Einst wurde er als Experte für Regeln bundesweit bekannt. Nun hat ein Stuttgarter Oberstaatsanwalt selbst gegen eine Vorgabe verstoßen: eine private Anzeige erstattete er auf dem Briefpapier der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Als Experte für die Einhaltung von Regeln hat es der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Daniel Noa (62) bundesweit zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Anfang 2007 ließ er sich in seiner Behörde beurlauben und wechselte als oberster Korruptionsbekämpfer zu Siemens. Der einst für Wirtschaftsdelikte zuständige schwäbische Ermittler sollte dem Weltkonzern helfen, seine Bestechungsaffäre zu überwinden – eine Mission, die etliche Schlagzeilen machte.

 

Doch nach einem halben Jahr war sie schon wieder zu Ende. Ohne offizielle Begründung schied Noa bei Siemens aus und sollte durch einen international erfahrenen Experten für Compliance (Regeltreue) ersetzt werden. Seine Verpflichtung, folgerten damals Medien, sei wohl ein Missverständnis gewesen: mit den Konzernstrukturen sei er nie klargekommen, auch seine Englischkenntnisse hätten nicht ausgereicht. Eine Weile blieb Noa dem Unternehmen noch als Berater verbunden, inzwischen leitet er wieder eine der beiden Abteilungen für Verkehrsdelikte bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Volvo gegen Jaguar auf der Alb

Nun aber hat der Oberstaatsanwalt, der anderen Regeln beibringen sollte, selbst dazulernen müssen. Privates und Dienstliches, lautet die Lektion, muss er klarer trennen, als er das für nötig hielt. Rein privat war der Ludwigsburger im vorigen Mai mit seinem Volvo auf der Schwäbischen Alb unterwegs, als es zu einer unerfreulichen Begegnung mit einem Jaguar-Fahrer gekommen sei. Dieser habe ihn, möglicherweise aus Ärger über seine korrekte Fahrweise, gleich mehrfach bedrängt: erst durch Hupen und dichtes Auffahren, dann durch Überholen und abruptes Abbremsen. Noa fühlte sich jedenfalls bedroht und will sogar an einen Überfall gedacht haben.

Wenige Tage später tippte er eine Strafanzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft in Tübingen. Darin schilderte er den Vorfall aus seiner Sicht und ermunterte die Kollegen zum Aktivwerden: „Ich sehe den Tatbestand zumindest der Nötigung als erfüllt an und bitte um entsprechende Strafverfolgung.“ Verfasst war die Anzeige nicht auf privatem Briefpapier, auf dem sich Noa ebenfalls – durchaus zulässig – als „Oberstaatsanwalt“ ausweist, sondern auf dem offiziellen Kopfbogen seiner Stuttgarter Behörde, ergänzt um Dienstrang und Namen. Das sollte seinem Vorbringen womöglich mehr Nachdruck verleihen.

Strafbefehl über gerade mal 20 Tagessätze

Tatsächlich leiteten die Tübinger Ermittler ein Verfahren ein. Es endete mit einem Strafbefehl gegen den Jaguar-Fahrer, einen promovierten Soziologen, der in den Akten als „Marktforscher“ firmiert, sich selbst aber als Politik- und Wirtschaftsberater bezeichnet. Das Strafmaß von gerade mal 20 Tagessätzen zeigte freilich, dass dem Vorfall kein hohes Gewicht beigemessen wurde. Der Angezeigte widersprach Noas Darstellung vehement und erstattete seinerseits Strafanzeige wegen Nötigung und Beleidigung, der die Staatsanwaltschaft jedoch keine Folge gab; einen Widerspruch dagegen wies die Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart zurück.

Ob der Anzeigeerstatter oder der Angezeigte ein Kollege sei, spiele bei solchen Ermittlungen keinerlei Rolle, sagt ein Sprecher der Tübinger Behörde. Im Gegenteil: man schaue sogar noch genauer hin, um jeden bösen Schein zu vermeiden. So gesehen wäre es womöglich kontraproduktiv gewesen, dass Noa den Behördenbogen verwendete. Aber es war auf jeden Fall unzulässig, wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart in einer abstrakten Auskunft bestätigt.

Amtshandlung in privater Angelegenheit tabu

Grundsätzlich, so die Behördensprecherin, dürften Staatsanwälte auf Amtspapier Anzeige erstatten; aus dem Vorgang werde dann eine „Amtshandlung“. Nicht erlaubt sei dies jedoch, wenn der Anzeigeerstatter selbst Geschädigter der angezeigten Straftat ist; so stehe es klipp und klar in Paragraf 11 des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz. Sanktionen für Verstöße sehe das Gesetz nicht vor.

Einen Verstoß will Noa selbst nicht erkennen: Er habe den Briefbogen ja durch den Zusatz seines Namens „personalisiert“. Doch diesen Hinweis lässt die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft, die inzwischen ebenfalls mit dem Vorgang befasst war, nicht gelten. „Die Verwendung eines Briefkopfes in personalisierter Form ist nicht zulässig“, stellt eine Sprecherin klar, natürlich auch nur abstrakt. Ob der Fauxpas für den Oberstaatsanwalt dienstliche Folgen hatte, wird nicht verraten.

Amtsgericht stellt das Verfahren ein

Strafrechtlich ist der Fall übrigens seit diesem Montag erledigt. Da verhandelte das Amtsgericht Münsingen über den Einspruch gegen den Strafbefehl und hörte auch Noa als Zeugen. Ergebnis: das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit ohne Auflagen eingestellt, die Kosten trägt die Staatskasse. Welchem der beiden Kontrahenten er mehr Glauben schenkt, dem Staatsanwalt oder dem Soziologen, musste der Richter so erst gar nicht entscheiden.