Heute tagt die Findungskommission der Ökopartei. Einen klaren Favoriten gibt es nicht. Im Gespräch sind Veronika Kienzle, Muhterem Aras und Boris Palmer.

Stuttgart - Noch vor eineinhalb Jahren, nach dem Gewinn der Kommunalwahl , gingen die Grünen wie selbstverständlich davon aus, bei der Oberbürgermeisterwahl 2012 zur Not einen in der Parteifarbe angestrichenen Besenstil nominieren – und dennoch haushoch gewinnen zu können. Damals, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung über Stuttgart 21, erschien es völlig nebensächlich, ob der Amtsinhaber Wolfgang Schuster noch einmal kandidieren würde oder nicht .

 

Davon kann drei Monate nach der verlorenen Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt keine Rede mehr sein. Die Grünen laufen sogar Gefahr, wegen ihrer – aus Sicht vieler Anhänger – zu unkritischen Haltung gegenüber der Bahn – einen erklecklichen Teil der Stammklientel zu verärgern und womöglich sogar zu verlieren, falls die Projektgegner einen eigenen Kandidaten präsentieren sollten.

Die Sorge hat der Stuttgarter Landtagsabgeordnete Nikolaus Tschenk nun in einem Brandbrief artikuliert. Er hat klargemacht, den Schmusekurs der Landesregierung gegenüber der Bahn und der SPD nicht länger gutheißen zu können. Man könne ja wohl noch erwarten, dass eine unzureichende Planung noch als solche benannt werden dürfe. Die Botschaft ist offenbar angekommen – ein klärendes Gespräch ist anberaumt.

Hat der Kreisvorsitzende einen zukräftigen Kandidaten?

Vor diesem Hintergrund wird heute die erste Sitzung der äußerst großzügig dimensionierten Findungskommission der Stuttgarter Grünen mit Spannung erwartet. Der Kreisvorsitzende Philipp Franke werde, so heißt es, einen zugkräftigen Namen ins Spiel bringen – zusätzlich zu jenen, die ohnehin schon gehandelt werden. Das Personaltableau zeigt vor allem eines: die Personaldecke ist bei den Grünen nicht weniger dünn als bei der örtlichen CDU, deren Kreisvorsitzender den Werbefachmann Sebastian Turner favorisiert, oder bei den Sozialdemokraten, die bisher noch nicht einmal einen Kandidaten in petto haben, über den spekuliert werden könnte. Als wichtiges Kriterium gilt den grünen Strategen, dass der Bewerber zumindest theoretisch zwei Amtsperioden absolvieren könnte.

Für die Grünen gilt wie für die anderen Parteien: Kompetenz allein ist nicht entscheidend. Eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung ist die Unbedenklichkeitsbescheinigung in Bezug auf Stuttgart 21. Im Klartext: ein grüner Bewerber müsste auch der SPD vermittelbar sein. Schließlich wäre man im Fall eines zweiten Wahlgangs auf eine grün-rote Kooperation angewiesen, um einen CDU-Oberbürgermeister zu verhindern.

Zwei Frauen aus Stuttgart werden heiß gehandelt

Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer vorstellbar – wenn auch nicht völlig ausgeschlossen –, dass der Tübinger OB Boris Palmer (39) in Stuttgart antritt. Allerdings hat er sofort nach der Volksabstimmung für sich den Widerstand gegen S 21 für beendet erklärt. Palmer weigert sich, Ambitionen auf das Amt zu bestätigen, aber auch, ein kategorisches Nein zu formulieren. Voraussetzung für solche Gedankenspiele wäre allerdings, überhaupt von der Findungskommission berücksichtigt zu werden. Zudem wird Palmer nachgesagt, er sehe seine politische Zukunft eher in Berlin. Auch die Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Brigitte Dahlbender (56), die manche auf der Rechnung haben, wäre als Frontfrau der Stuttgart-21-Gegner – obwohl SPD-Mitglied – für die Genossen wohl inakzeptabel.

Anders dagegen die städtische Angestellte Veronika Kienzle (49): keine sei mehr überrascht gewesen als sie selbst, dass ihr Name in der Zeitung gestanden habe, betont die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte. Kienzle genießt an der Basis viele Sympathien, nicht wenige Grüne halten sie für eine Idealbesetzung – als Bezirksvorsteherin. Und dann ist da noch Muhterem Aras (46). Der Schwäbin mit anatolischen Wurzeln traut man offenbar zu, als erste Frau und Migrantin eine deutsche Großstadt zu führen. Fehlt noch der Name des Verwaltungsbürgermeisters Werner Wölfle: der erfahrene 58-Jährige ist für manche Entscheidungsträger im Staatsministerium, in der Ratsfraktion und an der Parteibasis aber wegen seiner exponierten Stellung ein rotes Tuch. Allerdings war er bei den letzten Wahlen auch einer der fleißigsten Stimmensammler.