Die Bevölkerung wächst, und die Stadt muss Bauland bereitstellen – auch für Flüchtlinge. Der Strom von Asylsuchenden ist zwar abgebrochen, in den Kommunen ist dies aber noch nicht spürbar.

Nürtingen - Im nächsten Jahr weist der Landkreis Esslingen der Stadt Nürtingen vermutlich 180 Flüchtlinge für die Anschlussunterbringung zu. Das sind 60 Menschen weniger als erwartet. Diese aktuellen Zahlen, die jetzt die Nürtinger Ordnungsamtsleiterin Angela Pixa im Gemeinderat nannte, entspannen die Situation jedoch nur bedingt. Denn bei der Schaffung von Wohnraum steht die Stadt weiter unter Druck. Eine Baulandentwicklungsstrategie soll jetzt Abhilfe schaffen.

 

Rund 62 Hektar Fläche benötigt Nürtingen nach Berechnungen des Technischen Rathauses, um dem prognostizierten Bevölkerungswachstum von sechs Prozent bis zum Jahr 2035 gerecht zu werden. Trifft die Vorhersage zu, dann hätte Nürtingen bis dahin rund 44 000 Einwohner. Nachfrage nach Wohnungen gibt es derzeit in allen Preissegmenten. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern schon weitaus später“, verdeutlicht der Oberbürgermeister Otmar Heirich den Handlungszwang, unter dem Nürtingen seit einiger Zeit steht.

Keiner weiß, wie viele Familienangehörige nachkommen

Ein Problem ist, dass die Flächenreserven der Stadt auf rund 57 Hektar begrenzt sind. In einer Sondersitzung war sich der Gemeinderat deshalb einig, eine Baulandstrategie zu entwickeln. Die Nürtinger Stadtverwaltung wird daran zusammen mit den Ortschaftsräten arbeiten. Erste Grundsatzbeschlüsse sollen dann im nächsten Jahr getroffen werden.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Wohnungsbau im Land – und damit auch in Nürtingen – mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt gehalten. Die Flüchtlingsthematik verschärft die angespannte Situation nun zusätzlich. „Auch wenn die Medien von sinkenden Flüchtlingszahlen berichten, ist davon in den Kommunen nichts zu spüren“, betont Heirich. Wegen der langen Bearbeitungszeit von Asylanträgen und des zu erwartenden Familiennachzugs müsse weiterhin dringend kostengünstiger Wohnraum geschaffen werden. Seit mehr als einem Jahr schreibe die Verwaltung wiederholt Immobilieneigentümer an – allerdings mit mäßigem Erfolg. Binnen zwei Jahren plant die Stadt, Wohnraum für rund 560 Flüchtlinge zu schaffen. Gegen die Standorte – etwa im Roßdorf, in Reudern oder in der Braike – gibt es indes Widerstände.

Zusätzliches Personal für Betreuung von Flüchtlingen nötig

An letzteren beiden Standorten haben sich Bürger zusammengeschlossen und lehnen eine Bebauung in der Nähe von zwei Friedhöfen ab. Die Initiativen argumentieren, dass durch die Belegung die Friedhofsruhe gestört würde. Laut dem Nürtinger Oberbürgermeister ist diese Begründung nicht nachvollziehbar. Für die Braike sollen die Pläne den Bürgern in einer Informationsveranstaltung am Montag, 12. Dezember, von 18 Uhr an erläutert werden.

Nicht nur an Wohnungen fehlt es in Nürtingen. Wegen der notwendigen Betreuung der Flüchtlinge wird auch zusätzliches Personal benötigt. Deshalb werde der Soziale Dienst in absehbarer Zeit verstärkt werden müssen, kündigt Otmar Heirich schon einmal an. Hierzu wolle der Landkreis noch in diesem Jahr Fördermodalitäten beschließen, von denen Nürtingen profitieren könnte, so Otmar Heirich.

Acht Prozent der Flüchtlinge im Kreis kommen nach Nürtingen

Zahlen
Rund 890 000 Flüchtlinge sind 2015 in Deutschland registriert worden. Knapp 13 Prozent von ihnen hat Baden-Württemberg aufgenommen. Knapp sechs Prozent davon wurden dem Kreis Esslingen zugeteilt. Davon sind wiederum rund acht Prozent nach Nürtingen gekommen.

Erstunterbringung
Wenn Flüchtlinge ankommen, werden sie in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder registriert und medizinisch untersucht. Dann werden sie auf die Landkreise in die Erstunterbringung verteilt. Dieser wiederum verteilt dann Kontingente auf die Kommunen.

Anschlussunterbringung
Nachdem unanfechtbar über einen Asylantrag entschieden ist und Flüchtlinge einen Aufenthaltsstatus bekommen haben, müssen Kommunen Wohnraum stellen. Dies gilt auch für Asylbewerber, die schon zwei Jahre in der Erstunterbringung waren. Nur eine Minderheit der Flüchtlinge findet auf dem freien Markt auf eigene Faust eine Wohnung.