Stadtbahn oder Busse? Rainer Haas gegen Werner Spec: Auf das Duell zweier Alphatiere wurde die Debatte über das neue Verkehrskonzept im Kreis Ludwigsburg zuletzt reduziert. Im Gespräch zeigt sich: Spec ist trotz aller Kritik überzeugt, eine breite Mehrheit von seinen Ideen zu überzeugen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Rainer Haas gegen Werner Spec. Auf das Duell zweier Alphatiere wurde die Debatte über das neue Verkehrskonzept im Kreis Ludwigsburg zuletzt häufig reduziert. Der Landrat will die Stadtbahn, der OB will sie nicht – jetzt liegt ein Kompromiss auf dem Tisch. Im Gespräch zeigt sich: Spec ist trotz aller Kritik fest davon überzeugt, eine breite Mehrheit von seinen Ideen zu überzeugen.

 
Herr Spec, Sie sind gegen den Bau einer Stadtbahn in Ludwigsburg, jetzt soll aber doch ein Antrag für das Großprojekt gestellt werden – mit Ihrer Unterstützung. Warum?
Wir bevorzugen eine Lösung, die zeitnah einen konkreten Nutzen ermöglicht: die Reaktivierung der Eisenbahnstrecke von Markgröningen nach Ludwigsburg und die Einführung eines Schnellbussystems, eines sogenannten BRT-Systems, das nicht nur nach Oßweil, sondern auch in Richtung Remseck fährt. Darauf aufbauend bietet unser Konzept die Möglichkeit, mit einem Halt bei der Firma Wüstenrot allein dort 4500 Menschen an den Schienenverkehr anzubinden. Damit ist ein späteres Upgrade der Strecken auf eine Stadtbahnlinie nicht ausgeschlossen. Das ist eine Doppelstrategie, auf die sich der Landkreis und die beteiligten Kommunen im Verkehrsministerium geeinigt haben. Wir können das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Ist das nicht eine Mogelpackung? Der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern der Stadtbahn ist damit ja nicht gelöst.
Nein. Das Bestechende an der Doppelstrategie ist, dass wir eine zeitnahe Lösung mit breiter Mehrheit realisieren können. Und damit sicherstellen, dass BRT-Trassen beschlossen werden. Wenn sich diese Kombi-Lösung aus Reaktivierung der Eisenbahnstrecke und Einführung eines BRT-Systems bewährt, kann man davon ausgehen, dass die Schienenlösung vom Tisch ist. Umgekehrt heißt das aber auch: Lassen sich die Vorteile der Kombi-Lösung nicht im erwarteten Umfang realisieren, hat eine spätere Schienenlösung ebenfalls die Chance für eine breite Mehrheit.
Hatten Sie vielleicht nur Sorge, dass die Stadträte für die Stadtbahn votiert hätten und Ihr Konzept obsolet geworden wäre?
Nein. Wir sind überzeugt, dass wir auf diesem Weg schneller den Herausforderungen der Region in Bezug auf Fahrverbote, nachhaltige Mobilität und verbesserte Lebensqualität gerecht werden können. Der Kompromiss zeigt genau in diese Richtung.
Über die Spannungen zwischen der Stadt Ludwigsburg und dem Landkreis wurde viel gesprochen. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Landrat Rainer Haas beschreiben?
Wir haben ein gutes, fast schon freundschaftliches Verhältnis. Auch bei dem erzielten Kompromiss haben wir eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Der angebliche Machtkampf zwischen uns ist eine Inszenierung der Medien.
Tatsächlich? Der Landrat favorisiert die Stadtbahn. Sie wiederum haben kürzlich, völlig überraschend, Ihr Verkehrskonzept vorgestellt, das ganz ohne Stadtbahn auskommt. Haas selbst sagte, dass er von der Vorgehensweise enttäuscht gewesen sei.
Uns trennt lediglich eine unterschiedliche Bewertung in der Sache. Gemeinsam ist es uns ein wichtiges Anliegen, den ÖPNV zu verbessern. Durch den erzielten Kompromiss werden wir dieses Ziel wesentlich schneller, stadtverträglicher und kostengünstiger erreichen. Gleichzeitig wahren wir uns alle Chancen für die Zukunft.
Auch wenn Sie sich jetzt wieder angenähert haben: irgendwann wird die Stadt sich entscheiden müssen: Bus oder Bahn? Beides geht nun einmal nicht.
Doch, das geht. Denn die Stadtbahn ist nur auf bestimmten Achsen gegenwärtig wirtschaftlich bau- und betreibbar. In die Weststadt oder nach Pflugfelden ist zur Zeit eine Stadtbahn weder wirtschaftlich noch aktuell geplant. Auch nach Remseck-Neckargröningen musste die Stadtbahn mangels Wirtschaftlichkeit aufgegeben werden. Der Bedarf für ein besseres Angebot ist aber hier vorhanden, und genau in diesen Achsen wird auch mit einer Stadtbahn in Ludwigsburg ein BRT parallel Sinn machen.
Aber recht bald müssen konkrete Beschlüsse gefällt werden. Die Stadt muss sagen, wo die Schnellbusse fahren sollen. Warum sollte es dann zu breiten Mehrheiten kommen? SPD und Grüne wollen die Busse doch gar nicht.
Aber auf der Grundlage des Kompromisses haben wir doch jetzt die Chance, schneller als mit der Stadtbahn Lösungen anzubieten, die die Mobilität deutlich verbessern. Ich bin überzeugt, dass dieser Ansatz, auf den sich im Verkehrsministerium alle geeinigt haben, eine breite Mehrheit im Gemeinderat findet.
Das ist doch Augenwischerei. CDU und Freie Wählern waren immer gegen jede Lösung, die gravierend zu Lasten des Autoverkehrs geht. Wenn Schnellbusse schnell sein sollen, brauchen sie eigene Fahrspuren, was den Autoverkehr erheblich beinträchtigen wird. Wenn die Detailplanung beginnt, beginnt auch der Streit wieder.
Der Erfolg unserer Stadtentwicklung beruht darauf, dass wir nicht überlegen, was mehrheitsfähig oder opportun sein könnte. Sondern darauf, dass wir untersuchen, welche Lösungen es gibt. Wir versuchen, aus der Sachargumentation zu Mehrheiten zu gelangen. Es gibt nichts Überzeugenderes als gute Argumente.
Solche Reaktionen gibt es häufig, wenn es um Innovationen geht. Man begegnet diesen zunächst mit Skepsis. Aber meist setzt sich am Ende die Erfahrung durch, dass das Bessere der Feind des Guten ist.
Aber die Kritiker bringen inhaltliche Aspekte vor und nicht nur diffuse Sorgen.
Ich kann die Kritik zum Teil verstehen. Dennoch zählt es zur normalen Praxis, sich nicht nur mit Althergebrachtem zu beschäftigen, sondern sich offen zu zeigen für Innovationen.
Nur weil etwas neu ist, ist es nicht gut.
Wir müssen aber erkennen, dass die althergebrachten Stadtbahnlösungen erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Planung der Hochflurvariante mit Hochbahnsteigen war mit dem Anspruch gestartet, eine durchgängige Verbindung von Remseck nach Markgröningen zu schaffen und gleichzeitig Ludwigsburg mit einem besseren ÖPNV auszustatten. Weil aber unsere Stadt viel enger ist als etwa Stuttgart, scheiden mehrere potenzielle Trassen aus. Für die konkrete Situation in Ludwigsburg ergibt sich daraus kein zusätzlicher Nutzen.
Weswegen die Hälfte des Gemeinderats sich ja für den Bau einer Niederflurbahn mit niedrigen Einstiegen ausgesprochen hat.
Aber auch hier gibt es noch große Fragezeichen: Für eine Niederflurbahn müsste eine eigene Logistik aufgebaut werden, mit eigenen Betriebshöfen, eigenen Ersatzzügen. Was in der Diskussion auch zu kurz kommt: jede Stadtbahn bringt eine erhebliche Lärmkulisse, von frühmorgens bis spätabends. Und dass gerade die Grünen, die aus guten Gründen den Radverkehr fördern, auf die Stadtbahn setzen, verwundert mich. Kaum etwas ist für Radfahrer gefährlicher als eine Straße mit Schienen. Für uns gibt es bessere Lösungen.
Busse? Oder wie Sie sagen: schienenlose Stadtbahnen?
Schauen Sie sich die neuesten Modelle an. Diese unterscheiden sich von den uns bekannten herkömmlichen Omnibussen grundlegend. Das geht vom Fahrgefühl, vom Komfort und der Kapazität vielmehr in Richtung Bahn. Diese neue Technologie hat denselben oder weitgehend denselben Nutzen. Bei wesentlich geringeren Kosten und Nachteilen.
Nicht einmal Ihr Verkehrsplaner Sascha Behnsen behauptet, dass Schnellbusse denselben Effekt haben wie Bahnen. Er selbst sprach unlängst von einem Schienenbonus.
Herr Behnsen hat nicht von einem Schienenbonus gesprochen. Er antwortete in einer Diskussion wie folgt: Die Akzeptanz, die man sich von schienenbasierten Systemen verspricht, kann weitgehend auch von einem schienenlosen System erwartet werden. In Deutschland gibt es noch keine unmittelbaren Erfahrungen mit BRT-Bussen. In anderen Ländern aber zeigt sich, dass das System eine hohe Akzeptanz erreicht.
Es gibt ja schon – normale – Busse in Ludwigsburg. Die sind oft überlastet. Warum hat man nicht einfach versucht, diese Linien besser auszustatten?
Dass sie überfüllt sind, zeigt zunächst einmal, dass Busse ein attraktives Verkehrsmittel sind. BRT-Busse haben die dreifache Kapazität von normalen Bussen – also ist das doch die richtige und schnelle Antwort, die man jetzt geben kann.
Das schafft nicht unbedingt Vertrauen. Zu sagen: mit normalen Bussen hat es nie geklappt, aber mit BRT-Bussen wird alles gut.
Wir sagen nicht, dass es mit normalen Bussen nie geklappt hat. Das ÖPNV-System in Ludwigsburg ist sehr leistungsfähig. Dennoch haben wir festgestellt, dass bestimmte Linien die Kapazitätsgrenze erreicht haben. Und genau das wollen wir doch ändern. Wir wollen mehr Kapazitäten zu Verfügung stellen, und zwar viel schneller, als es mit einer Stadtbahn möglich wäre. Sie verkennen, dass auch in Metropolen neben einem schienenbasierten ÖPNV in aller Regel leistungsfähige Busangebote zur Verfügung stehen.
Sie betonen oft die Neuartigkeit Ihres Konzepts. Über die Bahntrasse nach Markgröningen wird aber schon lange geredet, und Busse sind auch nicht gerade revolutionär.
Diese Auffassung teile ich nicht. In den 1990er Jahren gab es nicht die Möglichkeit, elektrische Züge auf nichtelektrifizierten Strecken fahren zu lassen. Das Gleis nach Markgröningen verfügt über keine Oberleitungen, dort hätte man Dieselloks einsetzen müssen – was niemand möchte. Genau jetzt stehen wir an der Schwelle, an der eine neue Technologie mit elektrisch angetriebenen Loks serienreif wird. Das Gleiche gilt für das BRT-System.
Nach Markgröningen soll Brennstoffzellentechnik eingesetzt werden, obwohl derzeit nirgendwo in Deutschland ein Brennstoffzellenzug im Regelbetrieb fährt. Trotzdem sagen Sie, die Trasse könne in rund drei Jahren reaktiviert werden. Klingt optimistisch.
Zu dem Zeitpunkt, als Bertha Benz erstmals in einem Auto gefahren ist, waren andere noch in Pferdekutschen unterwegs. Irgendwann ist immer der Zeitpunkt, an dem Innovationen erstmals umgesetzt werden. Es gibt diese Züge, sie sind serienreif, die ersten werden demnächst ihren Betrieb aufnehmen. Würden wir jetzt eine Stadtbahn beschließen, würde die erste Bahn in zehn bis 15 Jahren fahren. Das ist zu spät.
Dann hätte man die Stadtbahn vielleicht einfach viel früher beschließen müssen.
Durch die Feinstaub- und Stickoxid-Problematik hat der Zeitfaktor noch mal eine ganz andere Bedeutung bekommen. Im kommenden Jahr werden wohl in Stuttgart die ersten Fahrverbote für Dieselautos kommen, und diese Entwicklung wird auch andere Städte erreichen. Darauf müssen wir schnell reagieren. Außerdem haben wir mit den neuen Technologien die Chance, ein System einzurichten, das wesentlich kostengünstiger und stadtverträglicher ist.
Wer soll die Reaktivierung des Gleises nach Markgröningen eigentlich bezahlen?
Vom Grundsatz her gilt, dass alle regional bedeutsamen Vorhaben vom Verband Region Stuttgart finanziert werden – und unser Ansatz reicht weit über den Kreis Ludwigsburg hinaus. Wir müssen jetzt klären, ob die Region angesichts drohender Fahrverbote und zunehmender Staus Interesse an den Verbesserungspotenzialen hat, die unsere Lösung ermöglicht.
Regional bedeutsam wird Ihr Konzept, weil die neue Eisenbahn von Ludwigsburg aus weiter nach Süden fahren und dort auf die Schusterbahn nach Esslingen und die Bahn nach Leonberg treffen soll. Sogar Ihre Kritiker loben diesen Ansatz.
Die Region hat Nachholbedarf, was die ÖPNV-Qualität betrifft. Momentan ist alles auf den Stuttgarter Hauptbahnhof ausgerichtet, der deshalb ein Nadelöhr ist. Daher sind Verbindungen, die am Hauptbahnhof vorbei führen, von größtem Interesse. Das ist das Bestechende an dieser Variante.

Werner Spec ist 1958 in Sigmaringen geboren. Der Diplom-Verwaltungswirt war zunächst Kaufmännischer Werkleiter der Stadtwerke in Sigmaringen, von 1992 bis 1996 leitete er die Stadtkämmerei Ulm, danach war er Finanzbürgermeister und bis 2003 Oberbürgermeister der Stadt Calw. 2003 wurde Spec zum Oberbürgermeister von Ludwigsburg gewählt, 2011 mit 77,8 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Spec ist parteilos.