Das Oberlandesgericht Stuttgart hat einen Senat, der sich nur mit Arzthaftungsrecht befasst. 80 Berufungsfälle vom Landgericht landen dort pro Jahr im Schnitt – und manchmal geht es im Verhandlungssaal recht emotional zu.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Wenn der Kläger sauer ist, dann kann es schon mal etwas rustikal zugehen im Verhandlungssaal des Oberlandesgerichts (OLG). Eine Dame, die mit dem Verhandlungsverlauf nicht einverstanden war, legte ihre Zahnprothese wutentbrannt auf die Richterbank. Daran, erläutert der Richter Martin Horst, könne man gut sehen, wie emotional es in Zivilverfahren zugehen kann, die das Arzthaftungsrecht zum Thema haben. Die Dame hatte geklagt, weil die Prothese ihrer Meinung nach falsch gearbeitet worden sei.

 

Für die Frage, ob ein Arzt beziehungsweise eine Klinik und deren Personal haften müssen, gibt es seit dem Jahr 2013 eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Bis dahin waren die Grundsätze, nach denen zu entscheiden ist, vom Bundesgerichtshof geregelt gewesen, berichtet Horst bei der Pressekonferenz des OLG.

Der Richter darf sich nicht von Gefühlen leiten lassen

Die Folgen können weitgehend sein für die Betroffenen, sagt der Richter. „Prozessbeobachter tendieren daher dazu, sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen“, so Martin Horst. Das dürfe er als Richter natürlich nicht. Es gehe nicht darum, ob man aufgrund der gesundheitlichen Lage eines Patienten eine Entschädigung für angemessen halte, sondern darum, ob ein Fehler der Ärzte nachzuweisen sei. An einem Fall aus dem Raum Stuttgart verdeutlicht er das.

Das Oberlandesgericht hatte im April dieses Jahres darüber zu entscheiden, ob die Ärzte nach der Frühgeburt von Zwillingen im Jahr 1997 falsch gehandelt hatten. Eines der Kinder starb nach der Geburt, das zweite überlebte und konnte mit Unterstützung und Förderung einen Schulabschluss erlangen, braucht aber bis heute Betreuung durch die Eltern. Dies sei durch eine unzureichende Beatmung nach der Geburt verursacht worden, die unter anderem zu einer Lernbehinderung und Konzentrationsstörungen geführt habe. Das OLG entschied, dass kein Behandlungsfehler geschehen war, weil die Ärzte nach damaligem Standard richtig gehandelt hätten. Nach heutigen Erkenntnissen hätten sie anders reagieren müssen, die Grundlage für die Entscheidung sei aber der Stand der Medizin zum Zeitpunkt der Behandlung.

Ist ein Fehler geschehen, liegt die Beweislast beim Arzt.

In den Verfahren zum Arzthaftungsrecht geht es darum, ob Behandlungsfehler nachgewiesen werden können. Wenn diese vorliegen, so liegt die Beweislast beim Arzt. Der Mediziner müsse dann belegen, dass Folgeschäden nicht von ihm zu verantworten sind. Neben den Behandlungsfehlern werden auch Diagnosefehler und Versäumnisse von Ärzten bei der Aufklärung des Patienten über mögliche Folgen eines Eingriffes erörtert.

Mit rund 80 Berufungsverfahren muss sich das Oberlandesgericht pro Jahr befassen, auf diesem Niveau bewegten sich die Fallzahlen in den zurückliegenden Jahren. Stand Juli waren es in diesem Jahr bereits 50 Verfahren. „Ob sich daraus jetzt schon ein Anstieg ablesen lässt, können wir noch nicht sagen“, meint Martin Horst. Der zuständige Zivilsenat führe keine Statistik darüber, in wie vielen Fällen die Patienten und wie oft die Ärzte Recht bekommen würden. „Das interessiert uns nicht so. Wir betrachten jeden Fall mit seinem eigenen Sachverhalt.“ Am OLG ist ein Senat mit 3,3 Richterstellen für die Zivilverfahren im Arzthaftungsrecht zuständig. Das Landgericht Stuttgart hat zwei Kammern, die auf solche Fälle spezialisiert sind, an allen anderen württembergischen Landgerichten gebe es auch zuständige Zivilkammern mit darauf spezialisierten Richtern. Wenn im Berufungsverfahren festgestellt wird, dass eine Entschädigung zu zahlen ist, entscheidet über deren Höhe das Landgericht, das dann wieder mit den beiden Parteien weiterverhandelt.