Die StZ-Serie beleuchtet den Werdegang der aussichtsreichsten Bewerber um das Amt des Oberbürgermeisters. Heute mit Bettina Wilhelm, die sich nicht nur auf Sozialpolitik reduzieren lassen will.

Region: Verena Mayer (ena)

Stuttgart - Doch, es gibt sie. Die Geschichten über Bettina Wilhelm, die nichts mit Frauen, Bildung oder Kinderbetreuung zu tun haben. Die Geschichte über die erste Servicestadt Deutschlands etwa. Dass Schwäbisch Hall sich erfolgreich um diese Auszeichnung bemüht, war eine der ersten Amtshandlungen von Bettina Wilhelm als Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall. Dann gibt es die Geschichte von der Grillhauptstadt. Anfang Mai dieses Jahres wurde in Schwäbisch Hall die Deutsche Grill- & Barbecue-Meisterschaft ausgetragen. Bettina Wilhelm hatte den Wettkampf mit der Metzger-Innung in die Stadt geholt. Und es gibt die Geschichte vom neuen Kocher-Quartier. Die war aber nicht ganz so werbewirksam.

 

Nicht alle Bürger freuten sich so sehr auf die Eröffnung des neuen Einkaufszentrums im neuen Quartier wie die Stadtverwaltung. Viele Einzelhändler in der Altstadt fürchteten um ihre Existenz. Der Vorschlag, sich an dem zehntägigen Eröffnungsfest mit dem umstrittenen Titel Halli-Galli auch finanziell zu beteiligen, verursachte zusätzlichen Unmut. Die Internet-Zeitung „hohenlohe ungefiltert“ spottete damals: „Nur die allerdümmsten Kälber bezahlen ihren Metzger selber.“ Eineinhalb Jahre ist das nun her. Die Lage hat sich beruhigt, und Bettina Wilhelm kann sagen, dass das Einkaufszentrum insgesamt richtig war. Als Erste Bürgermeisterin ist sie unter anderem für das Stadtmarketing zuständig. In Stuttgart muss die OB-Kandidatin trotzdem ständig versichern, dass sie mehr könne als Soziales.

Wenn ihr Chef, der Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim, über Bettina Wilhelm spricht, spricht er allerdings genau davon: von ihren pädagogischen Qualitäten. Der einstige SPD-Landtagskandidat lobt die 48-Jährige dafür, wie sie die Qualität der Kleinkindbetreuung verbesserte; dafür, wie sie einen guten Übergang von den Kitas an die Schulen sicherstellte; und dafür, wie sie das Haus der Bildung konzipiert und umgesetzt hat. Darin sind unter anderem die Musikschule, das Stadtorchester, die Volkshochschule und Pro Familia vereint, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Die Frau mit einer Ausbildung als Erzieherin, einem Abschluss als Sozialpädagogin und einem als Pädagogin sei sehr eine gute Fach-Bürgermeisterin.

Nicht nur Sozialthemen

Wenn Angelika Matt-Heidecker über Bettina Wilhelm spricht, dann klingt das so: „Stuttgart – das ist schon eine Nummer.“ Mit diesen Worten kommentierte die SPD-OB von Kirchheim/Teck im Kreis Esslingen Wilhelms Ansinnen, als deren Kandidatur in Stuttgart bekannt wurde. Bevor Wilhelm in Schwäbisch Hall eintraf, hatte sie 2006 einen Stopp in Kirchheim eingelegt. Als Leiterin des Geschäftskreises Kultur und Soziales startete sie eine Bildungsoffensive: Kindertageseinrichtungen wurden zu Orten frühkindlicher Bildung, das Ganztagesangebot an den Schulen wurde ausgebaut. Kirchheim habe sich relativ früh relativ gut um Themen gekümmert, die inzwischen viele Kommunen belasten, lautet der Tenor der Stadträte über Bettina Wilhelms Amtszeit – die mit zweieinhalb Jahren aber doch recht kurz gewesen sei.

Sie wäre noch etwas kürzer gewesen, hätte Angelika Matt-Heidecker ihre Mitarbeiterin nicht gebremst. „Es gibt auch die Verantwortung für das, was man woanders angefangen hat“, sagte die Chefin – und ließ Bettina Wilhelm nicht zum März 2009 ziehen, sondern erst zum April. Eine aktuelle Einschätzung der Oberbürgermeisterin über ihre potenzielle Amtskollegin gibt es nicht. Keine Zeit, zu viele Termine.

Wenn Bettina Wilhelm über sich spricht, sagt sie, dass sie sich nicht auf Sozialthemen reduzieren lasse. Seit zwölf Jahren arbeite sie in führenden Positionen in Rathäusern. Es ärgere sie, wenn dies ignoriert werde. Anders als ihre Konkurrenten wisse sie, wie eine Stadtverwaltung funktioniere, kenne kommunale Strukturen, habe strategisches Planen gelernt.

Die harte und hässliche Seite der Politik kennt sie

Die hässliche Seite der Kommunalpolitik, die hat sie auch kennengelernt. 2004 in Ludwigsburg. Dort hatte sie vier Jahre zuvor als Frauenbeauftragte begonnen und sich mit Kampagnen für gewaltfreie Schulen und gegen gewalttätige Männer rasch Respekt verschafft. Doch als Bettina Wilhelm aufsteigen wollte, stürzte sie ab. Es ging um die Leitung des Fachbereichs Bürgerschaftliche Kooperation. In die Endauswahl des Bewerbungsverfahren hatte es Wilhelm geschafft. Doch am Wahlabend beschloss der Gemeinderat kurzerhand, die Stelle neu auszuschreiben. Beim zweiten Anlauf im Oktober erteilte der Rat Bettina Wilhelm eine endgültige Abfuhr – und wählte einen anderen. Die frauenbewegte Frau Wilhelm war den Kommunalpolitikern, wie sich nun zeigte, zu selbstbewusst, zu forsch und zu wenig pflegeleicht. Von da an wollte Bettina Wilhelm weg aus Ludwigsburg. Sie durfte zwar noch eine Pädagogikabteilung aufbauen und leiten. Doch in dieser Verwaltung hatte sie genug gelernt. Für den Posten der OB in Aalen reichte es trotzdem nicht.

Um dieses Amt bewarb sie sich, mit Unterstützung von SPD und Grünen, im Jahr 2005. Doch obwohl die Genossen in Aalen seit Jahrzehnten den OB stellten, konnten sie nicht Bettina Wilhelm stellen. Sie hatte die Bürger nicht davon überzeugen können, dass sie keine Kampf-Emanze sei; und dass sie ein Rathaus führen könne, obwohl sie keine studierte Verwaltungswirtin ist. Mit ihren 22 Prozent trat Wilhelm im zweiten Wahlgang gar nicht mehr an. Dafür dann 2006 in Kirchheim/Teck als Abteilungsleiterin. Und 2009 in Schwäbisch Hall als Erste Bürgermeisterin. Und nun in Stuttgart, wo sie die Bürger überzeugen muss, dass sie das größte Rathaus im Land führen und mehr als Soziales kann.

Werner Spec, der CDU-nahe Oberbürgermeister von Ludwigsburg, äußert sich über seine ehemalige Mitarbeiterin auch nicht. Aus Gründen einer Gleichbehandlung und Fairness gegenüber den Kandidaten der Wahl in Stuttgart, wie er ausrichten lässt. Dafür sagt Hermann-Josef Pilgrim noch etwas. Ein Oberbürgermeister müsse nicht Experte „in allen Fragen der Welt“ sein. Wichtiger seien ein wacher Verstand und politische Sensibilität. Wilhelms Dienstherr weiß, wovon er spricht: Als Volkswirt hat auch er keine klassische Verwaltungsausbildung.