Dass ein Landrat einem OB ein Ultimatum stellt, wie bei der Stadtbahn-Frage geschehen, hat in der Kommunalpolitik Seltenheitswert. Es ist ein Symbol für den Zwist zwischen Rainer Haas und Werner Spec.

Ludwigsburg - Es ist ein lauer Oktoberabend in Ludwigsburg. Im Reithaus, einem großen Veranstaltungssaal in einer der vielen umgebauten Kasernen der Barockstadt, stehen Rainer Haas und Werner Spec auf der Bühne. Es geht um die strittige Frage, ob die Stadtbahn von Remseck über Ludwigsburg bis nach Markgröningen verlängert werden soll – was alle Kommunen bis auf die Stadt Ludwigsburg wollen. Es ist eine große Haas-Show. Der Landrat tut, was er am besten kann: Er gibt den Volkstribun, wirbt eloquent für das Stuttgarter Stadtbahn-Modell, erhält Beifall, bestimmt den Diskurs. Der Ludwigsburger Oberbürgermeister Werner Spec bleibt passiv und vermeidet den direkten Dialog.

 

Im Laufe der Veranstaltung tritt Haas auf Spec zu und knufft ihn am Arm. „Es ist ein Kompromiss möglich, eine Kombi-Lösung“, sagt er auf der Bühne. Man habe sich verständigt, lässt er das Publikum wissen. Es hätte ein magischer Moment der Kommunalpolitik werden können, eine große Weichenstellung, die über Jahrzehnte den Landkreis und dessen Kreisstadt prägt.

Stattdessen stehen sich jetzt in diesen kalten Wintertagen der Chef des Kreises und das Oberhaupt der mit Abstand größten Stadt im Kreis in einem stillen Machtkampf gegenüber, der indirekt über Briefe und Stellvertreter ausgetragen wird. Der 60-jährige Landrat hat dem 58-jährigen OB ein Ultimatum gestellt: Wenn nicht bis zum 30. Juni über die Stadtbahn entschieden sei, packe er die Pläne in die Schublade. Basta. Den Wunsch nach weiteren Gutachten aus Ludwigsburg weist er brüsk ab. Haas spielt einen scharfen Brief ans Rathaus der Presse zu, darin schreibt er von Verzögerungstaktik. Spec antwortet darauf nicht, verschwindet in der Versenkung. Wer den OB kennt und weiß, wie empfindlich er auf Kritik reagiert, ahnt, wie sehr ihn diese öffentliche Attacke trifft.

Auch in anderen Landkreisen streiten sich OB und Landrat

Nun sind Konflikte zwischen Landräten und Oberbürgermeistern nicht ungewöhnlich, sie sind angesichts unterschiedlicher Interessen fast systemimmanent. In Sindelfingen lieferten sich etwa der dortige Kreischef Roland Bernhard und das Stadtoberhaupt Bernd Vöhringer einen monatelangen Showdown zum Verkauf des städtischen Krankenhauses. In Esslingen ging es um ein ähnliches Thema. Der OB Jürgen Zieger wehrte sich massiv – und erfolgreich – gegen die Fusion seiner Stadtklinik mit denen des Kreises. In beiden Fällen ging es um mehr als das Austragen von Meinungsverschiedenheiten.

Wie im Privaten menschelt es auch bei lokalen Spitzenpolitikern. Das ist ein Teil der Erklärung, warum zwischen Landratsamt und Rathaus in Ludwigsburg zwischen den Chefs Funkstille herrscht. Auch im Kreistag wird das kritisch gesehen. „Ich will nicht bewerten, ob der Landrat ein Ultimatum setzen soll“, sagt der CDU-Fraktionschef Manfred Hollenbach. Und sein SPD-Kollege Jürgen Kessing, OB in Bietigheim-Bissingen, sagt: „Das war nicht so souverän, Herr Landrat.“

Wer Haas in diesen Tagen erlebt, erkennt ihn kaum wieder. Nahezu verzweifelt versucht er, mit Spec zu einer Verständigung zu kommen wegen der Stadtbahn-Frage. Man war mehrfach zusammen essen, kam aber offenbar nicht überein. Der Landrat ist es gewohnt, die Dinge in die Hand zu nehmen. Im Kreistag trifft er selten auf nennenswerten Widerspruch, selbst für die heikle Schließung der Klinik in Vaihingen und den Umbau in Marbach gab es breite Mehrheiten.

Stilfrage: offenes Visier oder langes Sondieren?

Doch beim Ludwigsburger OB beißt er auf Granit. Vor einigen Jahren haben sich Spec und Haas über die Finanzierung des Busverkehrs gezankt. Auch die Verteilung der Flüchtlinge war zu Beginn konfliktreich. Noch nie aber war der Streit so unerbittlich und so personalisiert. Ohne Gesichtsverlust kann keiner der beiden jetzt zurückziehen. Spec will keine Hochbahnsteige in Ludwigsburg, Haas hält die Schnellbus-Idee von Spec für eine Schnapsidee. Die Zuspitzung mit einem Ultimatum hat auch damit zu tun, dass die beiden völlig unterschiedlich Politik machen. Der 60-jährige Haas, der im Jahr 2009 von der Französischen Republik zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde, bevorzugt das offene Visier und die Konfrontation. Wobei er vorher geschickt in Hinterzimmern Bündnisse schmiedet, so dass er aus der Feldschlacht meistens als Sieger hervorgeht. Sein ehemalige Vize Utz Remlinger hat das oft genug zu spüren bekommen.

Werner Spec weicht öffentlichen Kontroversen aus, sondiert und dreht Runde um Runde in den Gremien, um dann überraschend für Freund und Feind einen Coup im Alleingang zu landen. Haas pflegt seine lokalen Netzwerke und kennt Gott und die Welt im Ländle, Spec glänzt auf internationaler Bühne und berät die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit.

Nun kommt eine persönliche Enttäuschung dazu. Haas glaubte in jenem Moment im Oktober im Reithaus offenbar, eine verbindliche Absprache mit Spec getroffen zu haben, einen belastbaren Kompromiss: die Hochsteig-Stadtbahn und die Schnellbusse als Ergänzung, Entscheidung bis März. Doch Spec sah darin nur eine weitere Option. Im Gemeinderat ließ er wenig später verkünden, bei dem Thema habe man noch viel Zeit. Nun strebt die Auseinandersetzung auf ihren Höhepunkt zu. Die Tage bis zum 30. Juni werden rasch verstreichen. Der Ausgang ist offen.