Die schwäbische Streuobstlandschaft ist mehr als nur schön anzusehen. Ihre historische Bedeutung als Wirtschaftsfaktor ist ein Argument, mit dessen Hilfe eine Nürtinger Initiative die Obstwiesen zum Weltkulturerbe machen will.

Nürtingen - Während entlang des Albtraufs die Obstbäume blühen, reifen in Nürtingen die Blütenträume. Eigentlich knospen sie erst. Doch Peter Scharfenberger bestellt den gemeinsamen Obstgarten mit viel Enthusiasmus. Die Latte hat der gelernte Ergotherapeut, der mittlerweile als Imker und mehr noch als Streuobstpfleger in Wald und Flur unterwegs ist, bewusst hoch gelegt. Die Streuobstwiesen im Land sollen auf die Weltkulturerbe-Liste der Unesco gehievt werden.

 

Bis dorthin, bis zur Ernte, ist es noch ein weiter Weg. Doch Scharfenberger hat schon eine Reihe von Mitstreitern um sich geschart. Der erste öffentliche Termin, als kultureller Abend deklariert, hat immerhin gut 40 Interessenten nach Nürtingen gelockt. Am Samstag, 25. April, will Scharfenberger nachlegen. In der Familienbildungsstätte, Mühlstraße 11, trifft sich um 13 Uhr der Initiativkreis „Weltkulturerbe Streuobstlandschaft Europa“. Dabei soll die bisher lose Organisation in eine verbindliche rechtliche Form gegossen werden. „Als Verein ist es leichter, an Fördergeld zu kommen“, sagt Scharfenberger.

Dass die Sache den Schweiß der Edlen wert ist, daran hat er keine Zweifel. Und zwar nicht einmal, weil die Obstwiesen schön anzusehen sind und als ökologische Nischen allerlei selten gewordenem Getier Unterschlupf und Nahrung bieten. Sondern, weil sie auch von ihrer Geschichte her einmalig sind.

„Die Baumwiesen sind ja nicht nur ein Reservat für Schmetterlinge und Eidechsen. Sie sind, historisch gesehen, das Ergebnis eines für die damalige Zeit gewaltigen staatlichen Wirtschaftsförderungsprogramms“, sagt Scharfenberger. Als der württembergische Herzog Carl Eugen (1728 - 1793) angesichts der sich häufenden Hungersnöte anordnete, dass jeder Bürger und jeder heiratende Bürgersohn Obstbäume anpflanzen musste, blühte die Landschaft im Ländle regelrecht auf. Die Ortschaften waren fortan von einem Kranz von Obstgärten umgeben. Den Bewohnern wuchs Obst, Most, Honig, Schnaps, Brennholz und Bauholz vor der Haustüre zu.

„Da ist ein hocheffizientes ganzjährig genutztes Wirtschaftssystem entstanden“, schwärmt Scharfenberger. Ein staatlich gelenktes Wirtschaftssystem: Johann Caspar Schiller, der Vater des Dichters Friedrich Schiller und der Hofgärtner des Herzogs, hatte im ausgehenden 18. Jahrhundert in seiner Obstbaumschule auf der Stuttgarter Solitude 224 000 Obstbäumchen stehen, die im Land verteilt werden sollten.

Mit dieser wirtschaftlich und sozialgeschichtlichen Seite der Streuobstwiesen glaubt Scharfenberger, nicht nur die Hürden bis zur Aufnahme auf die Anwartschaftsliste für das Weltkulturerbe besser überspringen zu können, sondern auch weitere Kreise für das Kulturgut Baumwiese zu begeistern. Anknüpfend an die Geschichte schwebt ihm vor, die Werbetrommel auch beim Gewerbe, bei Baufirmen, Landschaftsarchitekten und bei Gastronomen zu rühren. „Mit dem Unesco-Siegel wird so eine Fläche vom Mist- zum Goldhaufen“, sagt er. Die Tatsache, dass der am 9. Mai in Heidelberg über die Bühne gehende landesweite Streuobsttag das Thema lebendiges Kulturerbe auf die Tagesordnung gesetzt hat, spielt Scharfenberger bei seinem Bemühen, das Gold zu heben, in die Hände.