Tomas Zierhofer-Kin und Markus Hinterhäuser haben Anfang der neunziger Jahre gemeinsam Salzburg revolutioniert. Zierhofer leitet heuer erstmals die Wiener Festwochen, Hinterhäuser die Festspiele. Das wird recht gegensätzlich werden.
Stuttgart - Manche Geschichten haben es in sich, auch nach vielen Jahren noch. Zum Beispiel die, wie der heute 59-jährige Markus Hinterhäuser mit 13 Jahren den Komponisten Karlheinz Stockhausen angerufen hat, abends und privat daheim. Stockhausen stand immer ganz normal im Kürtener Telefonbuch. Und er ging ran und erklärte dem Buben Hinterhäuser, was der wissen wollte, nämlich die Grundregeln der Zwölftonmusik. Stockhausens Engagement hat sich gelohnt. Hinterhäuser ist nicht nur ein exzellenter Pianist geworden, sondern mittlerweile auch Intendant der Salzburger Festspiele. Und auf Stockhausen lässt er bis heute nichts kommen.
Das mit der Hinterhäuser-Intendanz hätte Anfang der neunziger Jahre, als in Salzburg personell schon einmal etwas Außerordentliches passierte, nun aber auch wieder keiner gedacht, noch nicht einmal Gerard Mortier, der damals dem 1989 verstorbenen Herbert von Karajan nachfolgte: zum Ausgleich für Restgediegenes, was er der Klientel zuliebe im Programm bleiben lassen musste, startete er, neben anderen Umwälzungen, das Nebenfestival „Zeitfluss“, wo konsequent Zeitgenössisches geboten wurde, und zwar vom Sänger Tomas Zierhofer und eben von Markus Hinterhäuser, die Luigi Nonos „Prometeo“, ein Stück am Rande der Hörbarkeit, in die Kollegienkirche holten. Oder eine „Prop“-Oper von Peter Greenaway im Stadtkino ablaufen ließen. Oder Dino Saluzzi einluden, der den argentinische Tango so spielt, wie er gehört: mit allerleisester Melancholie.
Der eine folgt dem anderen nach
Das ging viele Jahre gut und immer noch besser mit Zierhofer (der heiratete und ein –Kin als Doppelnamen dazubekam) und Hinterhäuser, der auch heiratete – und zwar in Salzburg, wo er bleiben sollte. Zierhofer wurde Kurator der Wiener Festwochen, dann Chef des eher alternativen Donaufestivals; Hinterhäuser programmierte die Konzerte an der Salzach. Bei der vorletzten Intendantenwahl war er im Gespräch, doch dann gewann, vergleichsweise gesehen, ein Großmanager, Alexander Pereira, der sich vor Ort allerdings nie wohl fühlte. Nach dreijähriger Interimszeit übernimmt nun Hinterhäuser, der während dieser drei Jahre die Wiener Festwochen organsiert hat. Und wer folgt Hinterhäuser in Wien? Man muss nicht lange raten: Tomas Zierhofer-Kin (geboren 1968). Und das ist jetzt die nächste, richtige Zäsur. Denn die beiden Freunde trennt mittlerweile doch eine ganze Menge, zum Beispiel ein Zierhofer-Satz über die Oper, der so geht: „Ich habe große Skepsis, ob diese Form von Musiktheater heute noch relevant ist.“
Wenn die Festwochen am 12. Mai beginnen jedenfalls, wird der Besucher sich darauf verlassen können, dass in den nächsten drei Wochen so gut wie nichts wie immer sein wird. Klassische Anmutung, um es mal so zu sagen, haben eigentlich nur noch zwei Veranstaltungen: Ivo van Hove adaptiert Viscontis Film „Obsessione“ (mit Jude Law in der Hauptrolle) und Peter Brook widmet sich erneut einem Teil von „Mahabharata“. Der Rest ist wirklich vogelwild.
Zierhofer–Kin hat 13 Millionen Euro an Budget zur Verfügung; ein bisschen über 10 Millionen davon sind Subvention. 40 000 Karten müssen unter die Leute, „junge Leute“, nicht die „feinen“, die kommen, um sich sehen zu lassen, aber dann oft doch nicht richtig hinschauen. Zierhofer-Kin geht das kulturelle Establishment, wie es nun mal ist, erheblich auf die Nerven. Was die Leute jetzt bekommen, hat denn auch mit einm althergebrachten Theaterfestival („tote Fische“, sagt Zierhofer dazu) nichts mehr zu tun. Denn es gibt: einen „Tempel des Augenblicks“ (hinter dem Hauptbahnhof), wo Künstler einer „queeren ekstatischen Praxis als Widerstand“ huldigen. Installation, Aufführung, Ausstellung: alles eins. Zahlreiche Performer werden sehr viele Dinge (auch Container) durch Wien fahren; eine Professorin von der Columbia University lehrt postkoloniale Methodik; eine antifaschistische Ballettschule macht auf und natürlich gibt es postmigrantisches Theater, wo alles in den Analyse-Diskurs-Fleischwolf kommt, wie Zierhofer-Kin sagt. Dass Romeo Castellucci Alexis de Tocqueville und sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten performed, mutet da schon fast wie Mainstream an. Zierhofer-Kin hat fünf Jahre Zeit. Seine Idee ist die permanente Herausforderung statt des dauernden Darstellens oder Bespielens von Publikum. Wien darf sich auf was gefasst machen.
Mehr Zwänge in Salzburg
Deutlich mehr Zwängen unterworfen ist Markus Hinterhäuser in Salzburg, wo überproportional viel Geld mit dem Kartenverkauf verdient werden muss. Hier liegt der Etat bei 61 Millionen Euro (220 000 Tickets), aber nur 16 Millionen Euro kommen von der öffentlichen Hand. So gesehen ist Hinterhäusers Spielplan eine riskante Mischkalkulation, der es dem Publikum mit Aribert Reimanns „Lear“, Bergs „Wozzeck“ und Schostakowitschs „Lady Macbeth“ nicht leicht macht. Zum Ausgleich „Aida“ mit Anna Netrebko und Mozarts „Titus“; Teodor Currentzis, von 2018 an beim SWR der Chef, dirigiert. Die Konzertschiene ist vergleichsweise brav bestückt. Hinterhäuser ordnet solche Entscheidungen unter Pragmatismus ein, von dem er einigen hat. Wenn man wetten sollte, wer von den beiden ehemaligen Revolutionären an der jeweiligen Wirkungsstätte länger durchhält, fiele die Prognose nicht schwer: Wien wird nicht Wien bleiben (und Zierhofer-Kin mutmaßlich nicht allzu lange da). Aber Salzburg Salzburg.