Genetiker Carsten Pusch hat „Ötzi“ noch nie gesehen, doch er kennt ihn so gut wie kein anderer. Der Forscher sucht sogar nach Ötzis Nachfahren.

Tübingen - Noch nie hat er „Ötzi“ gesehen, dabei hat der Gletschermann ihn doch so berühmt gemacht: Im vergangenen Jahr hat Humangenetiker Carsten Pusch der gut 5300 Jahre alten Mumie aus den Ötztaler Alpen fast alle seine Geheimnisse entlockt. 95 Prozent von „Ötzis“ DNA konnten der Tübinger Forscher und seine Kollegen entschlüsseln. Zum 20. Jahrestag der Entdeckung der Gletschermumie am Montag will das Forscher-Team nun neue Erkenntnisse veröffentlichen. „Nur so viel“, verrät Pusch: „Wir waren doch sehr überrascht über seinen Gesundheitszustand.“

 

Besonders die Frage nach möglichen Nachfahren des Gletschermannes interessiert die Forscher. Aber sein Erbgut könnte auch Aufschlüsse über genetische Ursprünge von heute häufigen Krankheiten wie etwa Diabetes, Krebs oder Alzheimer bringen.

Ein ganz besonderes Projekt

Die Arbeit mit „Ötzis“ DNA ist für Pusch ein ganz besonders Projekt. Zur Genetik hat der 45-Jährige durch seinen Vater gefunden. „Bub, das ist die Zukunft“, habe der Gartenbauingenieur immer gesagt. Also ging der gebürtige Stuttgarter nach dem Abitur an die Universität Tübingen, studierte Biologie und spezialisierte sich in gleich drei Bereichen: medizinische Genetik, Humangenetik und Paläogenetik - also jene, die sich mit der Analyse von historischem und prähistorischem Gen- und Erbmaterial beschäftigt.

„Dieses Triumvirat an Wissen hat mir die Türen geöffnet“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Dass man ein absoluter Workaholic sein muss, um in allen drei Bereichen erfolgreich arbeiten zu können, bestreitet er nicht.

Pharao Tutanchamun

Neben der Forschung an „Ötzi“ ist es im Moment vor allem ein Projekt in Ägypten, das Pusch beschäftigt - und das in der Öffentlichkeit nicht weniger hohe Wellen schlägt. Der 45-Jährige hat Mumien aus den Grabkammern des Pharaonenkönigs Tutanchamun untersucht und dabei nach Hinweisen auf Krankheiten und Erbfolgen gesucht. „Bei diesem Projekt können Ergebnisse von extremer kultureller Brisanz sein“, sagt Pusch.

So wie zuletzt im Frühling 2010, als die Forscher herausfanden, dass der legendäre Pharao Tutanchamun ein Inzest-Kind war und an zahlreichen Missbildungen litt. Die genetischen Untersuchungen wirbelten sämtliche alten Traditionen und Überlieferungen durcheinander. Wer sich mit solchen Themen beschäftigt, die die kulturelle Identität von Menschen betreffen können, werde ständig mit ethischen Fragen konfrontiert, sagt Pusch. „Will und darf man erzählen, dass ein Pharao nicht der starke Herrscher war, sondern ein kranker Junge, der die meiste Zeit getragen wurde?“

Sein nächstes Projekt soll die genetische Analyse der Familie Medici aus Florenz sein. Pusch liebt die Verbindung von Humangenetik, Geschichte und Kultur: „Es ist einfach toll zu sehen, wenn die Wissenschaften interdisziplinär ineinandergreifen und ein lebendiges Bild eines echten Menschen skizzieren.“