Ein Verein hilft bei der Umsiedlung aus dem radioaktiv verseuchten Gebiet. Eine Windrad wird mit einem Kredit finanziert, weil weniger Spenden fließen.

Holzgerlingen - Tschernobyl gerät in Vergessenheit“, sagt Edeltraud Schill. 28 Jahre nach der Reaktorkatastrophe lasse das Interesse spürbar nach. Dabei gebe es noch zahlreiche Menschen, die aus dem radioaktiv verseuchten Gebiet wegziehen wollten. Für sie baut der Verein Heim-statt Tschernobyl, dessen Bundesvorsitzende die Holzgerlingerin Edeltraud Schill ist, seit dem Jahr 1992 Häuser in nicht verstrahlten Gegenden Weißrusslands. In diesem Sommer ist das 25. neue Eigenheim in Stari-Lepel 170 Kilometer nordöstlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk einer Familie übergeben worden. Im Herbst werden zwei weitere Häuser folgen, welche die Helfer des Vereins mit Einheimischen errichtet haben. Zudem läuft die Planung für eine Behinderteneinrichtung in dem Gebiet.

 

Weniger Spenden

Edeltraud Schill macht das schwindende Bewusstsein über das Leid der Betroffenen an dem rückläufigen Spendenaufkommen ihres Vereins fest, das inzwischen noch 130 000 bis 140 000 Euro jährlich betrage. „In früheren Jahren kamen mehr als 200 000 Euro zusammen“, berichtet die Holzgerlingerin. Vor allem die Privatspenden seien zuletzt immer weniger geworden. Aber immerhin springen Geldgeber wie der Kreisjugendring Böblingen in die Bresche, der zuletzt mehr als 9000 Euro spendiert habe.

Das meiste Geld fließt im Rahmen der Förderhilfe vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMWZ). Zurzeit werde auch ein Doppelhaus mit jeweils zwei Wohnungen für Bedienstete der Ambulanzzentrale in Stari-Lepel gebaut. Gesamtkosten: 103 000 Euro. Weil es in dem Ort mit 520 Einwohnern keinen niedergelassenen Arzt gibt, werden die Menschen in diesem Ambulanzzentrum betreut, das ebenfalls von Heim-statt Tschernobyl errichtet wurde. Das BMWZ unterstützt das Projekt mit rund 75 000 Euro.

Darlehen für ein Windrad

„Weil wir ein Verein sind, können wir keinen Kredit aufnehmen“, sagt Schill. Im Falle des dritten Windrades, das jetzt bei Drushnaja in Betrieb geht, sei man aber auf eine andere Geldquelle gestoßen. Die GLS Gemeinschaftsbank in Bochum habe ein Darlehen über Bürgschaften gewährt. Durch einen Aufruf waren 107 Bürgen gefunden worden, die für jeweils 3000 Euro geradestehen wollten, so dass die GLS Bank 320 000 Euro genehmigte. Die Restkosten von 130 000 Euro für das Windrad, das in Norddeutschland nicht mehr gebraucht, abgebaut, nach Weißrussland transportiert, generalüberholt und wiederaufgebaut wurde, bezahlte die weißrussische Partnerorganisation Ökodom Stroj. Dafür verwendete sie die Einnahmen aus dem Erlös, den die ersten beiden Windkrafträder abwerfen, sowie die Einnahmen aus der Produktion von Schilfplatten für die Hausdämmung.

Die von Heim-statt Tschernobyl errichteten Häuser bestehen in erster Linie aus Lehm und Holzhäckseln. Die vom Verein produzierten Schilfplatten dienen zur Wärmeisolierung der Dächer, die aus Blech gemacht sind. Die Häuser befinden sich nicht nur in Stari-Lepel, sondern auch im weiter westlich gelegenen Dorf Drushnaja, wo bereits weitere 31 Gebäude stehen.

Knochen des Deutschen Heeres gefunden

Als Edeltraud Schill mit ihrem Ehemann Christof und anderen Helfern früher einmal in Drushnaja im Einsatz war, sind sie auf Spuren des Ersten Weltkriegs gestoßen. „Wir haben Knochen ausgegraben, die von deutschen Soldaten stammten. Wir waren deshalb so sicher über die Funde, weil wir auch U-förmige Schuheisen von Angehörigen des Deutschen Heeres fanden“, sagt die 61-Jährige. Die Knochen wurden in Gräbern bestattet, zweimal war Schill bei der Zeremonie dabei

„Unser Engagement dient auch der Versöhnung und Völkerverständigung“, erklärt die Holzgerlingerin, denn bei der Aufbauarbeit sowohl in Drushnaja als auch in Stari-Lepel sind weißrussische Kräfte mit von der Partie. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das, denn die ausgewählte Familie darf für den weiteren Innenausbau des Dachstocks in dem jeweils acht mal acht Meter großen Gebäude sorgen. Mit rund 75 000 Euro werden die Kosten für ein Eigenheim beziffert. 50 000 Euro zahlt Heim-statt Tschernobyl, für den Rest muss die Familie selbst aufkommen und kann die restlichen Arbeiten auch selbst ausführen. „Die Verdienstmöglichkeiten sind nicht schlecht. In der Landwirtschaft gibt es genügend Arbeit“, sagt Edeltraud Schill.

Vor wenigen Tagen ist sie mit ihrem Mann und 20 deutschen Helfern aus Stari-Lepel zurückgekehrt, wo die Einsatztruppe mit zehn weißrussischen Aktiven die Häuser Nummer 26 und 27 zum Einzug von Umsiedlerfamilien vorbereitet hat. Nach getaner Arbeit sei üblicherweise ein gemütliches Zusammensein angesagt. Doch dieses Mal habe das Thermometer auch abends noch 30 Grad angezeigt. „Wir haben auf die Lagerfeuer verzichtet“, erzählt Schill, „dafür sind wir im See von Stari-Lepel Tretboot gefahren.“