Das Bewerberfeld um die Nachfolge von OB Schuster wird bunter – auch ein Travestiekünstler mischt mit. Und ein Kandidat spricht sich offen gegen Bürgernähe und für die Fusion von VfB und Stuttgarter Kickers aus.

Stuttgart - Die vier OB-Kandidaten der im Gemeinderat vertretenen Fraktionen haben diesmal deutlich mehr Konkurrenz als bei der Wahl vor acht Jahren. Nach derzeitigem Stand wollen sich weitere 13 Männer und Frauen um den Chefsessel im Rathaus bewerben. Die Gesamtzahl der Bewerber hat sich damit auf 17 erhöht. Der Dauerkandidat Ulrich Raisch hat seine Bewerbung nach Angaben des Chefs des Statistischen Amts der Stadt, Thomas Schwarz, ohne Angabe von Gründen wieder zurückgezogen. Neu auf dem Kandidatentableau ist dafür der Travestiekünstler Selma Kruppschke alias Bernd Thomas Heier. Der gebürtige Esslinger, der seit 1990 in der Landeshauptstadt lebt, hat ebenso seinen Hut in den Ring geworfen wie zuletzt auch der Stuttgarter Mark Orts. Aus dem Kreis der 13 zusätzlichen Bewerber dürfen sich aber wohl allenfalls der Bewerber der Piratenpartei, Harald Hermann, sowie der vom Stuttgarter Wasserforum unterstützte Jens Loewe Hoffnungen auf ein nennenswertes Ergebnis im ersten Wahlgang am 7. Oktober machen.

 

Der bei der Stadt angestellte EDV-Spezialist Hermann profitierte bei seiner Nominierung vom Höhenflug der Piratenpartei. Inzwischen ist es ein bisschen ruhiger um die Piraten und damit auch um Hermann geworden. Zuletzt war der Aspirant allenfalls dadurch aufgefallen, dass er einer programmatischen Rede des von CDU, FDP und Freien Wählern unterstützten Konkurrenten Sebastian Turner im Stehen Beifall zollte. Turner hatte sich – wie berichtet – ebenfalls dem Kandidatenauswahlverfahren der Piraten gestellt. Programmatisch hat Hermann bisher wenig eigene Akzente setzen können.

Aktiver Gegner von Stuttgart 21

Wie andere Kandidaten auch setzt der 52-Jährige auf umfassende Bürgerbeteiligung vor weit reichenden politischen Entscheidungen. Führen will er gegebenenfalls nicht durch Weisungen, sondern setzt auf Kooperation. Er spricht sich für einen ausgeglichenen städtischen Haushalt aus, moniert aber zugleich zu geringe Etats in den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales. Technische Innovationen will er durch einen Risikokapitalfonds fördern. Beim Thema Stuttgart 21 plädiert der Tiefbahnhofskritiker für eine Aufarbeitung der Vergangenheit, ohne dabei Schuldzuweisungen zu betreiben. Den Streit über die Kosten des umstrittenen Bahnprojekts hält er zum jetzigen Zeitpunkt für falsch, solange nicht feststehe, was genau gebaut werden soll. Allerdings benötige man einen Plan B, falls der Kostenpuffer für das Milliardenvorhaben nicht ausreiche.

Deutlicher als Hermann positioniert sich der Einzelbewerber Jens Loewe in Sachen Tiefbahnhof: Er bekennt sich auf seiner Homepage als „aktiver Gegner“ des Projekts Stuttgart 21, „weil ich heute nicht erkennen kann, was Sinn und Zweck dieses Projekts ist, wozu überhaupt Milliarden ausgegeben werden und warum die Stadt dieser enormen Zerstörung und unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt wird“. Er verspricht, als OB die Frage der Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs umgehend klären zu lassen: „Sollte sich dabei bestätigen, dass es sich bei S 21 um einen Rückbau der Schieneninfrastruktur handelt, würde ich eine öffentliche Debatte führen, mich für eine baldmöglichste Beendigung des Projekts einsetzen und Konsequenzen, besonders auch rechtliche, folgen lassen.“

Die Partei gegen Bürgernähe

Ansonsten setzt der freischaffende Künstler und Aktivist, der vom Stuttgarter Wasserforum unterstützt wird, seine inhaltlichen Schwerpunkte bei den Themen Energieversorgung und Umweltschutz – und natürlich der Bürgerbeteiligung. Die Stadtwerke sollen in die Hände der Bürger gelegt werden. Den öffentlichen Personennahverkehr will der gebürtige Bochumer zum Niedrig- oder Nulltarif anbieten, das Feinstaubproblem durch die Umstrukturierung ganzer Stadtquartiere in Bezug auf die Vermeidung von Autoverkehr lösen. Loewe verspricht zudem Kindergartenplätze für alle Kinder und mehr Wirtschaftsförderung für kleine und mittlere Unternehmen.

Von den restlichen Kandidaten gibt es dagegen kaum programmatische Aussagen zur Kommunalpolitik – sieht man vom Fotomodell Marion Furtwängler (47) ab, die die Hundesteuer abschaffen und den Wettbewerb um den „Stadtbezirk des Monats“ einführen will. Die überzeugte Stuttgart-21-Anhängerin traut sich gleichwohl aus dem Stand bis zu 32 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zu. Weder Stephan Ossenkopf, der für die sogenannte Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Büso) ins Rennen geht, noch Wolfram Bernhardt von der Initiative Meisterbürger haben ihre Vorstellungen öffentlich kundgetan. Das gilt auch für die Bewerber Frank Möller, Wolfgang Schmid, Ulrich Weiler und Werner Ressdorf (alle Stuttgart) und den Schwäbisch Gmünder Albert Seitzer.

Der Tübinger Markus Vogt, der für die von Ex-Redakteuren des Satiremagazins „Titanic“ gegründete „Die Partei“ antritt, macht dagegen wenigstens deutlich, dass er sich als reiner Juxkandidat versteht. Er spricht sich gegen Bürgernähe aus, will Stuttgart komplett unter die Erde verlegen und darüber einen See aufstauen und den VfB Stuttgart mit den Stuttgarter Kickers zu einer schwäbischen Fußballmacht vereinigen. Sein wichtigstes gesellschaftspolitisches Ziel ist die Stärkung der hiesigen Bierkultur. Deshalb will sich Vogt für gutes Bier und Steuervergünstigungen für Brauereien einsetzen. Dass ihm dies am 7. Oktober zu einem respektablen Ergebnis verhilft, ist freilich unwahrscheinlich.