Ein neues Buch blickt auf den alternativen Club Kuckucksei und die bewegten 1970er-Jahre zurück. Live-Konzerte und politische Diskussionen bringen das Lebensgefühl der damaligen jungen Generation zum Ausdruck.

Nürtingen - Bei wie vielen Konzerten er im Kuckucksei die damals noch lange Haarmatte geschüttelt hat, bei wie vielen politischen Debatten er sich gemeinsam mit anderen die Köpfe heiß geredet hat, das weiß Jean Jaques nicht mehr ganz genau. Unter diesem Namen kannten die Besucher des Nürtinger Clubs Joachim Schreiber. Der Grafiker, der heute im hessischen Seeheim lebt, hat die ersten zehn Jahre und damit das erste Kapitel des 1970 gegründeten links-alternativen Clubs auf 200 Seiten zwischen zwei Buchdeckeln zusammengefasst. „Veteranen“ von damals – darunter auch der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller – haben für das Projekt in ihren Erinnerungen und in Fotokisten gekramt. Herausgekommen ist das bunte Kaleidoskop eines Jahrzehnts, das vom Aufbegehren gegen bürgerliche Konventionen und der Politisierung der jungen Generation geprägt war.

 

Bei den Clubfesten wird die Sau rausgelassen

Wie überall in der Republik herrschte auch in Nürtingen Aufbruchstimmung. Wie kann die Freizeit sinnvoll gestaltet werden?, gibt es Alternativen zum Kapitalismus?, Kriegsdienstverweigerung: das waren die bestimmenden Themen jener Zeit. Nach dem Sturz der sozialistischen Regierung unter Salvador Allende in Chile gründet sich ein Chile-Komitee. Die Solidarität galt nicht nur dem sozialistischen Widerstand in dem südamerikanischen Land, sondern auch den Flüchtlingen, die nach dem Putsch der Generäle auch in der Stadt am Neckar ins Exil gelangten.

Auch die Progressive-Rock-Band Eulenspygel trat im „Ei“ auf.

Nicht nur Politik, sondern auch das Lebensgefühl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen spiegelt das Buchprojekt wider. „Zur Stärkung des inneren Zusammenhalts und natürlich auch um wieder einmal richtig die Sau rauszulassen, gab es mindestens einmal im Jahr ein Clubfest“, erfährt der Leser. „Die Räume des Clubs waren dann hoffnungslos überfüllt, die Bier und Rauch geschwängerte Luft war fast von fester Konsistenz. Bier, Weib, Mann und Gesang hätte als Motto getaugt.“

Woodstock-Feeling beim Open Air in der Sandgrube

Zahlreiche Bands sorgten bei ihren Live-Auftritten für Stimmung. Als eines der besten Konzerte wird laut den Autoren der Abend mit dem Blues-Gitarristen Jim Kahr und seiner Band in die Annalen des Clubs eingehen. Nicht nur drinnen, sondern auch draußen geht musikalisch die Luzie ab. Bereits im Jahr eins nach Gründung der Drehscheibe für alternative Kultur organisiert das „Ei“ – so der Kurzname des Clubs – das erste Open Air in der Beurener Sandgrube. Weitere Festivals mit Woodstock-Charakter sollten folgen.

Das neue Buch ist bereits die zweite Veröffentlichung, die die Geschichte des kulturell-politischen Clubs aufarbeitet. Vor sieben Jahren erschien bei Sindlinger-Burchartz „Amol ebbes anders – eine moderne Heimatgeschichte“. Ein Kapitel darin ist ebenfalls dem Kuckucksei gewidmet.

Erste feste Bleibe im E-Werk

Anfänge:
Als Vorläufer des Clubs Kuckucksei gilt der Jugendclub Nürtingen, der zunächst im Steinernen Bau residierte. Der Abriss des stadtbildprägenden Gebäudes im Jahr 1970 war der Anfang vom Ende des Jugendclubs. Im selben Jahr gründet sich das Kuckucksei. Zwei Jahre später finden die jungen Leute im alten E-Werk die erste feste Bleibe. Nach einem Brand sind die Räume dort unbrauchbar. 1979 folgt der Umzug in die Neckarstraße 14, wo das Kuckucksei bis heute existiert.

Clubleben
: Das Kuckucksei ist ein Verein, der in Nürtingen für kulturelle Abwechslung sorgen will. Das Programm zielt auf ein junges und jung gebliebenes Publikum ab.