Eine Studentin unternimmt in ihrer Freizeit Ausflüge mit einem Rollstuhlfahrer. Doch dabei stoßen die beiden an ihre Grenzen – wenn sie die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen möchten. Aber statt zu resignieren, haben sie einen Vorschlag für die SSB.

Hohenheim/Feuerbach/Möhringen - Es könnte so schön sein: Eine junge Studentin setzt ihre knappe Freizeit dafür ein, dass ein 72-jähriger Rollstuhlfahrer mal rauskommt. Sie fährt mit ihm zu kulturellen Veranstaltungen. Gemeinsam besuchen sie die Wilhelma. Sie unterhalten sich über dieses und jenes; die junge Frau, die an der Uni Hohenheim Kommunikationswissenschaft studiert und in Möhringen lebt, lernt von dem alleinstehenden Feuerbacher das Schachspiel.

 

Doch wenn Nina Freund mit Siegfried Haas einen Ausflug machen will, erfordert das bisweilen nicht nur Zeit, sondern auch ihre ganze Kraft: Wenn die beiden am Wilhelm-Geiger-Platz in die Bahn einsteigen wollen, muss die 19-Jährige Siegfried Haas’ Rollstuhl nach hinten kippen, um den Spalt zwischen Bahnsteig und Wagen zu überwinden. Dann stemmen sich rund 50 Kilo gegen 180, um eine Lücke und eine Kante von ein paar Zentimetern zu überwinden.

Perspektivenwechsel

„Wenn man den Dreh nicht raus hat, geht es nicht“, erklärt Siegfried Haas, der wegen Multipler Sklerose seit 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen ist – und auf die Hilfe anderer. Nina Freund ist eine solche Helferin. Über die Online-Ehrenamtsbörse „Machen wir was“ haben sich die beiden gefunden. „Ich habe nie Erfahrungen mit Behinderten gemacht und wollte wissen, wie das so ist“, erklärt sie ihre Suche nach dem Perspektivenwechsel, von dem sie in ihrem Kontakt-Profil schrieb.

Freund bekam schnell einen deutlichen Eindruck: „Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich zum ersten Mal versucht habe, den Rollstuhl zu kippen“, erzählt die schlanke Frau. In dem halben Jahr, das seit diesem ersten Versuch vergangen ist, hat sie dazu gelernt. Aber Freund gibt sich nicht damit zufrieden, dass sie und Haas dadurch mobiler sind: „Als Rollstuhlfahrer ist man auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen“, sagt Freund. Immer wieder stelle sie sich die Frage: „Wie würde ich mich fühlen?“, und immer wieder fällt ihr auf, wie wenig barrierefrei die Stadt, die Gesellschaft ist: „Es gibt doch sicher auch viele junge behinderte Menschen, aber ich sehe sie fast nie irgendwo“, sagt Freund, die neben dem Studium als Werksstudentin bei der Agentur Mehrwert arbeitet, die zwischen sozialen Einrichtungen und Unternehmen vermittelt.

Vorschlag für die SSB

Nun möchte Freund der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) eine Lösung vermitteln, die sie zusammen mit Haas ersann. Er erklärt: „Manche Busse haben eine Rampe, die selbst so zarte Wesen wie Nina bedienen können. Eventuell könnte die SSB in den ersten Wagen nach dem Fahrer so eine Klappe einbauen.“ Freund bekräftigt: „Es ist wichtig, dass das immer an der gleichen Stelle und gut sichtbar ist.“

Die Sprecherin der SSB, Susanne Schupp, ist weniger euphorisch ob dieser Idee: „Eine Rampe kann ich mir nicht vorstellen. Die Fahrzeuge müssten komplett umkonstruiert werden, und angesichts der finanziellen Situation der SSB schließe ich das erst einmal aus.“ Bei den Bussen sei es etwas anderes, weil diese vom Hersteller mit Rampe geliefert werden.

Tricks für mehr Mobilität

Schupp verweist auf zwei Veranstaltungen im Jahr, bei der SSB-Mitarbeiter an der Haltestelle in Heumaden Tipps und Tricks für Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität vermitteln. Die Haltestellen und Bahnsteige barrierefrei zu gestalten, sei, so Schupp, „eine Daueraufgabe“.

Es bleibt wohl noch eine Weile Nina Freunds Aufgabe, Haas Ausflüge in „unser schönes Städtle“, wie er Stuttgart nennt, zu ermöglichen. Der ehemalige Bauberater nimmt es gelassen. Während er mit seinem Elektrorollstuhl an der Stuttgarter Straße in Feuerbach entlang surrt und die Bordsteinkanten nur knapp überwindet, sagt er: „Alles umzubauen geht nicht. Aber in Zukunft können die Planer ja daran denken.“