Der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer machte vor der Wahl beim letzten Fernsehduell am Donnerstag einen Strategiewechsel und ließ nun „den Trump“ heraus.

Wien - Plötzlich war er nicht mehr der nette, süßlich lächelnde Onkel von nebenan. Beim letzten TV-Duell zwischen den österreichischen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und dem Freiheitlichen Norbert Hofer am Donnerstag, gab sich letzterer beinhart und erbarmungslos.

 

Hofer schlüpfte in die Rolle des Anklägers, der den Beschuldigten Van der Bellen zu „überführen“ suchte. Er spielt den Empörten: „Das ist ungeheuerlich!“ „Das ist unfassbar!“ „Das ist eine Lüge!“ „Sie haben schon wieder die Unwahrheit gesagt!“ Hatte der Rechtspopulist in den vergangenen Monaten vor allem den zahmen, konzilianten Herren gezeigt, so ließ er am Donnerstagabend den „Trump“ heraus. Die eineinhalbstündige Diskussion entgleiste zeitweilig. Das Duell spiegelt durchaus die Atmosphäre zwischen den beiden „Lagern“ vor der Stichwahl am Sonntag in Österreich wider. Die Spannung in der Bevölkerung ist groß. Und beiden Kandidaten war anzusehen, dass sie sich des Wahlsiegs überhaupt nicht sicher sind.

Der Vater auf dem Foto und der Vater im Herzen

Sie versuchten sich zunächst in der Opferrolle. Van der Bellen zog nach - bereits uralten - Vorwürfen, sein Vater sei ein Nazi gewesen, ein Foto desselbigen heraus. Hofer reagierte nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ mit dem lauten Vorwurf: „Das ist ein schweres Foul“ und meinte, eigentlich sei sein Vater als Nazi diffamiert worden. „Ich habe kein Foto meines Vaters mitgebracht, aber ich habe eines hier im Herzen“, drückte er auf die Tränendrüse. In den folgenden 90 Minuten blieb ungeklärt, wessen Vater nun noch ungerechter behandelt worden sei. Offensichtlich bedienten beide aber das allseits beliebte und verhängnisvolle Identitätsmerkmal der Österreicher: Wir sind nur Opfer gewesen, aber selbst keine Nazis.

Die Diskussion glitt immer mehr in einen Schlagabtausch wechselseitiger Vorwürfe ab, die letztlich in einer Rumpelstilzerei endete. Dabei waren die Anschuldigungen teils absurd. Hofer warf Van der Bellen etwa „Ostspionage“ vor. Richtig laut wurde es beim Thema Europa. Hofer machte sich über die „EU-Traktorsitzverordnung“ lustig, die ausführlicher sei als die amerikanische Verfassung. Dagegen gäbe es in der EU nicht einmal Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke, meinte er. Atomkraftwerke sind ein Patriotismus-Thema in Österreich, weil es in Österreich keine gibt und man sehr stolz darauf ist. Hoferholte sogar die Sanktionen der damals 14 EU-Staaten gegen die österreichische Bundesregierung im Jahr 2000 aus der Mottenkiste. „So etwas will ich nicht mehr erleben!“, empörte er sich. Van der Bellen erwiderte nur, die Sanktionen seien „scheinheilig“ gewesen, weil man danach nichts gegen die Regierung Berlusconi gemacht habe. Das wirkte angesichts der Polterei von Hofer aber nur mehr matt.

Selbst Österreichs eingeübtester Wahlbeobachter, der Politologe Peter Filzmaier war nach dem TV-Duell von der Aggressivität Hofers überrascht. In Österreich spricht man von einem „Strategiewechsel“ des rechten Kandidaten knapp vor der Wahl. Hofer habe die „Panzerfaust und den Dreschflegel“ benutzt, meinte Filzmaier. Van der Bellen wirkte daneben in seiner Art, langsam zu sprechen, zunächst beschwichtigend, zusehends aber auch provoziert.

Die Entscheidungsfähigkeit der EU stärken

Der ehemalige Grünen-Chef und Wirtschaftsprofessor wies darauf hin, dass man Reformen brauche, wolle man die Entscheidungsfähigkeit der EU stärken. Hofer ging darauf gar nicht ein, sondern warf seinem Kontrahenten vor „zentralistisch“ zu denken und das „Einstimmigkeits-Prinzip“ abschaffen zu wollen. Darauf hin meinte der Grüne: „Jetzt reicht es aber!“ und zog ein Bild von Hofer hervor, wie er der französischen Rechtsnationalen Marine Le Pen die Hand küsst. Der Moderatorin Ingrid Thurnher schien es dann auch zu reichen: „Meine Herren!“, versuchte sie das Gespräch zu ordnen, von dem kaum mehr etwas zu verstehen war.

Doch das Getöse ging weiter: Alexander Van der Bellen warf seinem Gegenüber vor, aus der EU austreten zu wollen und verwies auf einen Antrag zu einer Volksbefragung, was Hofer mit dem üblichen „Das ist eine Lüge!“ zurückwies. Der Hinweis auf den Öxit ist tatsächlich problematisch, weil Hofer seit zehn Monaten „predigt“, dass er gegen einen EU-Austritt sei. Unseriöse wechselseitigen Vorwürfe sind aber seit Monaten prägend für den Wahlkampf und haben das Niveau der Auseinandersetzung zusehends nach unten geschraubt.

Die Neutralität endet nie

Jeder, der die Positionen der Grünen und Blauen kennt, weiß, dass sich beide Kandidaten im Laufe des Wahlkampfs verbogen haben - bei Van der Bellen, dem Kandidaten der eher gebildeten, urbanen Bevölkerung - ist das vielleicht noch augenscheinlicher. So sprach er sich bei dem Thema Neutralität dafür aus, dass diese „nie“ enden sollte, obwohl er zuvor durchaus meinte, dass man diese auch abschaffen könnte. Die Neutralität ist in Österreich aber eine heilige Kuh, weil ihre Zusicherung vielen Bürgern das Gefühl gibt „dass man sich aus allen Konflikten raushalten kann“.

Es geht also auch Van der Bellen darum, sich an den Leuten „anzubiedern“. Hofer kennt da keine Grenzen. Er fand es natürlich richtig, dass österreichische Soldaten die UN-Mission auf den Golanhöhen verlassen haben, sobald es gefährlich wurde. Wehrpflicht ja - aber Einsatz nur dann, wenn keine Gefahr droht - ist offensichtlich seine Devise. Van der Bellen fand es hingegen zumindest „schwer nachvollziehbar“, wenn man sofort wenn es „brenzlig wird“, „Hals über Kopf die Koffer“ packt.

Für faire Milchpreise

Golanhöhen? König-Abdullah-Zentrum? Die Themen schienen teils hanebüchen, weil sie nichts mit den Aufgaben eines Präsidenten zu tun hatten. Das ist auch den Medien geschuldet, die die Kandidaten permanent danach fragten. Aber es geht auch von den Kandidaten aus. So wirbt Hofer sogar damit, dass es wieder „faire Milch-Preise“ geben sollte und positioniert sich damit als „Vertreter der Bauern“. Den Milchpreis bringt er mit den Russland-Sanktionen in Verbindung. Insgesamt zeigte sich er sich am Donnerstag dezidiert pro-russisch und setzte für die Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau ein. In Österreich kann er damit in allen Gesellschaftsschichten mit Unterstützung rechnen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich das kleine, neutrale Österreich mit den „Russen gut stellen“ will: Man hat ganz einfach Angst davor, in einen Konflikt zu geraten. Andererseits schielt man nach dem russischen Geld, das auch in Wien geparkt ist.

Näher an Putin

Die Affinität zu Putin gehört ohnehin zum Arsenal der Rechtspopulisten in Europa. Der blaue Kandidat holte aber auch die anderen Versatzstücke hervor: Anti-Islamismus, die Forderung nach einem starken Präsidenten, Schlechterstellung von Migranten, Abschottung gegenüber anderen, das Pflegen von Ressentiments gegen „Brüssel“. Er betonte, dass er für den Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei sei und nicht in die Türkei fahren wolle, selbst wenn ihn Erdogan einladen würde. Der Applaus ist ihm sicher: In Österreich fallen - teils auch historische - antitürkische Ressentiments mit den islamophoben rechten Parolen zusammen.

Das Schauspiel mag jene angezogen haben, die selbst genau jene Aggressivität und Wut verspüren, die hier bei Hofer zu sehen war. Eine ähnliche Identifikation hatte ja offenbar auch Trump bei seinen Wählern gesucht und es zuwege gebracht Emotionen, die man aus Gründen der Selbst-Disziplin normalerweise für sich behält, vorbehaltlos zu äußern und damit den Leuten das Gefühl zu geben, dass diese Gefühle nicht mehr kontrolliert werden müssten und dass sie mit diesen Gefühlen irgendwie „Recht haben“.

Falsche Zuwanderungspolitik

Dabei vermischt Hofer diese Emotionen durchaus mit rechter Ideologie. Während sich Van der Bellen für soziale Sicherheit stark machte, wetterte Hofer gegen das „aggressive Betteln“, ein seit Jahren beliebtes FPÖ-Thema. Natürlich sei auch die „falsche Zuwanderungspolitik“ ein Grund für die Unsicherheit. „Die Interessen der Österreicher gehen vor“, so Hofer. Der Blaue war natürlich auch dagegen, dass Rückkehrer, die für die Terrororganisationen Islamischer Staat in Syrien oder im Irak gekämpft hatten, von Sozialarbeitern betreut werden - stattdessen sollen sie seiner Meinung nach die Staatsbürgerschaft verlieren. Daneben wirkte Van der Bellen mit seinem Argument, die Staatsbürgerschaft sei etwas wichtiges, vernünftig. Allerdings ist Vernunft derzeit nicht gerade en vogue. http;//www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.posse-um-die-wahl-des-bundespraesidenten -die-causa-kleber-laehmt-oesterreich.a3f5ce88-c7bc-479e-b7c4 http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.bundespraesidenten-wahl-angefochten- die-tuecken-des-wahlrechts.9abe316b-d452-45fb-8a7e-42f638c316f2.html