelt worden.

Kritik an hauptamtlichen Betreuern

Wenn der Mann für die Polizei schon kein unbeschriebenes Blatt ist, so ist er es für die Menschen, die sich ehrenamtlich um die Belange der 120 Asylbewerber in dem Containerdorf kümmern, noch weniger. Für sie war der Überfall ein versuchter Totsch lag mit Ansage. Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Esslingen, die im Auftrag des Landratsamts Esslingen die Sozialbetreuung der Flüchtlinge im Kreis wahrnimmt, sieht sich jedenfalls dem Vorwurf ausgesetzt, auf entsprechende Alarmzeichen nicht reagiert zu haben.

In einem Schreiben an die Sozialdezernentin des Landkreises, Katharina Kiewel, übt die Beauftragte für Flüchtlingsfragen im Evangelischen Kirchenbezirk Esslingen, Ragini Wahl, harsche Kritik an den hauptamtlichen Betreuern. Sie erlebe immer wieder, dass von der Awo in der Asylbegleitung „notwendige Schritte“ nicht erledigt würden, so Wahl.

Den Informationen der Flüchtlingsbeauftragten zufolge hat die Vertrauensperson, die sich ehrenamtlich um die Belange des jungen Mazedoniers kümmert, die zuständige Sozialpädagogin der Awo schon am 10. September darüber informiert, dass der junge Mann massiv bedroht werde. Nach Rücksprache und einer Anzeige bei der Polizei habe die ehrenamtliche Betreuerin darauf gedrungen, dass sich die Awo-Mitarbeiterin um ein Hausverbot für den Aggressor kümmern möge. Bis heute sei weder von dort noch von dem ebenfalls informierten und formal zuständigen Landratsamt eine Rückmeldung erfolgt. Den Vorfall und andere, nicht näher benannte „bedenkliche Situationen“ fasst Ragini Wahl in dem Schreiben an Katharina Kiewel unter der Überschrift „Unterlassene Hilfeleistung“ zusammen.

Täter hat das Opfer bedroht und verfolgt

„Gegen den Mann ist ein Hausverbot erlassen worden“, widerspricht Peter Keck, der Sprecher des Landratsamts, in einer ersten Stellungnahme. „Wir bedauern die Ereignisse sehr. Wir gehen dem Vorgang nach und werden auch die in dem Schreiben geäußerten Vorwürfe aufarbeiten“, so Keck weiter. Die Arbeiterwohlfahrt sei um eine Stellungnahme gebeten worden. Wie diese ausgefallen ist, war bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht in Erfahrung zu bringen. Julie Hoffmann, die für die Arbeiterwohlfahrt die Sozialbetreuung der Flüchtlinge im Kreis Esslingen verantwortet, wollte nicht auf die Vorwürfe eingehen. Sie verweist auf die Stellungnahme, die sie dem Landratsamt gegenüber abgeben werde. Auch die Stadt Nürtingen hat sich am Mittwoch noch nicht in der Lage gesehen, das Geschehen zu kommentieren.

Das Schicksal des jungen Flüchtlings hat auch bei dem auf dem gegenüber liegenden Areal in der Plochinger Straße ansässigen Trägerverein Freies Kinderhaus Bestürzung ausgelöst. Dem mutmaßlichen Täter war der Aufenthalt auf dem Gelände der Nürtinger Seegrasspinnerei und der Kinderkulturwerkstatt schon vor geraumer Zeit verboten worden. „Der hat sich hier rumgetrieben und sein Opfer verfolgt und bedroht. Da habe ich ihm Hausverbot erteilt“, sagt Pit Lohse, der Geschäftsführer des Vereins. Der Trägerverein Freies Kinderhaus ist Mitglied in der Nürtinger Flüchtlingshilfe K 4. Dieser Zusammenschluss verschiedener Einrichtungen und Personen kümmert sich ehrenamtlich um die Belange der Asylbewerber auf dem Schulparkplatz.

Kommentar: Grenzen

Asyl - Ein Mensch flüchtet nach Deutschland. In das Land, in dem er 1993 geboren wurde und in dem er die ersten acht Jahre seines Lebens verbracht hat. Im Jahr 2001 hat er Deutschland mit seinen Eltern verlassen – freiwillig. Als Mitglied einer ethnischen Minderheit aber ist er in Mazedonien gedemütigt, drangsaliert und misshandelt worden. Er kehrt zurück, jetzt als Asylbewerber. In das Land, von dem er sich Schutz und eine Lebensperspektive erhofft. Dort wird er brutal niedergeschlagen und kämpft seither auf der Intensivstation eines Krankenhauses um sein Leben. Es heißt, der brutale Angriff sei Folge eines Streits um eine Frau gewesen.

Soweit ist es ein ganz persönliches, ein tragisches Schicksal. Es macht in erster Linie die Menschen betroffen, die sich in Nürtingen um sein Wohl gekümmert haben. Aber es zeigt auch Grenzen auf. Grenzen des Ehrenamts, das sich allein gelassen fühlt, Grenzen der überforderten hauptamtlichen Betreuer, Grenzen der Asylgesetzgebung. Für die ehrenamtlich engagierten Menschen, die sich der Belange der Asylbewerber in den unwürdigen Containerunterkünften annehmen, ist das Drama vorhersehbar gewesen. Umso bitterer ist es, dass ihre Hinweise nicht weiterverfolgt worden sind. Auch die hauptamtlichen Asylbetreuer stoßen an ihre Grenzen. Wenn sich eine Sozialpädagogin laut Personalschlüssel um 140 Flüchtlinge aus aller Herren Länder kümmern soll, bleibt zwangsläufig eine Menge auf der Strecke. Es genügt nicht, die aktuellen Versäumnisse aufzuarbeiten. Es müssen die Schnittstellen zwischen Ehrenamt und Hauptamt neu definiert werden.

Bleibt die Asylgesetzgebung: Mazedonien gilt seit dem Sommer pauschal als sicheres Herkunftsland. . .