Eine Serie der Stuttgarter Zeitung beleuchtet den bisherigen Werdegang der aussichtsreichsten Bewerber um den OB-Posten. Heute: Sebastian Turner.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Man muss schon sehr genau hinschauen, um Sebastian Turner auf der Anzeige für die FAZ („Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“) zu erkennen. Vorne auf der Wiese vor Schloss Bellevue, der Residenz des Bundespräsidenten, sitzt Zeitung lesend Joachim Gauck, der damals, vor zwei Jahren, noch nicht zum Zuge kommen sollte. Neben und hinter ihm lagern verstreut Ausflügler auf Picknickdecken, grillend, lesend oder plaudernd. Einer von ihnen ist der frühere Chef der Werbeagentur Scholz & Friends, die die Kampagne für die Frankfurter Allgemeine einst entwickelt hatte. Man habe bei solchen Motiven mit Statisten aus der Agentur gearbeitet, erläutert Turner, einer davon sei eben er gewesen.

 

Die Selbstabbildung à la Hitchcock wurde seinerzeit nur in der Werbeszene schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Heute, da der Abgebildete als OB-Kandidat selbst in die Politik strebt, macht die Anzeige in Stuttgart breiter die Runde. Ob sie wohl ein Fingerzeig sei für das Fernziel des Bewerbers, also das höchste Staatsamt, wird frotzelnd gefragt. „Ja, stimmt“, witzelt der zurück, um sogleich klarzustellen, dass das natürlich Quatsch sei.

Eigentlich will Turner gar nicht mehr als „Werbeprofi“ wahrgenommen werden. Dieses (höchst erfolgreiche) Kapitel sei für ihn abgeschlossen, nach dem Verkauf seiner Agenturanteile firmiert er heute lieber als „Wissenschafts- und Medienunternehmer“. Doch mit der Kandidatur wächst auch jenseits der Fachwelt das Interesse an seiner bisherigen Karriere. Während andere OB-Anwärter als Kommunal-, Landes- oder Bundespolitiker seit Jahren auf offener Bühne agieren, blieb er meistens in den Kulissen – und geriet nur hin und wieder ins Scheinwerferlicht einer teils bewundernden, teils kritischen Öffentlichkeit.

Wirbel um einen Millionenauftrag des Bundespresseamtes

Zuletzt war das der Fall, als im Sommer sein langjähriger Kompagnon bei Scholz & Friends, der inzwischen zum Berliner Justizsenator avancierte Thomas Heilmann (CDU), in die Schlagzeilen geriet. Heilmann und Turner waren damals noch Mehrheitsaktionäre bei der Berliner Internetfirma Aperto, die indirekt an einem Millionenauftrag des Bundespresseamtes verdiente: dem online-basierten „Zukunftsdialog“ der Kanzlerin. „Merkel-Freund profitiert von Merkel PR“, titelte die Illustrierte „Stern“ über den früheren Internetbeauftragten der Partei und rechnete vor, dass die Beteiligung für die beiden Großaktionäre zuletzt mehr Dividende abgeworfen habe als das Jahresgehalt der Regierungschefin. Ob da alles mit rechten Dingen zugegangen sei? Jawohl, versicherten die Beteiligten. Die Auftragsvergabe sei blitzsauber gelaufen, wer hinter dem Unterauftragnehmer Aperto stand, sei dem Presseamt gar nicht bekannt gewesen. Er habe nicht einmal gewusst, um welche Aufträge sich Aperto bemühe, sagt Turner heute. Inzwischen wurde bekannt, dass er seinen Anteil bis auf einen kleinen Posten bereits im Frühjahr ans Management verkauft hat. Unter seinen verbleibenden Firmenbeteiligungen sei übrigens keine, die er wegen potenzieller Interessenkonflikte mit dem OB-Posten aufgeben müsste.

Es war nicht das erste Mal, dass Scholz & Friends – oder Ableger des Werbekonzerns – in den Geruch gerieten, die CDU-Nähe führender Köpfe sei durchaus geschäftsförderlich. Bereits 2007 gab es Wirbel um einen Millionenauftrag des Bundespresseamtes, den zunächst die Agenturtochter Pergamon ergatterte. Klagen von Konkurrenten wies das Kartellamt zwar ab, rügte aber zugleich Mängel beim Verfahren. Obwohl rechtlich nichts zu beanstanden sei, entschied der damalige Regierungssprecher, den Auftrag neu zu vergeben – auf dass auch nicht der geringste Makel haften bleibe. „Nicht die Spur einer Unkorrektheit“ habe sich die Agentur damals zuschulden kommen lassen, betont Turner heute.

Turner hat Werbung für praktisch alle Parteien gemacht

Das immer wieder aufgekommene Gerede über Aufträge dank Parteinähe ist für ihn leicht zu entkräften. Ein Beleg: ihren wohl größten Einzelauftrag habe die Agentur zu Zeiten der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder bekommen – nämlich für die Initiative „Land der Ideen“. Für SPD-Ministerien wie das Verkehrsressort zu Zeiten von Wolfgang Tiefensee sei man ebenso tätig gewesen wie für CDU-geführte Häuser: „Da gab es eine breite Streuung.“ Scholz & Friends habe sich einfach früh einen guten Ruf im öffentlichen Sektor erarbeitet, der durch die Bewertungen in der Fachwelt gestützt wurde.

Bei der Vergabe der inzwischen legendären Imagekampagne für das Land Baden-Württemberg („Wir können alles, außer hochdeutsch“) wurde besonders strikt auf ein unangreifbares Verfahren geachtet. Die Idee für eine solche Landeswerbung reklamiert der Düsseldorfer Werbeprofi Bernd Kreutz für sich, der Erwin Teufel und die Südwest-CDU in zwei Wahlkämpfen begleitete. Doch gerade wegen dieser Parteiaufträge, sei ihm bedeutet worden, komme er für die Umsetzung nicht in Betracht. Darüber grummelt Kreutz, den Turner als „eckigen, interessanten Mann“ schätzt, bis heute. Jüngst machte er sich in seinem Internetblog erst über den Slogan des einstigen Kollegen lustig, um dessen Plakate dann in den höchsten Tönen zu loben. Dass Scholz & Friends den Landesauftrag just unter dem Ministerpräsidenten Stefan Mappus wieder verlor, hat für den Wahlkampf des parteilosen CDU-Kandidaten auch etwas Gutes: So kann Turner schon nicht mit dem wenig beliebten Ex-Regierungschef in Verbindung gebracht werden. Turbulenzen um die Imagekampagne des Landes gab es dafür einst im noblen „Art Directors Club“ (ADC). Just zu der Zeit, als Sebastian Turner dort Vorstandssprecher war und viel bewegt hat, wurde Baden-Württemberg als „Kunde des Jahres“ ausgezeichnet. Prompt witterten manche Werber Mauschelei. Damals wie heute verweist Turner freilich darauf, die Entscheidung sei in einem völlig transparenten Verfahren von der Mitgliederversammlung getroffen worden. Die zuweilen geäußerte Annahme, der ADC-Posten habe auch der Förderung der eigenen Geschäfte gedient, weist Turner weit von sich: Man müsse schon froh sein, wenn ein solches, potenziell konfliktträchtiges Ehrenamt nicht die Geschäfte im Hauptberuf belaste.

Alles im üblichen Rahmen

Ausgezeichnet wurden übrigens der damalige Staatsminister Christoph Palmer und sein zuständiger Referatleiter, gegen den heute im Zusammenhang mit dem „Nord-Süd-Dialog“ wegen eines Gratisurlaubs ermittelt wird. Von Turner, sagt der Beamte, sei er nur einmal zu einer Zwiebelsuppe eingeladen worden. Ansonsten habe ihn die Agentur zu runden Geburtstagen mal mit einem Druck, mal mit einer gerahmten Fotomontage bedacht – alles im üblichen Rahmen. Nur das Großplakat auf einem Kleinlaster, das Scholz & Friends zu seinem Abschied vor der Villa Reitzenstein aufstellen ließ, wurde als übertrieben empfunden – das war allerdings deutlich nach Turners aktiver Zeit.

In der FAZ-Anzeige mit dem heutigen Bundespräsidenten verwendete Turner übrigens schon einen Terminus, den er in eigener Sache jetzt wieder aktivierte. „Joachim Gauck, Bürger“, stand darunter. Der Mann auf der Picknickdecke ahnte damals wohl noch nicht, dass er sich selbst einmal als „Bürger-OB“ empfehlen würde.