Zwischen dem Oberbürgermeister Otmar Heirich und seiner Stellvertreterin Claudia Grau wird ein tiefer Graben sichtbar. Eine E-Mail spricht Bände.

Nürtingen - Der Haussegen im Nürtinger Rathaus hängt seit Längerem schief. Im Sommer hatte die Erste Beigeordnete Claudia Grau mit der Umstrukturierung ihres Ressorts Wirbel unter den Mitarbeitern ausgelöst. Vielen ging die Kulturbürgermeisterin zu forsch ans Werk. Nach außen übte Otmar Heirich den Schulterschluss mit Grau. Doch jetzt platzt wie eine Bombe eine E-Mail ins Rathaus, die Claudia Grau an die Fraktionsvorsitzenden geschickt hat. Ihr Inhalt macht deutlich, dass es um das Verhältnis zwischen dem Oberbürgermeister und seiner Stellvertreterin nicht zum Besten bestellt ist.

 

Der Auslöser für den jüngsten Streit ist eine Personalentscheidung im Verwaltungsausschuss des Gemeinderats gewesen. Dort hätte beschlossen werden sollen, dass Graus persönlicher Referent eine Gehaltsstufe höher steigt. Simon Schmid hatte seinen Dienst Mitte Juli angetreten. Der Wechsel Schmids vom Esslinger Landratsamt nach Nürtingen war laut Claudia Grau mit der Zusicherung Heirichs verbunden gewesen, dass Schmid nach wenigen Monaten höher gruppiert werde. Denn wäre er nur zwei Wochen länger beim Landratsamt geblieben, wäre Schmid dort auf der Besoldungsleiter eine Sprosse weiter nach oben geklettert.

Den Aufstieg hat der Ausschuss vorerst aber verhindert, und dafür macht Grau ihren Chef verantwortlich. „Ich habe an der Sitzung auf Anraten von Otmar Heirich nicht teilgenommen. Er war der Auffassung, dass dies kontraproduktiv sei“, erklärt die Bürgermeisterin in einer Mail an die Fraktionsspitzen. Dass sich der Ausschuss nahezu geschlossen der von Heirich beantragten Höhergruppierung widersetzte, liegt offenbar auch an fehlenden Erläuterungen. Dem Vernehmen nach wussten die Stadträte nicht, warum sie hätten zustimmen sollen. Die Leistungen Schmids ins rechte Licht zu rücken und so die Stadträte mitzunehmen hätte Grau zufolge in der Macht Heirichs und dessen Personalchef gestanden – „wenn sie es denn gewollt hätten“, fügt die 48-Jährige in der Mail hinzu.

Heirich mischt sich in Graus Aufgaben ein

In dem Streit ist die Personalie Schmid nur die Spitze des Eisbergs. Heirichs Dezernat habe von Beginn an gegen ihren Referenten gearbeitet, klagt Grau – „nicht wegen ihm, sondern insbesondere wegen mir“. Der „Affront“ in der Sitzung gelte daher ihr, der Kulturbürgermeisterin. Claudia Grau kritisiert, dass ihr Otmar Heirich, der Personalchef und die Hauptamtsleiterin Carmen Speidel in das Handwerk pfuschten. Ihre Personal- und Aufgabenzuordnung werde „laufend hinterfragt, gegen meinen Willen andere Konstellationen in die Welt gesetzt“. Dies führe zu Verunsicherung bei den Mitarbeitern und schüre im Haus den Unmut gegen sie selbst. „Das Mobbing, das hier betrieben wird, wird so langsam unerträglich“, nimmt Grau in der Brandmail kein Blatt vor den Mund.

Claudia Grau hat ihr Ressort konsequent umgestaltet

Die parteilose Kulturbürgermeisterin hatte im Februar 2011 die Wahl gegen den damaligen Amtsinhaber Rolf Siebert (CDU) gewonnen. Mit großem Elan machte sich die vormalige Amtsleiterin für Kreisschulen und Immobilien beim Landkreis Esslingen in Nürtingen an die Arbeit. Sie krempelte ihr Ressort um, unter anderem mit dem Ziel, auf die Herausforderungen des demografischen Wandels Antworten zu finden. Dabei traf sie auch unbequeme Personalentscheidungen. Die Leiter des Ordnungsamts und des Kultur-, Schul- und Sportamts, Herbert Benker und Jörg Widmaier, enthob sie ihrer Posten. Im Rathaus machte sie sich damit nicht nur Freunde. Ihre Gegner werfen ihr Rücksichtslosigkeit vor. Sie kreiden Grau an, dass sie unbedingt ihren Kopf durchsetzen wolle.

Die Bürgermeisterin hingegen sieht sich als Opfer. „Ich habe in den vergangenen Wochen alles getan, um eine Deeskalation in der Verwaltungsspitze zu erreichen“, schreibt sie. Dass sie die Mail überhaupt verfasst hat, zeigt, dass kein Friede eingekehrt ist. Otmar Heirich ist gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen gewesen. Der Nürtinger Verwaltungschef nahm an einer Sitzung des Städtetags teil. Sie könne zum jetzigen Zeitpunkt keinen Kommentar geben, erklärte Carmen Speidel, es handle sich hier um eine Geschichte, die es zunächst intern zu klären gelte.

Kommentar: Der Frust ist groß

Nürtingen - Zwischen uns passt kein Blatt“: Dieses Bild hatten der Nürtinger Oberbürgermeister Otmar Heirich und die Kulturbürgermeisterin Claudia Grau nach außen stets vermittelt. Nun wird deutlich, dass ein tiefer Graben die beiden trennt. Ein Grund dafür ist, dass die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit denkbar schlecht gewesen sind. Grau war vor gut einem Jahr in die Rolle der Konkurrentin gedrängt worden. Obwohl die Bürgermeisterin für die Oberbürgermeisterwahl gar nicht hatte kandidieren wollen, rief eine Initiative per Internet dazu auf, Graus Namen auf den Stimmzettel zu schreiben. Heirich setzte sich dann im zweiten Wahlgang mit 49,6 Prozent durch. Mit 32 Prozent kam Grau ihm aber gefährlich nahe.

Dieser Vertrauensbeweis der Nürtinger stärkte der Kulturbürgermeisterin einerseits den Rücken. Mit großer Energie und einem hohen Arbeitspensum machte sich Grau daran, ihre Vorstellungen umzusetzen. Damit die Verwaltung in der Bildung, bei der Bürgerbeteiligung und gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel auch in Zukunft den Herausforderungen gerecht wird, baute sie ihr Ressort um. Dass dabei manche auf der Strecke blieben, nahm Grau bewusst in Kauf. Derzeit durchleuchtet eine Beraterfirma auch Heirichs Dezernat und die Bauverwaltung mit dem Auftrag, zur Konsolidierung des Haushalts Sparpotenziale aufzudecken. Das löst Ängste aus. In diesem Licht betrachtet, wird das beherzte Vorpreschen der Macherin Grau von manchen im Nürtinger Rathaus eher als bedrohlich aufgefasst.

Das gute Ergebnis bei der OB-Wahl ist für Grau auch ein Fluch. Was die Popularität angeht, ist die Nummer 2 dabei, der Nummer 1 den Rang abzulaufen. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Oberbürgermeister seiner Stellvertreterin das auch übel nimmt. Die mangelnde Unterstützung bei der Höherstufung von Graus persönlichem Referenten ist ein klares Indiz. Für Nürtingen ist der Machtkampf im Rathaus nicht gut. Die Stadt bräuchte eine Führung, die an einem Strang zieht.