Ob Burgturm oder einstige Spinnerei – anlässlich des Tags des offenen Denkmals sind im Rems-Murr-Kreis am 10. September 27 Denkmale geöffnet, die man normalerweise nicht ohne weiteres betreten kann.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Backnang - Macht und Pracht“ lautet das Motto des diesjährigen Tages des offenen Denkmals am Sonntag, 10. September. Im Rems-Murr-Kreis kann man dazu 27 Denkmale besichtigen, die sonst der Öffentlichkeit verschlossen bleiben. In Backnang zählt dazu neben der Stiftskirche Sankt Pankratius, der Kirche Unserer Lieben Frau und dem Historischen Rathaus die ehemalige Spinnerei Adolff. Diese Baumwollspinnerei, unmittelbar neben dem Stadtkern in einem kleinen Tal gelegen, war bis zum Konkurs im Jahr 1991 in Betrieb. Der Fabrikkomplex mit seinen markanten Backsteingebäuden, der von der Größe her wie ein eigenes Stadtviertel am Ostrand Backnangs wirkt, ist vor acht Jahren aufwendig restauriert worden. Heute findet man in den Jugendstilgebäuden hauptsächlich Büros, unter anderem haben das Finanzamt Backnang und das Staatliche Schulamt hier ihren Sitz.

 

Bis zu 9500 Beschäftigte

Um 1900 war die Spinnerei Adolff einer der größten Betriebe seiner Art in Deutschland. 1832 von Immanuel Adolff mit zwei Partnern gegründet, ging das Unternehmen 1839 unter der Leitung von Johann Friedrich Adolff völlig in die Hände der Familie über, nachdem der Sohn Immanuel Adolffs die Anteile der Partner übernommen hatte. Nun firmierte die Firma unter „Spinnerei J. F. Adolff“ und blieb weiter in Familienbesitz, nachdem sie im Jahr 1927 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neben Baumwolle auch synthetische Fasern gesponnen, die in der Teppichherstellung zum Einsatz kamen. Außerdem gründete die Spinnerei andere Unternehmen wie die AGA Garn GmbH in Crailsheim oder übernahm solche wie die Zell-Schönau AG, welche die „irisette“-Bettwäsche produzierte. Um 1970 hatte die Spinnerei Adolff rund 9500 Beschäftigte, allein 3500 davon arbeiteten in Backnang. Sie zählte europaweit zu den führenden Herstellern von Baumwoll- und Teppichgarn. Die Krise in der Textilindustrie zwang jedoch Adolff dazu, im Jahr 1989 die Werke in Backnang und Dietenheim zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt waren dort noch rund 500 Mitarbeiter angestellt.

Nopper: „Auferstanden aus Ruinen“

Zwanzig Jahre später interessierte sich der Investor Dibag aus München für das Areal und sanierte für rund elf Millionen Euro die mittlerweile weitgehend heruntergekommenen Gebäude, zu denen neben der Spinnerei auch Verwaltungsgebäude sowie Besitzer- und Direktorenvillen, Arbeiterhäuser und ein Arbeiterinnenwohnheim gehören. „Auferstanden aus Ruinen“, sagte der Backnanger Oberbürgermeister Frank Nopper, als das Areal mit 55 000 Quadratmetern Nutzfläche im Jahr 2010 seiner neuen Bestimmung übergeben wurde. „Wie nach Artilleriebeschuss“, so Nopper, hätten die Gebäude ausgesehen, bevor sie saniert worden waren. Und Helmut Adolff, einer der früheren Eigentümer der Spinnerei, sagte beim Einzug des Staatlichen Schulamts, ihm gehe das Herz auf, wenn er die Gebäude in neuem Glanz sehe.

Bereits fünf Jahre zuvor war das Finanzamt in das Hauptgebäude eingezogen. Der größte Mieter auf dem Fabrikgelände ist mit rund 9000 Quadratmetern Fläche heute die Firma d&b Audiotechnik, ein sogenannter Hidden Champion: Das Unternehmen ist weltweit führend im Bereich Beschallung, unter anderem hat es die Oper in Sidney oder das Fußballstadion von Ajax Amsterdam mit moderner Lautsprechertechnik ausgerüstet.

Rundgang mit dem Stadtarchivar

Am Sonntag kann man von 14 Uhr an zusammen mit dem Stadtarchivar Bernhard Trefz einen Rundgang durch das Hauptgebäude der Spinnerei machen, das sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Das ist sicher nicht nur für jene Backnanger interessant, die bis 1991 noch für die Spinnerei arbeiteten. Bis heute erinnert man sich in der Stadt, dass einer der Eigentümer zur Blütezeit in den 1970er-Jahren in einem firmeneigenen Hubschrauber mit Getöse auf einem der Gebäude startete und landete. Treffpunkt für die Führung ist der Haupteingang des Finanzamtes. Weitere Informationen erhält man vom Stadtarchivar (0 71 91/89 44 55).

„Jedes Denkmal erzählt uns immer viel über die sozialen und kulturellen Verhältnisse der Zeit seiner Entstehung und Nutzung“, heißt es auf der Internetseite des Tages des offenen Denkmals. Die Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts zählt dazu, die nicht nur zweckmäßig sein, sondern auch ästhetischen Gesichtspunkten folgen sollte. Im Gebiet des heutigen Rems-Murr-Kreises finden sich einige Beispiel solcher Bauwerke, sowohl im Remstal als auch am Lauf der Murr wie in Backnang. Mit diesen demonstrierten die Bauherren auch ihren Einfluss oder gar ihre Macht.

Das Motto „Macht und Pracht“ des diesjährigen Tages des offenen Denkmals erhält dadurch einen aktuellen Subtext. „Gern dürfen Sie sich in Ihrer Vorbereitung auf den Tag des offenen Denkmals und das Motto auch ein wenig am Thema reiben. Denn das Motto wirft bei kurzem Nachdenken mehr Fragen auf, als es schnelle Antworten gibt“, schreiben die Organisatoren weiter. In Backnang und an anderen Standorten der Spinnerei Adolff hing die Existenz Tausender Arbeiter und Angestellter an ihrem Fortbestand. Mit der Krise der Textilindustrie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts schwand mit der Macht auch die Pracht der Spinnerei.

27 Denkmale zur Auswahl

Der bundesweite Tag des offenen Denkmals soll Menschen für das kulturelle Erbe vor Ort sensibilisieren. Der Aktionstag geht auf eine Idee des französischen Kulturministers Jack Lang aus dem Jahr 1984 zurück, die Dank ihrer großen Resonanz auch in anderen Ländern Europas Schule machte. Im Jahr 1991 rief der Europarat offiziell die European Heritage Days aus, zu denen der Tag des offenen Denkmals zählt. Dieser wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1993 bundesweit begangen. 2016 nahmen 2600 Kommunen teil, 8000 Denkmale wurden für Besichtigungen geöffnet.

Im Rems-Murr-Kreis werden dieses Jahr 27 denkmalgeschützte Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dazu zählen der Burgturm in Winnenden-Bürg, der normalerweise nicht betreten werden darf, oder der Wasserturm in Backnang, der von der B 14 aus zu sehen ist. Dieser ist im Jahr 1959 erbaut worden, der Burgturm im Jahr 1220. Das Spektrum ist also groß, nicht nur was die Zeiträume angeht, in denen die einzelnen Gebäude errichtet wurden. Streng genommen reicht die Spanne im Rems-Murr-Kreis sogar über zwei Jahrtausende, da das Ostkastell am Limes in Welzheim ebenfalls auf dem Programm steht. Dessen Grundmauern reichen in das zweite Jahrhundert nach Christus zurück.

Die Resonanz auf den Tag des offenen Denkmals ist groß. So sind bereits alle Führungen im Schloss Großheppach ausgebucht. Es empfiehlt sich, im Internet nachzuschauen, ob bei Gebäuden des eigenen Interesses Anmeldungen notwendig sind.