Der Abriss des alten Olgäle inspirierte zwei Kulturschaffende zu Fotos und Texten, die am Donnerstag um 19 Uhr im Westquartier am Bismarckplatz präsentiert werden.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Ein spektakulär destruktives Schauspiel hat der Abriss des einstigen Kinderkrankenhauses Olgäle im vergangenen Jahr geboten. Schweres Gerät wälzte sich durch Schutt, reckte stählerne Hälse gen Himmel, um Betonbrocken aus den Bauten zu beißen – gleich Sauriern beim Schmausen. Vom Bauzaun aus eröffnete sich ein täglich neuer Blick auf ein träges Ballett, von Staub umflort und stumm, bezeugt von toten Blicken aus leeren Fensterhöhlen.

 

Da stieg manch einer extra vom Rad, um en passant ein Handybild zu knipsen. Auf Facebook jedenfalls machte das staubige Schlachtfest Furore. Das Schauspiel der Zerstörung regte zu apokalyptischen Metaphern an. Für die Künstlerin Barbara Karsch-Chaïeb hingegen wurde das Abriss-Ereignis zum Sinnbild kontinuierlicher Veränderung, das sie nahezu obsessiv mit ihrer Kamera dokumentiert hat.

In ihrer Begeisterung über diesen städtebaulichen Sonderfall riss sie gleich noch die Schriftstellerin Dorothea Diekmann mit in den Sog ihrer ästhetischen Faszination. So etwa lässt sich beschreiben, wie es zu „Heimlich schön – heimlich laut“ kam, einer Ausstellung mit Performance über den Abbruch des ehemaligen Olgäle, die am Donnerstag, 16. Februar, 19 Uhr, im Westquartier am Bismarckplatz zu erleben ist.

Schöne Stillleben

„Durch regelmäßiges Aufsuchen des Ortes entwickelt sich eine gewisse Routine und Verbundenheit mit dem Platz, den Menschen, die dort arbeiten, und dem Material, das nach und nach abgebaut, sortiert und abtransportiert wird“, erklärt Barbara Karsch-Chaïeb. Zu unterschiedlichen Zeiten suchte die Fotografin immer wieder die selben Standorte auf. „Diese dokumentarischen Nachweise bilden den Einstieg für zeitlich nachfolgende Entdeckungen und Empfindungen einer sich stetig weiter entwickelten Sehweise.“

In einem weiteren Schritt sind Fotografien entstanden, die Details und Fragmente der Trümmer und Überreste der Baustelle zeigen: Kabel, Metall, Holz, Pflanzen, Türen, Fenster, Graffiti-Wände, Efeu-Reste. „Die fremdartigen Materialien bilden ein eigenes Stillleben, das die Schönheit dieser ausgefallenen Installationen widerspiegelt.“ Mit dem Fokus der Kamera hat sie die wahllos herumstehenden Dinge arrangiert, gleichsam komponiert per Kadrierung. „Chaos und Ordnung liegen dicht nebeneinander“, sagt Karsch-Chaïebs. So ist eine Serie mit dem Titel „Heimlich schön“ entstanden.

Dass sich aus einer Baustelle Fotokunst destillieren lässt, kann man sich vorstellen. Aber Dichtung? Die Schriftstellerin Dorothea Dieckmann hat sich dem Olga-Areal mit Worten genähert – in ihrem Metier. Das Ergebnis ist mit „Heimlich laut“ betitelt und stellt eine Art Textcollage vor, die sich mit der konkreten Geschichte des Olga-Areals befasst, aber auch einige freie und persönliche Assoziationen von der Leine lässt. Ein Foto von Karsch-Chaïeb hat Dieckmann besonders berührt: Es zeigt einen Rest Wand mit einem aufgekritzelten Spruch, der aber zur Hälfte fehlt: „und leider immer wieder hat der Maxi Fieber“. Das Grafitti ist wie ein Brennglas, das auf das ehemalige Kinderkrankenhaus gerichtet ist, und plötzlich das Schicksal eines krebskranken Kindes und dessen mitleidenden Angehörigen nah heranrückt. „Man hat das Gefühl, in die Welt des kranken Kindes einzutreten“, sagt Dieckmann. Sie musste sich vorstellen, wie das Kind die bange Frage stellte: „Wann darf ich endlich wieder Heim?“ – und niemand sie zu beantworten vermochte.

Wertschätzung der Menschen

In der Auseinandersetzung mit dem Olgäle sei in ihr die Vorstellung gereift, dass „Krankheit und Gesundheit wie zwei völlig voneinander getrennte Länder“ zeitgleich existierten. Aus diesem Land der Krankheit ließen sich aber keineswegs nur traurige Geschichten erzählen, sagt Dieckmann. Das Krankenhaus sei auch ein Ort der Gesundung, für viele Menschen ein Arbeitsplatz, „ein Lebensort“, wie Dieckmann sagt. Mit ihrer Performance will sie an diesen Ort erinnern – mittels Bildern, Videos und collagierten Textpassagen. „Es geht mir um die Wertschätzung der Menschen, die hier einmal gelitten und gearbeitet haben.“

Wenn das Areal nun überbaut wird, soll diese Geschichte nicht verloren gehen, sagt Dieckmann. „Nicht bloß die NS-Vergangenheit ist es wert, dass man an sie erinnert. Geschichte bereichert – egal, ob sie hell oder dunkel ist. Wenn man weiß, was aufeinander folgte, sieht man besser, wo man selber steht.“ Dieckmann würde es begrüßen, wenn ein kleiner Mauerrest vom Olgäle zur Erinnerung stehen bliebe. Zunächst aber erinnern Dieckmann und Karsch-Chaïeb live ans alte Olgäle.