In der Jamzentrale spielen Sprachbarrieren keine Rolle. Bei dem Bandprojekt kommunizieren Menschen unterschiedlicher Herkunft über Musik. Ob Professor, Rentner, Student oder Flüchtling – jeder ist hier willkommen.

Nürtingen - Durch das Untergeschoss der Nürtinger Stadthalle wabert ein dichter Klangteppich. Gitarre, Bass, Schlagzeug, Percussion, Trompete, Saxofon, Gesang: der tanzbare Sound bewegt sich irgendwo zwischen Reggae, Hip Hop, Funk, Jazz und Dub. Nach und nach schneien am Sonntagabend immer mehr Menschen in die Kellerräume des Kulturvereins Provisorium, wo sich Musiker aller Couleur alle zwei Wochen zur gemeinsamen Session treffen.

 

Wer nur zuhören und Spaß haben will, ist auch gern gesehen

Das offene Musikprojekt Jamzentrale ist ein Treffpunkt unterschiedlichster Nationalitäten. Menschen aus mehr als 20 Ländern treffen sich derzeit hier und finden in der Musik eine gemeinsame Sprache. Deutschland, Togo, Griechenland, Kamerun, Gambia, Syrien, Schottland, Polen, Indien, USA, Algerien, Italien, Iran – internationaler und bunter geht es nicht.

Die mehr als 25 Musiker sind zwischen 19 und 64 Jahre alt. Professor, Student, Rentner, Imker, Schüler, Ingenieur Chemiker, Bankangestellter, Bauarbeiter und Lagerarbeiter – Status- und Bildungsunterschiede spielen keine Rolle. Wer Lust auf Musik hat: einfach ein Instrument – von der E-Gitarre über die Geige bis zur Darbuka-Bechertrommel ist alles dabei – und Kabel mitbringen. Auch Leute, die nur zuhören und Spaß haben wollen, sind willkommen.

Musiker begegnen sich auf Augenhöhe

Es gibt weder stilistische Festlegungen noch einen Bandleader. Der Sound entwickelt sich im Dialog der Instrumente, alles ist Improvisation. „Wir sind ein chaotischer Haufen. Hier gibt es die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, wir jammen ausschließlich, gnadenlos“, sagt Martin Schüler, der Bass spielt und mit seiner Idee der Jamzentrale beim Provisorium vor sechs Jahren offene Türen eingerannt hat.

Aus der alle verbindenden Musikleidenschaft entsteht Begegnung. Die Jamzentrale ist auch zu einer Anlaufstelle für geflüchtete Menschen und zu einem rein ehrenamtlich getragenen integrativen Projekt geworden, das im vergangenen November von der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen den Sonderpreis des Ehrenamts erhalten hat. Zudem hat ein Ableger der Jamzentrale – die jam.DE.zentrale – von der Integrationsoffensive des Landes Baden-Württemberg Unterstützung erhalten.

Jamzentrale geht ohne Berührungsängste auf Tour

Diese Weiterentwicklung der Jamzentrale wird von Ammar Al-Ateki organisiert. Der syrische Chemiestudent kam vor anderthalb Jahren nach seiner Flucht aus der Stadt Homs auf dem Nürtinger Säer an und fand den Weg ins Provisorium. Mit Jam.DE.zentrale geht die Jamzentrale auf Tour. Egal ob Blasmusik- oder Akkordeonverein, Musikschule oder Jugendhaus – wer Interesse an einem Auftritt der Improvisationskünstler hat, kann sich einfach an die Jamzentrale wenden. So hat das Projekt vor rund einem Monat beispielsweise beim Albverein zur Sonnwendfeier gespielt. Auch hier geht es nicht bloß um die Musik, sondern um das Kennenlernen. „Es ist wirklich spannend, wenn man auf Leute trifft, die man sonst nicht treffen würde“, sagt Martin Schüler über die Ausflüge aus dem Keller des Kulturvereins Provisoriums. Das Projekt zieht inzwischen Kreise. In Kooperation mit der Kunsthalle Tübingen hat die Jamzentrale im Tübinger Frauencafé achtbar am 14. September bereits das nächste Gastspiel im Programm.