Im vergangenen Juli verließ Özkan Ayik nach zehn Jahren das Stuttgarter Ballet - auf der Suche nach einer neuen Freiheit. Wir haben mit dem Tänzer darüber gesprochen, wie die aktuelle Situation in der Türkei sich auf seinen Neuanfang in Istanbul auswirkt.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Istanbul - Im vergangenen Juli verließ Özkan Ayik nach zehn Jahren das Stuttgarter Ballet - auf der Suche nach einer neuen Freiheit. Wir haben mit dem Tänzer darüber gesprochen, wie die aktuelle Situation in der Türkei sich auf seinen Neuanfang in Istanbul auswirkt.

 
Herr Ayik, wie ist die Atmosphäre in Istanbul nach dem Attentat in der Silvesternacht? War es eine gute Idee, just zum Zeitpunkt des Putsches das Stuttgarter Ballett zu verlassen, um in Ihre türkische Heimat zu ziehen?
Ich glaube nach wie vor, dass es für mich die richtige Entscheidung war, nach Istanbul zurückzukehren. Die Stadt bietet mir viel, auch viele Entdeckungen. Obwohl diese dunkle Wolke über der Türkei schwebt, gibt es unter ihr doch spannende Begegnungen und eine reiche Kulturlandschaft. Ich habe die schlechten Nachrichten der Silvesternacht beim Feiern mit Freunden erhalten, wir haben sofort das Fernsehen angestellt.
Stumpft die schnelle Folge an Terror die Menschen in Istanbul nicht ab?
Nein, ein Attentat ist jedesmal ein Schock, denn an solch unmenschliche Gewalttaten werden wir uns, egal wie oft sie sich wiederholen, nie gewöhnen. Das ist doch genau das, was die Attentäter bezwecken wollen: Dass Menschen ihre Hoffnung auf eine positive Zukunft verlieren und ihren Optimismus aufgeben. Ich wünsche mir für das neue Jahr, dass es der Welt mehr Frieden bringen wird.
Sie haben das Stuttgarter Ballett verlassen, um für sich eine neue Freiheit im Tanz zu entdecken. Glückt Ihnen das bei all der Unfreiheit, die Sie umgibt?
Ja, ich führe hier ein völlig anderes, für mich persönlich freieres Leben. Als Mitglied des Stuttgarter Balletts war ich Teil eines klar definierten Tagesablaufs, der sich nach dem richtete, was die Kompanie plante. Als frei schaffender Tänzer kann ich mich nach dem richten, was mein Körper an Training braucht und mir die notwendige Zeit dafür nehmen. Ich genieße es gerade sehr, selbst zu entscheiden und so eigene Fähigkeiten zu entwickeln.
Das klingt ganz so, als ob die politische Einflussnahme die Kultur noch nicht erreicht hätte?
Zumindest für die Tanzszene kann ich sagen, dass die allgemein sehr unberechenbare Situation sie noch nicht direkt betrifft. Aber der Boden, auf dem wir tanzen, ist unsicher und wankend. Was die türkische Kultur viel mehr bräuchte, ist Rückhalt und Unterstützung.
Vor Ihrer persönlichen Freiheit standen noch ein paar Auftritte mit dem Istanbuler Ballett...
Ja, ich hatte mit Ugur Seyrek, der zwölf Jahre lang unter Marcia Haydée in Stuttgart getanzt hatte und nun als Choreograf in Istanbul arbeitet, vereinbart, dass ich in seinem „Nussknacker“ auftrete. Weil ich zwei Rollen einstudieren musste, den Prinzen und den Drosselmeier, war es ein ziemlich hartes Stück Arbeit. Aber es war schön, mit alten Freunden zu tanzen. Eine meiner Partnerinnen war tatsächlich das Mädchen, mit dem ich als Kind meinen Ballettunterricht begonnen hatte. Es war schon sehr besonders für mich, in Istanbul auf der Bühne zu sein.
Nichts also, was Sie vermissen?
Natürlich fehlen mir meine Stuttgarter Freunde und, wie ich schon vor meiner Abreise vermutet habe, die Natur und dass man aus dem Stadtzentrum heraus so schnell im Grünen sein kann.
Was machen Ihre Pläne als Choreograf?
Es gibt hier eine Organisation, die zum Welttanztag im April Künstlern eine Plattform bietet. Ich werde das Angebot nutzen, um ein Stück zu erarbeiten. Das Niveau der Tänzer in der Türkei ist sehr viel höher, als ich erwartet habe und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihnen.
Und als Tänzer?
Da werde ich an einigen freien Produktionen beteiligt sein. Dann gibt es noch ein Stück des Istanbuler Balletts, bei dem ich gerne dabei wäre. Momentan aber bin ich in Tel Aviv zu einem Workshop und arbeite jeden Tag mit dem Choreografen Ohad Naharin, um seine Technik und sein Repertoire zu lernen. Ich genieße es sehr, hier zu sein: ein warmer, friedlicher Januar im leider gar nicht friedlichen Nahen Osten...