Heute sucht der Reisende das Lebensgefühl der Stadt und fährt bis in die Wiener Neustadt.

Wien - Der Schlüssel passt nicht. Er rührt sich keinen Millimeter. Dabei lief bis jetzt alles so problemlos: Der Schlüssel für die Privatunterkunft in der Fleischmanngasse war im Café nebenan deponiert mitsamt einem netten Brief. Aber jetzt bleibt die Tür verschlossen - und kein Rezeptionist, der weiterhelfen könnte. Aber dafür steht im Brief die Mobilnummer der Vermieterin, die auch prompt reagiert. In einer Stunde wird sie mitsamt Schlüsseldienst da sein, um das Schloss zu reparieren. Man könnte so lange im Café ne- benan warten, aber wozu? Die Wohnung liegt zentral im vierten Bezirk von Wien, das Wochenende ist kurz. Wer möglichst viel möglichst schnell erleben will, hat keine Zeit zu verlieren.

 

Der Social Traveller sowieso nicht. Das ist, so der Wiener Zukunftsforscher Andreas Reiter, der Reisende, der seine Trips mithilfe von Facebook plant, weil er auf die Flüsterpropaganda im Netz setzt und abseits der touristischen Ameisenstraßen unterwegs sein will. Immer auf der Suche nach dem authentischen Lebensgefühl einer Stadt, nach den Plätzen, in denen sich viele Wiener und wenige Touristen aufhalten. „Der Reisetrendsetter 2.0 will sich abheben von der Masse“, sagt Reiter. Und dabei das Verborgene aufspüren und sich nicht auf dem Prater langweilen. Zu diesem Lebensgefühl passt auch kein Hotelzimmer von der Stange. Aber es gibt ja Firmen wie Wimdu, eine Internetplattform, die weltweit 50 000 Privatunterkünfte vermittelt. „Travel like a local“ ist der Slogan des im März 2011 gegründeten Unternehmens: Reise wie ein Einheimischer. Eingelöst wird er nicht immer.

Es lohnt sich. 79 Euro kostet die Nacht in Herberts Doppelbett

Wimdu-Vermieterin Stephanie mit dem kaputten Schloss hat eine sehr geschmackvolle Zwei-Zimmer-Altbauwohnung zu bieten. Tipps, wohin sie als Wienerin am liebsten selbst ausgeht, sind dagegen von ihr nicht zu bekommen. Die Wohnung mit dem stylischen Bad wird von ihr auch nicht privat genutzt, sondern ausschließlich vermietet. Wäre der Schlüssel der Putzfrau nicht abgebrochen und stecken geblieben, hätte es noch nicht einmal ein Telefonat gegeben.

Das ist bei Herbert schon anders. Der Regieassistent bewohnt die Zwei-Zimmer-Wohnung, die er im Zentagasse vermietet, zwar auch nicht selbst. Aber er ist ein vollendeter Gastgeber, der seinen Mietern frisches Obst in die Schale legt, die Nespresso-Kapseln auffüllt und das Bad mit kleinen Shampoofläschchen bestückt hat. Im Flur hat er einen Ordner mit Tipps für Restaurants und Cafés in der Umgebung deponiert und er gibt bei der Schlüsselübergabe gerne Auskunft, wo Wien am wienerischsten ist.

Warum vermietet er seine Wohnung nicht dauerhaft, sondern an Städtetouristen? „Ich wollte die Wohnung nicht an irgend jemanden geben, sondern persönlich einrichten, daran habe ich Spaß. Und ich lerne so immer wieder nette Leute kennen. Finanziell geht es sich aus.“ Will sagen: Es lohnt sich. 79 Euro kostet die Nacht in Herberts Doppelbett.

Noch günstiger, mit hautnahem Kontakt zu Vermieterpaar, seinen Katzen und dem Hund lebt es sich bei Dr. Mazakarini in seiner opulent eingerichteten Altbauwohnung. Was heißt hier Wohnung, es könnten auch die Verkaufsräume eines Antiquitätenhändlers sein, der neben Möbel sehr viele Gemälde, noch mehr Nippes und Tausende von Büchern zur Schau stellt. Wer sich hier im Sissi Bett einmietet, kommt so schnell nicht mehr vor die Tür. Was zum einem am Wiener Schmäh des sehr eloquenten Gastgebers liegt, einem pensionierten Kunsthistoriker. Zum anderen daran, dass es in diesen labyrinthischen Räumen mit den eingebauten Decks und Galerien so viel zu bestaunen gibt. Wenn dann noch Frau Mazakarini auftritt, eine elegante ältere Dame mit feuerroten Haaren, Architektin, Astrologin und Hundeliebhaberin, wird es noch schwerer, die Wohnung zu verlassen.

Mit der Zeit lässt das Fremdeln nach

Wo ist das Wien, das nicht in jedem Reiseführer beschrieben wird? Es ändert sich auf jeden Fall sehr schnell. Die Szenefrau und Wienexpertin Kathrin Hofmann rät nach Ottakring zu fahren, dort sei Wien multikulti und sehr spannend. In der Ottakringer Brauerei richtet die umtriebige Trendsucherin auch zwei Mal im Jahr den Feschmarkt aus - ein Marktplatz für junge Kreative aus ganz Österreich, die hier Mode und Design verkaufen. Ansonsten sei im siebten Bezirk die Hipster-Dichte aber auch recht hoch - dort hält sich die digitale Bohème nicht in traditionellen Kaffeehäusern auf, sondern hat die Mac-Books auf weißen Tischen vor sich liegen. Kathrin Hofmann ist in beiden dieser Welten daheim: Ihr Mittagessen heute sind Frankfurter (nicht Wiener!) Würstel mit Kren und einem Glas grünen Veltliner im Beisl nebenan.

Ein bisschen ungewöhnlicher dürfte es für den Abend aber schon sein. Kein Heuriger steht auf dem Plan, Secret Dining ist angesagt. Das Geheimnis wird in der Wiener Neustadt gelüftet. Das hört sich zwar nach Wien an, liegt aber rund 50 Kilometer außerhalb der Stadt. Dort kocht Elisabeth Schöninger zweimal im Monat für Gäste, die sich zuvor im Internet bei ihr angemeldet haben. Oft sind es Freunde, manchmal kommen aber auch Fremde, sie bringen eine Flasche Wein mit und bezahlen 50 Euro für ein besonderes Menü.

Sechs Esser passen an den Tisch im grün gestrichenen Wohnzimmer. An der Wand hängt ein Foto der Tochter, über dem Flachbildschirmfernseher ist die Route der Hochzeitsreise nach Kuba gepinnt. Elisabeth Schöninger steht hoch konzentriert in der Küche ihres Einfamilienhauses und lässt sich von den Gästen, die sich an ihrem Rhabarber-Bellini festhalten, nicht aus der Ruhe bringen. Ein bisschen seltsam kommt man sich schon vor, mit dem Glas in der Hand in der Küche zu stehen, als wäre man eine Freundin des Hauses. Aber das Fremdeln lässt nach, die Beiriedschnitten und das Schokoladenmalheur der Hobbyköchin sind vom Feinsten, und am Ende hat man gut gegessen und viel erfahren. Warum Familienbetriebe nicht immer harmonisch sind, worin der Zauber Kubas besteht und welchen Reiz es hat, Gastgeberin für Fremde zu sein.

Wien ganz ohne Sightseeing - da fehlt doch etwas. Ein Besuch im Freud Museum muss sein. Die Ausstellung in den ehemaligen Praxisräumen des Erfinders der Psychoanalyse ist so altmodisch, dass es fast schon wieder hip ist. Nur ellenlange Texte und viele Fotos in Schwarz-Weiß. Ein Bummel über die Gumpendorferstraße führt dagegen zu trendigen Einzelhändlern, die ihren Läden Namen wie „Das Möbel“ geben. Hier gehen die jungen Wiener shoppen und manche beenden ihren Samstagsbummel auf einem Enzi. So heißen die überdimensionalen Kunststoffsofas, die die Innenhöfe des Museumsquartiers zur Lounge machen - benannt nach der Marketingfrau der Kunstmeile. Nicht wirklich ein Geheimtipp. Aber ein guter Platz, um sich ganz wienerisch zu fühlen.

Infos zu Wien

Unterkunft
Wimdu ( www.wimdu.de) hat weltweit über 50 000 Privatunterkünfte im Angebot. Wer eine passende Wohnung oder ein Zimmer gefunden hat, nimmt per Mail Kontakt mit dem Vermieter auf. Über Wimdu wird auch die Zahlung abgewickelt. Die oben beschriebenen Unterkünfte sind zu finden unter www.wimdu.de/offers/66YJJYYF, www.wimdu.de/offers/4BNG07DX, www.wimdu.de/offers/AQKANAZV. Private Unterkünfte vermitteln auch www.airbnb.com und www.9flats.com.

Tipps
Auf www.insiderei.com verraten Menschen aus der Kreativszene ihre Lieblingsrestaurants, -bars, -läden. Weltweit und speziell für Wien. Das Booklet „be inside Vienna“, produziert von der Insiderei, liegt in Galerien und Restaurants aus. Am 25. und 26. August findet der nächste Feschmarkt in Ottakring statt, www.feschmarkt.at.

Secret dining
Termine bei Elisabeth Schöninger unter www.secretdining.at. Weitere Adressen für Essen in Privaträumen: www.diestadtspionin.at/reportagen/privatedinner.php