In den 90er Jahren stand die Ökonomin Renate Ohr dem Euro skeptisch gegenüber. Jetzt sieht sie ihn in Gefahr.

Stuttgart - Vor der Einführung des Euro hatte die Wirtschaftswissenschaftlerin Renate Ohr ihre Kritik an der Währung 1992 und 1998 in Manifesten aufgeschrieben. Sie fand etliche Dutzend Professoren, die per Unterschrift bestätigten, ihre Skepsis zu teilen. Gefahren wie die überschuldeter Euro-Mitglieder hatten die Skeptiker der Gemeinschaftswährung damals vorhergesagt. Die Misere um die griechischen Staatsfinanzen hat das Interesse an den Thesen wachsen lassen.

Frau Ohr, wie oft haben Sie sich in den vergangenen Wochen die Papiere angeschaut, die Sie gegen die Euro-Einführung verfasst hatten?


Durchaus einige Male, um den genauen Wortlaut nachzulesen. Und es ist erstaunlich, dass Vieles, was wir für möglich gehalten hatten, tatsächlich so eingetreten ist.

Sie hatten etwa Skepsis gegenüber der Haushalts- und Preisdisziplin vieler Euro-Länder gehegt. Erfüllt Sie es mit Genugtuung, dass diese Prognose wie im Falle Griechenland Länder aufgegangen ist?


Nein. Denn wir haben nun mal den Euro als gemeinsame Währung und es hilft niemandem, wenn diese nicht stabil ist. Geht es dem Euro schlecht, hätte ich zwar Recht gehabt. Aber leiden müssten wir alle.

Mit der Prognose, die EZB werde die Inflation nicht im Griff haben, lagen Sie in den Manifesten aber daneben.


Die EZB hat in den vergangenen zehn Jahren einen hervorragenden Job gemacht, das hat uns tatsächlich positiv überrascht. Aber sie muss auch dabei bleiben und darf auf keinen Fall nach Wegen suchen, wie sie Griechenland helfen kann.

Also sollte etwa nicht, wie es der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF) nahe gelegt hat, ein höheres Inflationsziel als die knapp unter zwei Prozent der EZB angestrebt werden?


Auf keinen Fall. Damit wäre das Vertrauen in den Euro, dass die EZB aufgebaut hat, sehr schnell wieder verloren.

Hat die Einführung des Euro das Schuldenmachen in den Mitgliedsländern in den vergangenen Jahren nicht zumindest teilweise eingedämmt und dadurch die Folgen der Finanzkrise besser verdaubar gemacht?


Zum Teil ja. Aber durch die Währungsunion sind auch andere Dinge geschehen. Die früheren Schwachwährungsländer profitierten anfangs vor allem von günstigeren Zinsen als in der Vergangenheit und erhielten einen Wachstumsschub. Doch parallel dazu hatten sie immer eine etwas höhere Inflation als Deutschland. So sind dort etwa die Lohnkosten stärker gestiegen und dadurch hat die Wettbewerbsfähigkeit gelitten. Nur können die Länder jetzt nicht mehr ihre Währung abwerten, um diese Nachteile auszugleichen. Diese Probleme gäbe es ohne die Gemeinschaftswährung nicht.

Haben einige Länder also stärker von der Euro-Einführung profitiert und andere in eine Abwärtsspirale geschickt?


Tatsächlich haben sich einige Ungleichgewichte herausgestellt, weil die wirtschaftliche Entwicklung der Euro-Länder sehr unterschiedlich ist. Das sieht man etwa an der unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsentwicklung. Die südlichen Länder haben immer noch eine etwas höhere Inflation. Sie müssen daher den Schritt gehen, den Deutschland gemacht hat, und die Lohnkosten senken. Das ist uns nicht leicht gefallen und wird es Griechenland auch nicht. Aber der Weg muss gegangen werden.

Das ist doch ein Vorwurf aus Griechenland: Deutschland habe durch seine Arbeitsmarktpolitik und Lohnzurückhaltung die Situation dort verschärft.


Zu sagen, dass Deutschland der Böse ist und mit Schuld an der Lage in Griechenland hat, ist ein Witz. Griechenland hat jahrelang über seinen Verhältnissen gelebt.

Wieso haben die Stabilitätskriterien von Maastricht - also Obergrenzen für Neu- und Gesamtverschuldung - eine übermäßige Verschuldung nicht verhindert?


Der Stabilitätspakt wurde von Anfang an nicht richtig eingehalten. Schon 2005 hatten über die Hälfte der Euroländer mehr als drei Prozent Neuverschuldung und es hatte keine Konsequenzen. Es gab nie offizielle Sanktionen, weil diese von den Finanzministern anderer Länder verhängt werden müssten. Und die wollen im Fall der Fälle selbst auch keine Auflagen erhalten und richten daher milde. Im Zuge der Finanzkrise halte ich es zwar für sinnvoll, über die Neuverschuldungsgrenze hinaus zu gehen. Das heißt aber nicht gleich 12,7 Prozent wie in Griechenland, sondern vielleicht vier oder fünf Prozent.

Wieso gibt es so viel Aufregung um Griechenland, obwohl das Land gemessen an der gesamten Wirtschaftleistung der Eurozone doch recht klein ist?


Es geht um die Gefahr der Ansteckung weiterer Länder wie Portugal, Irland oder Spanien. Natürlich stehen diese Länder nicht ganz so schlecht da. Doch ein drohender Staatsbankrott in Griechenland könnte die Finanzmärkte überreagieren lassen und einen Domino-Effekt auslösen. Das Problem Griechenlands ist zudem, dass es sich zum Großteil im Ausland verschuldet hat und dadurch in anderen Ländern Bankenkrisen entstehen könnten. Und durch den jahrelangen Betrug bei der Schuldenstatistik ist das Vertrauen in das Land dahin.

Da das Kind in den Brunnen gefallen ist: Braucht Griechenland von außen Beistand?


Da bin ich strikt dagegen. Die Griechen müssen das alleine schaffen. Schließlich ist eine der Grundfesten der Eurozone, dass ein Land einem anderen nicht finanziell zur Hilfe eilen darf. Griechenland muss seinen Haushalt in den Griff bekommen und die EU-Kommission das ständig kontrollieren.

Glauben Sie denn, dass der Sparplan sich durchziehen lässt angesichts von Streiks und Protesten in Griechenland?


Die Regierung will das durchsetzen, das nehme ich ihr ab. Aber es wird ein langwieriger Prozess.

Politisch scheint es aber dennoch auf finanziellen Beistand aus Deutschland und anderen Ländern hinauszulaufen. Wie sollte eine solche Hilfe denn dann aussehen?


Sie sollte auf keinen Fall von europäischer Seite kommen. Denn sonst würde sich kein Land mehr irgendwelchen Schuldenkriterien verpflichtet fühlen, was den Euro noch mehr schwächen würde. Als Geldgeber kommt wenn überhaupt der IWF in Frage. Er ist eine außen stehende Institution, die Erfahrung mit solchen Lagen hat. Dort reden zwar auch die Europäer mit - aber eben nicht nur.

Aber die großen Länder wie Frankreich und Deutschland hätten sicherlich noch finanziellen Spielraum, um zu helfen.


Ich bin absolut gegen eine solche Lösung. Es wäre quasi eine Bestrafung der soliden Länder. Das schafft Anreize in anderen Ländern, den eigenen Haushalt nicht in Ordnung zu halten.

Aber das wäre doch endlich ein Weg zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa. Gerade die Euroskeptiker hatten doch immer gesagt, dass diese für eine stabile Gemeinschaftswährung wichtig wäre.


Das ist richtig, doch es will ja kein Land seine Entscheidungsmacht aufgeben. Eine solche gemeinsame Politik halte ich in den kommenden Jahren für ausgeschlossen. Stattdessen muss es automatische Sanktionen bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt geben und kein politisches Geschacher.

Wünschen Sie sich jetzt die D-Mark wieder zurück?


Das kann man heutzutage nicht mehr, der Zug ist abgefahren. Aber es ist theoretisch denkbar, dass eine Spaltung der Währungsunion entsteht. Denn wenn viele schwache Länder wie Griechenland in der Währungsunion sind, könnten irgendwann die stabilen Länder wie Deutschland, Frankreich oder Österreich das Interesse verlieren, mitzumachen.

Könnte es die Situation entschärfen, wenn möglichst viele Deutsche in diesem Sommer in Griechenland Urlaub machen und dort Geld ausgeben?


Das würde die Griechen sicherlich freuen.