Der Amtsinhaber holt bei der OB-Wahl in Nürtingen zwar die meisten Stimmen, verfehlt aber die absolute Mehrheit bei weitem.

Nürtingen - Es sind erst drei Wahlbezirke von 36 ausgezählt, Otmar Heirich bewegt sich im Bereich von 45 Prozent. Daniel Riehle vom Hauptamt Nürtingen (Kreis Esslingen), der die Vorstellung des Wahlergebnisses im Rathaus moderiert, warnt vor voreiligen Schlüssen. Einiges könne sich noch bewegen. Zu Veränderungen kommt es in den folgenden 30 Minuten zwar tatsächlich, allerdings nicht zu Gunsten des Amtsinhabers. Otmar Heirich hat am Ende mit rund 40 Prozent der Stimmen zwar die Nase vorn, verfehlt damit aber die im ersten Anlauf für einen Wahlsieg nötige absolute Mehrheit von mindestens 50 Prozent. Damit ist klar, dass die Nürtinger am Sonntag in zwei Wochen, am 23. Oktober, noch einmal zur Urne schreiten müssen.

 

Enttäuschung will sich Heirich am Wahlabend nicht anmerken lassen. "Es hätten ein paar Prozent mehr werden können. Aber ich bin nicht unzufrieden." Er habe damit gerechnet, dass es einen zweiten Wahlgang geben würde. Es sei bei sechs Kandidaten schon "arithmetisch äußerst schwierig", die absolute Mehrheit zu erreichen. Auf die Frage, ob nicht seine Amtsführung in den vergangenen acht Jahren für das Ergebnis verantwortlich sei, antwortet Heirich: "Ich bin der Meinung, dass man sich an politischen Entscheidungen immer reiben kann."

Kurz sieht sich auf dem richtigen Weg

Gute Chancen rechnet sich nun Sebastian Kurz (CDU) aus. Der 25-jährige Nürtinger verbucht mit rund 25,5Prozent das zweitbeste Resultat aller sechs Bewerber. "Das Ergebnis finde ich sehr gut. 60 Prozent der Wähler wollen einen anderen Oberbürgermeister. Dass mich jeder Vierte gewählt hat, zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin", erklärt Kurz. Mit rund 10,1 Prozent ist Friedrich Buck (Grüne) auf dem dritten Platz gelandet. "Zufrieden bin ich nicht, ich hatte mehr erwartet", sagt der Weilheimer, der am Wahlabend noch offen lässt, ob er weitermacht. Petra Geier-Baumann, die mit rund sieben Prozent das viertbeste Ergebnis schaffte, kündigt indessen an, dass sie ein zweites Mal nicht antreten werde. Als "absoluten Erfolg" wertet Andreas Deuschle seine rund 5,7 Prozent. "Maßlos enttäuscht" hingegen zeigt sich das Schlusslicht Raimund Bihn (rund 2,6 Prozent). Die Wahlbeteiligung liegt bei 42,9 Prozent.

Mit rund 9,1 Prozent ist der Anteil der Rubrik "Sonstige Stimmen" ungewöhnlich hoch. Heirich führt dies auf eine Kampagne der zurückliegenden Tage im Internet zurück. In sozialen Netzwerken soll dazu aufgerufen worden sein, andere Namen auf den Stimmzettel zu schreiben und anzukreuzen. Bei den Sonstigen werde es zwar keine offizielle Rangliste geben, wie der Vorsitzende des Wahlausschusses, Andreas Erwerle, erklärt. Doch der Löwenanteil dieser Stimmen soll auf Claudia Grau entfallen sein. Die Erste Beigeordnete Nürtingens gilt als kompetente Frau, und sie ist in der Stadt beliebt. Viele halten sie für die bessere Oberbürgermeisterin. "Ich werde nicht gegen Otmar Heirich antreten", sagt Grau zu Spekulationen, sie steige nun ein. Sie habe mit ihrem Chef abgesprochen, dass sie bei einem zweiten Wahlgang nur für den Fall kandidieren werde, dass Heirich zurückziehe. Dazu stehe sie.

Die Bewerbungsfrist für neue Kandidaten endet am kommenden Mittwoch um 18Uhr. Die Fraktionschefs der CDU, Freien Wähler, Nürtinger Liste/Grüne und Jungen Bürger hatten für die Wahl gemeinsam zwar keinen Kandidaten gefunden. Ob die Fraktionen nun aber doch noch einen weiteren Bewerber präsentieren, wird in der Stadt mit Spannung erwartet.

Kommentar: Eine schallende Ohrfeige

Die 40,3 Prozent für Otmar Heirich sind eine schallende Ohrfeige. Deutlicher hätten die Nürtinger ihrem Oberbürgermeister das Misstrauen nicht aussprechen können. Das Ergebnis ist für ihn umso enttäuschender, als keiner seiner Herausforderer im Wahlkampf hervorgestochen hätte. Sie alle hatten nicht nur mit dem Makel der fehlenden Verwaltungserfahrung zu kämpfen. Keiner von ihnen strahlte ein Charisma aus, das diese Hypothek wettgemacht hätte. Einen Denkzettel haben die Wähler Heirich übrigens nicht zum ersten Mal verpasst.

Zu sinken begonnen hatte sein Stern im Jahr 2008. Im monatelangen Streit über die geplante Ansiedlung von Hugo Boss im Großen Forst, der Nürtingen in zwei Lager spaltete, hatte Heirich unbeholfen und wenig sensibel agiert. Bei der anschließenden Wahl zum Kreistag im Jahr 2009 stürzte Heirich von vormals rund 12000 auf dann rund 4000 Stimmen ab. Der seit dem Boss-Streit häufig geäußerte Vorwurf lautet, Heirich nehme die Wünsche der Bürger nicht ernst und beziehe sie bei Entscheidungen nicht ein. Das Thema Bürgerbeteiligung hat sich bei der gestrigen Wahl auch als das entscheidende entpuppt. Der Amtsinhaber hatte im Wahlkampf zwar Nachholbedarf bei der Partizipation eingeräumt und Besserung gelobt. Allein, der Wähler nimmt es ihm nicht ab. Es ehrt Claudia Grau, dass sie gegen Otmar Heirich nicht antreten will. Er aber sollte zum Wohl der Stadt die Größe haben, im zweiten Wahlgang nicht mehr anzutreten. Er sollte den Weg für die patente und beliebte Bürgermeisterin freimachen.